Wolfgang Schäuble: Der Mann, der immer weiter macht

Vor genau 20 Jahren schoss ein verwirrter Attentäter den CDU-Politiker zum Krüppel. Schäuble hat sich seitdem nie geschont. Wie lange geht das noch?
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Wolfgang Schäuble ist mittlerweile das dienstälteste Bundestagsmitglied.
dpa Wolfgang Schäuble ist mittlerweile das dienstälteste Bundestagsmitglied.

Vor genau 20 Jahren schoss ein verwirrter Attentäter den CDU-Politiker zum Krüppel. Schäuble hat sich seitdem nie geschont. Wie lange geht das noch?

Da geht er neben seiner Frau Ingeborg zur deutschen Einheitsfeier, rechts sie, links er. Sie einen Schritt voraus, er hinterher, beide gehen – als ob’s das Einfachste von der Welt wäre.

Es ist der 1. Oktober 1990, zwei Tage vor der Wiedervereinigung. Nicht einmal zwei Wochen noch werden Wolfgang Schäuble seine Füße tragen. Vor genau 20 Jahren, am 12. Oktober kurz nach 22 Uhr, schießt ihn ein verwirrter Attentäter in den Rollstuhl. Und Schäuble muss von Glück sagen, dass er die beiden Schüsse in Hals und Rücken überhaupt überlebt.

20 Jahre danach ist Deutschland zwar einigermaßen zusammengewachsen, mal recht, mal schlecht. Beim Architekten der Einheit, der 1990 die deutsche Wiedervereinigung mit der damaligen DDR aushandelte, lässt sich das nicht sagen. „Der Unfall“, wie der 68-Jährige das Attentat bis heute nennt, hat ihn aus der Bahn geworfen, dann wieder die Zähne zusammenbeißen lassen, er hat mit ihm leben gelernt, aber eines hat er nie: ihn vergessen.

Das wird auch heute so sein, wenn Schäuble an den 12. Oktober vor 20 Jahren denkt. Er ist im Krankenhaus, mal wieder. Dort kann er verfolgen, wie die ganze Republik sich Gedanken macht über ein Geschwür an seinem Hinterteil und darüber, wie lange er als Minister noch durchhält. Während sich die möglichen Nachfolger für den wichtigsten Kabinettsposten schon in Stellung bringen, dezent zwar, aber nachhaltig. Wie lange hält man so etwas aus?

Die Antwort ist: wahrscheinlich für immer. „Seine Pflicht tun“, nennt er das. Wolfgang Schäuble ist der Mann, der gekommen ist, um zu zu bleiben. Mal geht er unter, mal geht sein Stern wieder auf. Wenn Politik ein Karriereplanspiel wäre, dann müsste Schäuble längst Bundeskanzler oder wenigstens Bundespräsident sein. Aber er blieb der Unvollendete, der kleine zähe Mann aus Freiburg, der kluge Kopf mit der tragischen Karriere. Die trägt ihn schon seit Jahrzehnten immer wieder bis kurz vor den Gipfel – und dann kommt stets ein Partei-„freund“ und schiebt ihn weg.

Bundeskanzler wäre er geworden, wenn Helmut Kohl rechtzeitig den eigenen Abgang hinbekommen hätte. Kaum hatte Schäuble sich zum Parteichef wieder hochgerappelt, ließ ihn Kohl in seiner Schwarzgeld-Intrige ein zweites Mal untergehen. Und als er wieder auf dem Damm war und bereit, als Bundespräsident zu kandidieren, brauchte Bundeskanzlerin Angela Merkel aus schwarz-gelber Raison einen anderen: Horst Köhler.

Heute kann man mit Sicherheit sagen: Ein Bundespräsident Wolfgang Schäuble wäre nicht aus Schloss Bellevue geflohen, als die Luft dünner wurde. Schäuble bleibt und macht weiter – auch jetzt, da es in der Union fast schon Lebensstil ist, Politik als Lebensabschnittsgefährten zu begreifen. Köhler, Koch, von Beust gingen, Schäuble ist noch da. Das macht ihn mittlerweile nicht nur zum ältesten Kabinettsmitglied, sondern auch zum dienstältesten Abgeordneten im Bundestag.

Aber wie lange noch? Seitdem er vor knapp zwei Wochen wieder in die Klinik musste, fällt er zum zweitenmal in diesem Jahr wochenlang aus. Eine Wunde am Gesäß will nach dem Einsetzen eines Implantats einfach nicht verheilen – eine Nebenwirkung seiner Querschnittslähmung. Als er nach dem Ausfall im Frühjahr zurück auf der Bühne war, zeigte er sich noch flapsig und heiter: „Ich war’n bisschen krank, das kann jedem mal passieren“, sagte er. „Jetzt möchte ich wieder ein halbwegs normales Leben führen. Ich hoffe, dass nicht wieder was dazwischenkommt.“

Prompt kam wieder was dazwischen. Und diesmal kursieren Zitate, die etwas ernster klingen. Angeblich soll er selbst zum Rücktritt entschlossen sein, wenn es nach dem Klinikaufenthalt nicht besser wird. Das dementiert Schäuble zwar. Doch für Aufsehen sorgte sein Bruder Thomas, der frühere CDU-Innenminister von Baden-Württemberg. Seinem älteren Bruder Wolfgang sei es oft „sauschlecht“ gegangen, sagte dieser. „Das über halbjährige Wundsein hat ihn zermürbt.“ Irgendwann wird es eine Entscheidung geben müssen: Nützt ein kranker Finanzminister Wolfgang Schäuble Bundeskanzlerin Angela Merkel Regierung mehr, als dass er ihr schadet?

Der Finanzminister findet auch hierfür die typisch Schäublesche Antwort: weitermachen. Fast demonstrativ hat er für Ende Oktober einen Vortragstermin angenommen, auch an den Kabinettstisch will er rasch zurück. Einer wie er wird schließlich gebraucht.

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