Wulff: "Wer rettet am Ende die Retter?"

Deutliche Kritik von Bundespräsident Christian Wulff: Politik, EZB und der Finanzsektor haben in der Schuldenkrise massive Fehler gemacht.
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Christian Wulff bei seinem Vortrag in Lindau: Der Bundespräsident übte Kritik an Politik, EZB und Finanzsektor.
dpa Christian Wulff bei seinem Vortrag in Lindau: Der Bundespräsident übte Kritik an Politik, EZB und Finanzsektor.

Deutliche Kritik von Bundespräsident Christian Wulff: Politik, EZB und der Finanzsektor haben in der Schuldenkrise massive Fehler gemacht.

Mitten in den Turbulenzen auf den Märkten meldet sich Bundespräsident Wulff mit deutlicher Kritik zu Wort: Die Europäische Zentralbank habe ihre Kompetenzen überschritten, die Politik verspiele Vertrauen, der Finanzsektor müsse zu seiner dienenden Rolle zurückfinden.

Lindau – Bundespräsident Christian Wulff hat Politiker und Währungshüter für ihren Kurs in der globalen Schuldenkrise scharf kritisiert. Der Europäischen Zentralbank (EZB) hielt Wulff am Mittwoch vor, der der Ankauf so vieler Staatsanleihen sei rechtlich bedenklich. Damit habe die Notenbank deutlich ihre Kompetenzen überschritten, sagte Wulff bei einer Konferenz von Wirtschafts-Nobelpreisträgern in Lindau am Bodensee. Dies könne allenfalls übergangsweise toleriert werden.

Der Bundespräsident übte auch massive Kritik an der Politik vieler Regierungen in der Krise: „Die Versündigung an der jungen Generation muss ein Ende haben.“ Immer neue Schulden zu machen, könne auf Dauer nicht gut gehen. „Politik mit ungedeckten Wechseln auf die Zukunft ist an ihr Ende gekommen.“ Weiter sagte Wulff: „Ich persönlich empfinde Verantwortung für meine 17-jährige Tochter und meinen dreijährigen Sohn, dass wir heute Entscheidungen treffen, dass sie später in Jahrzehnten in etwa so leben dürfen und können, wie wir es heute können.“

Die Währungshüter der EZB müssten nun schnell zu ihren vereinbarten Grundsätzen zurückkehren, sagte Wulff. „Ich halte den massiven Aufkauf von Anleihen einzelner Staaten durch die Europäische Zentralbank für rechtlich bedenklich.“ Artikel 123 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union verbiete der EZB den unmittelbaren Erwerb von Schuldtiteln, um die Unabhängigkeit der Notenbank zu sichern. Dennoch habe die EZB Staatsanleihen im Volumen von mehr als 110 Milliarden Euro aufgekauft. „Dies kann auf Dauer nicht gut gehen“.

Das Domino-Spiel der Euro-Rettung

Die Entwicklung erinnere an ein Domino-Spiel: „Erst haben Banken andere Banken gerettet, und dann haben Staaten Banken gerettet, dann rettet eine Staatengemeinschaft einzelne Staaten. Wer rettet aber am Ende die Retter?“, fragte er.

Der Bundespräsident zeigte Verständnis für den Unmut vieler Bürger gegenüber der Finanzwelt: „Ich verstehe, dass viele nicht nachvollziehen wollen, dass Bankmanager teils exorbitant verdienen, dass aber zugleich Banken mit Milliarden gestützt werden.“ Menschen reagierten empfindlich, wenn Prinzipien der Fairness verletzt würden. Der Finanzsektor müsse wieder in eine dienende Rolle zurückfinden. Zugleich müsse die Politik ihre Handlungsfähigkeit zurückgewinnen. „Sie darf sich nicht abhängig fühlen und sich am Nasenring durch die Manege führen lassen, von Banken, von Rating-Agenturen oder sprunghaften Medien.“ Wenn nötig, müsse die Politik auch unpopuläre Entscheidungen treffen, und zwar in den Parlamenten.

Seit Jahren verletzten die EU-Mitgliedstaaten, Deutschland eingeschlossen, die einst in Maastricht beschlossenen Stabilitätskriterien. Demnach sind alle Mitglieder verpflichtet, die öffentlichen Schulden unter 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu senken. „In mehr als der Hälfte der Mitgliedstaaten lag die Schuldenquote im vergangenen Jahr über dieser Marke – allen voran in Griechenland, Italien, Belgien, Irland und Portugal. Und dann schon folgt Deutschland mit einer Quote von über 83 Prozent.“

Indirekt sprach sich Wulff gegen gemeinsame europäische Staatsanleihen, sogenannte Eurobonds, aus. „Für wen würden Sie persönlich bürgen? Und warum? Für die eigenen Kinder – hoffentlich ja! Für die Verwandtschaft – da wird es schon schwieriger.“ Auch ein Bürge könne sich unmoralisch verhalten, „wenn er die Insolvenz nur hinauszögert“. Europa sei eine Solidargemeinschaft. Wer aber „die Folgen geplatzter Spekulationsblasen, sogar jahrzehntelanger Misswirtschaft allein mit Geld und Garantien zu mildern versucht, verschiebt die Lasten zur jungen Generation und erschwert ihr die Zukunft“.

 

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