Würde statt Leiden

Der Bundestag diskutiert über ein Gesetzt zu Patientenverfügung. Bei Ärzten, Betroffenen und Angehörigen herrscht viel Unsicherheit. Münchnerinnen erzählen, wie ihre Angehörigen behandelt wurden.
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Bärbl Schwäerl. Der Wille ihres Mannes wurde respektiert.
Ronald Zimmermann Bärbl Schwäerl. Der Wille ihres Mannes wurde respektiert.

Der Bundestag diskutiert über ein Gesetzt zu Patientenverfügung. Bei Ärzten, Betroffenen und Angehörigen herrscht viel Unsicherheit. Münchnerinnen erzählen, wie ihre Angehörigen behandelt wurden.

Meine Mutter hatte eine aktuelle Patientenverfügung, in der stand, dass sie bei Hirnverletzungen keine Fortsetzung der Behandlung wünscht.“ Dazu habe auch die Magensonde gehört, berichtet die Münchnerin Renate Brunner (71). Schon nach dem ersten Schlaganfall hat die 93-Jährige nicht mehr essen wollen. „Sie hat das Essen regelrecht weggeschoben.“

In der Reha kam es zum zweiten Schlaganfall. Renate Brunners Mutter lag im Wachkoma, kommunizieren konnte sie nicht mehr. Doch der Arzt ignorierte den Willen seiner Patientin. Zum Entsetzen von Renate Brunner und ihrer Schwester entschied auch das Vormundschaftsgericht, dass die Magensonde bleiben müsse. Erst als die Familie die Münchner Kanzlei von Wolfgang Putz einschaltete, konnte der Wille der Mutter durchgesetzt werden. Die Magensonde wurde entfernt. „Meine Mutter starb vier Tage später.“

Sterbewunsch ausgesprochen

Ähnliches hat auch Bärbl Schwägerl mit ihrer Mutter erlebt. „Das beschäftigt mich noch heute, dass man die Frau noch so gequält hat.“ Die 87-Jährige starb in einem Heim bei Landshut. Doch die Wochen davor waren voll des ungewollten Leidens. Die Frau hatte ihren Sterbewunsch ausgesprochen und zuletzt auch die Nahrung verweigert. „Sie hat einfach gesagt: ,I mog nix’“, erzählt ihre Tochter.

Doch der Arzt setzte die künstliche Ernährung gegen den erklärten Willen der Patientin durch: „Wollen Sie Ihre Mutter einfach verrecken lassen?“, fragte er die Kinder. „Sie hat versucht, immer wieder alles herauszuwürgen“, erinnert sich Schwägerl. Nach qualvollen vier Monaten starb sie im Juni 2005.

Es geht aber auch anders. Auch das hat Bärbl Schwägerl erfahren. Als ihr Mann Ernst schwer an Krebs erkrankte, traf die Familie auf eine engagierte Ärztin, bekam Hilfe vom Münchner Hospizdienst „Da-Sein“ (www.hospiz-da-sein.de). „Kurz nach seinem 66. Geburtstag ist er ins Koma gefallen und wenige Tage später gestorben.“ Ein Tod in Würde, ohne lebens- und leidensverlängernde Maßnahmen – so wie er es wollte und verfügt hatte.

„Einschlafen dürfen"

„Einschlafen dürfen, wenn man das Leben nicht mehr selbst gestalten kann, ist der Weg zur Freiheit und der Trost für alle.“ So zitiert Petra Mayer, Palliativ-Fachkraft von „Da-Sein“, eine Frau, deren Mann vor kurzem gestorben ist. Sie erinnert sich: „Herr B. war Mitte 40, sportlich, erlitt einen Herzinfarkt und wurde bewusstlos aufgefunden.“

Nach einigen Wochen war klar, dass sein Gehirn stark geschädigt war: Herr B. lag im Wachkoma, wurde künstlich ernährt. „Wenn ich kein selbstbestimmtes Leben mehr führen kann, möchte ich lieber in Frieden sterben dürfen, als jahrelang dahinzuvegetieren“, hatte er der Familie zwei Wochen vor dem Infarkt erklärt.

„Ich habe Herrn B. besucht, habe ihn kennengelernt und auch mit dem zuständigen Oberarzt gesprochen. Zu dieser Zeit wurde Herr B. noch künstlich ernährt, über die PEG-Sonde. Er hatte häufig starkes Fieber und war sehr unruhig. Ich spürte sehr viel Leid und Verzweiflung bei ihm.“

Die Palliativ-Kraft weiß, dass alle Beteiligten meist wollen, dass der Todkranke so wenig leidet wie möglich. Feingefühl, Mitgefühl sind gefragt: „Die Art und Weise der Kommunikation ist sehr entscheidend.“ Ihr Fazit: „Am Ende darf es immer nur heißen: Was ist der Wunsch und der Wille des Betroffenen? Und danach zu handeln ist unsere Pflicht.“ Wie im Fall von Herrn B.: Nach vielen Gesprächen zwischen Ärzten, Angehörigen und den Hospiz-Helfern wurde er auf eine Palliativstation verlegt, „wo er nach etwa zwei Wochen in Frieden und in Würde verstorben ist“.

John Schneider

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