Zehntausende protestieren für bessere Bildung

Berlin (dpa) - Bei den größten Bildungsprotesten seit Jahren haben am Mittwoch nach Angaben der Veranstalter bundesweit 240 000 Menschen für ein besseres Schul- und Universitätssystem protestiert.
In rund 70 Städten gingen tausende junge Menschen auf die Straße, um Forderungen nach einem gebührenfreien Studium und einem gerechteren Bildungssystem Nachdruck zu verleihen. Die Schüler wandten sich gegen das «Turbo-Abitur» in 12 Jahren und gegen ein aus ihrer Sicht überholtes Notensystem. In vielen Städten wurde der Verkehr komplett lahmgelegt und in Mainz drangen Demonstranten in das Abgeordnetenhaus des rheinland-pfälzischen Landtags ein. Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) äußerte wenig Verständnis für die Proteste.
«Das ist wohl die größte Protestdemo von Studenten für studentische Anliegen», sagte der Berliner Soziologe Dieter Rucht der Deutschen Presse-Agentur dpa. Aber anders als Arbeitnehmer hätten Studenten nur bedingt Druckmöglichkeiten, um ihre Interessen durchzusetzen. SPD-Generalsekretär Hubertus Heil sagte: «Bildung ist ein Menschenrecht». Deshalb unterstütze die SPD Forderungen, um die finanziellen Hürden im Bildungssystem einzureißen. Das Studium müsse gebührenfrei bleiben. Schavan warf er vor, dass sie die Forderungen der Demonstranten nicht ernst nehme.
In Berlin beteiligten sich nach Angaben der Veranstalter 27 000 Menschen am «Bildungsstreik 2009». Studenten und Schüler reckten Transparente empor, auf denen «Studier Dich arm» und «Gegen Turbo- Abi» stand. Redner beklagten Leistungsdruck und zu große Klassen an den Schulen, volle Hörsäle und mangelnde Wahlfreiheit an den Hochschulen. In Stuttgart demonstrierten laut Veranstaltern 15 000, in Hamburg rund 13 000 und in München mehr als 5000 Menschen. Die Polizei zählte in der Regel zum Teil deutlich weniger Demonstranten.
In Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen protestierten ebenfalls Zehntausende - in Bielefeld wurde ein Straßenbahndepot blockiert. Studenten besetzten in Dresden das Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst und in vielen Städten blockierten die Protestler Straßen in den Innenstädten. In Mainz drangen laut Polizei 70 Demonstranten auch in das Abgeordnetenhaus des rheinland-pfälzischen Landtags ein. Eine CDU-Sprecherin sagte, dass eine Fotoausstellung der Fraktion über den Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953 beschädigt worden sei. Eine ausgestellte DDR-Schreibmaschine sei geklaut, mehrere Bilder seien beschmiert worden.
Bildungsministerin Schavan nannte die Forderungen der Studierenden «zum Teil gestrig». «Ich bin sehr einverstanden, wenn sich Schüler und Studenten mit dem Bildungssystem beschäftigen. Aber wer streikt, muss auch Fakten zur Kenntnis nehmen», sagte sie im Deutschlandfunk. «Wer sagt, wir müssen Bachelor- und Masterstudiengänge wieder abschaffen, der nimmt nicht zur Kenntnis, dass Deutschland Teil des europäischen Bildungsraums ist.»
Die meisten Studenten fordern mit ihren Protesten aber nicht die Abschaffung der im Rahmen des europäischen Bologna-Prozesses eingeführten Bachelor- und Masterstudiengänge, sondern nur deren Reform. Schavan kündigte an, im Juli zu einer Konferenz einzuladen. An einigen Stellen müsse nachgebessert werden, räumte sie an.
Mit der bundesweiten Protestwoche verlangen Schüler wie Studenten auch mehr Geld für die Bildung. Der Protest der Studierenden, der zum Teil von den Gewerkschaften ver.di und GEW unterstützt wird, richtet sich auch gegen die in sechs unionsgeführten Ländern eingeführten Studiengebühren sowie gegen die «Verschulung des Studiums» in den neuen sechssemestrigen Bachelor-Studiengängen.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund warnte Bund und Länder davor, nach den Protesten zur Tagesordnung überzugehen und die Forderungen zu ignorieren. «Der Bildungsstreik nimmt zentrale Probleme auf: Das deutsche Bildungswesen ist Weltspitze in sozialer Auslese», sagte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ingrid Sehrbrock.