„Zahlen oder raus!“
MÜNCHEN/BERLIN - In München werfen Kontrolleure ein zwölfjähriges Mädchen aus der S-Bahn, weil ihre Karte ungültig war. Es ist bereits der vierte Fall in wenigen Wochen. Die Bahn prüft den Fall.
„Entweder du zahlst 40 Euro oder du steigst aus“: Mit diesen Worten haben zwei S-Bahn-Kontrolleure am Samstag Martina Richter aus München in Eichenau aus dem Zug geschmissen. Das Mädchen ist erst zwölf Jahre alt – laut Vorschrift hätten die Kontrolleure sie trotz ungültiger Fahrkarte nicht des Zuges verweisen dürfen.
„Ich war zu Besuch bei einer Freundin in Fürstenfeldbruck“, erzählt Martina, die aus Neuperlach kommt. Mit dabei war Sarah, eine Schulfreundin der Siebtklässlerin. Gegen 18 Uhr wollten beide zurück nach München fahren. Martina stempelte und stieg in den Zug. Kurz nach der Abfahrt musste sie den Kontrolleuren ihr Ticket zeigen – eine Kinderstreifenkarte, die aber seit der letzten Preiserhöhung des Münchner Verkehrs- und Tarifverbunds (MVV) nicht mehr gültig ist.
„Sie haben die rote Streifenkarte gesehen und gesagt, dass ich sie in den Müll werfen soll“, sagt Martina. Dann forderten sie sie auf, 40 Euro zu zahlen – oder auszusteigen. „Ich hatte aber kein Geld dabei“. Also verließ sie die S8 an der Haltestelle Eichenau, fast eine Stunde Fahrzeit vom Ostbahnhof entfernt. Ihre Freundin fuhr weiter.
"Es war schon dunkel"
„Es war schon dunkel, und am Bahnhof war niemand“, erzählt das schüchterne Mädchen. „Ich hab’ meinen Papa angerufen, der hat mir gesagt, dass ich mich in die nächste S–Bahn setzen soll. Wenn wieder Kontrolleure kommen, sollte ich ihn anrufen.“ Martina wartete 20 Minuten, dann nahm die Realschülerin die S-Bahn Richtung München. Diesmal wurde sie nicht kontrolliert.
„Als sie anrief, habe ich gedacht: Das ist doch Wahnsinn!“, sagt ihr Vater Gero Richter. „Martina ist sowieso ein ängstliches Mädchen. Das war ein richtiger Schock für sie.“ Gero Richter will den Vorfall aufklären. „Ich habe schon versucht, mich bei der Bahn zu beschweren, aber es geht niemand ans Telefon.“ Die Bahn prüft den Fall. „Die Mitarbeiter haben die Konsequenzen zu tragen, das geht bis zum Arbeitsrecht“, sagte ein Bahnsprecher zur AZ.
Es ist kein Einzelfall
Was Martina passiert ist, ist kein Einzelfall: In den vergangenen drei Wochen warfen deutschlandweit drei Schaffner minderjährige Mädchen aus Zügen, weil sie keine gültigen Fahrkarten hatten. „Das ist klar gegen die Vorschriften“, sagt ein Bahnsprecher. Zugbegleiter dürften keine Minderjährigen, Schwangere oder Betrunkene aus Zügen werfen. „Wenn die Kinder keinen Fahrschein haben, können sie das Diensthandy des Schaffners benutzen und versuchen, ihre Eltern zu erreichen. Genau dafür ist es da.“
In der Vorwoche verwies ein Schaffner eine 13-Jährige im brandenburgischen Wittstock aus einem Zug. Sie hatte weder Fahrkarte, Geld noch Handy für einen Anruf zu Hause. Im Oktober hatte eine Schaffnerin in Mecklenburg-Vorpommern eine Zwölfjährige aus ähnlichen Gründen aus dem Zug geworfen. Das Mädchen musste bei Dunkelheit mit einem Cello auf dem Rücken nach Hause laufen. In Berlin musste ein Mädchen aussteigen, das zwar einen Fahrschein hatte, der aber erst später gültig war. Die Bahn hat die Schaffner suspendiert und will ihre Mitarbeiter nachschulen.
Christoph Landsgesell