„Wir wissen mehr, als in der Zeitung steht“

MÜNCHEN - Das große AZ-Interview mit dem US-Generalkonsul in München, Conrad Tribble (46), über Wikileaks, respektlose Äußerungen zu Seehofer und Obamas Chancen.
AZ: Mr Tribble, gerade ist Herr Assange festgenommen worden. Freut Sie das?
Conrad Tribble: Ich habe dazu keine Meinung
Für manche in den USA gilt Assange aber doch als „Staatsfeind Nr. 1“. Ist seine Verhaftung nicht die Möglichkeit das Leck zu stopfen, ihn strafrechtlich zu belangen?
Es gibt eine Untersuchung zur Frage, wie das Leck entstehen konnten, und ob es es da strafrechtlich relevante Vorgänge gab. Was dabei herauskommt, ist offen. Es gibt auch in den USA eine heftige Debatte, wie man damit umgeht.
Es wurde sogar die Hinrichtung Assanges gefordert
Das ist eine Einzelmeinung: Das geht zu weit.
In den Depeschen, die Wikileaks aus Ihrem Konsulat veröffentlicht, wird Ministerpräsident Seehofer als „unberechenbar, ahnungslos“ bezeichnet. Wie hat denn Seehofer darauf reagiert?
Wikileaks-Inhalte kann ich nicht kommentieren. Aber das wird unser Verhältnis nicht dauerhaft belasten. Die Berichterstattung nachWashington ist ja nur ein Teil meines Jobs. Wir führen Gespräche mit allen möglichen Leuten aus Politik,Wirtschaft und Kultur. Man tauscht sich aus und manchmal schreibt man Berichte darüber. Und ich kann Ihnen sagen: Der Begriff des Informanten nervt mich sehr!
Aber die Geschäftsgrundlage solcher Gespräche ist doch, dass sie vertraulich bleiben.
Deshalb ist es ja so gravierend, dass diese Dinge jetzt bei Wikileaks veröffentlicht werden. Es bringt Leute in Gefahr. In Deutschland ist es schlimm genug, aber es ist nichts im Vergleich zu dem, was in anderen Ländern passiert. Da können Menschen verschwinden oder im Gefängnis landen, weil sie mit uns geredet haben.
Wer ist denn am auskunftsfreudigsten im Politbetrieb? Die unzufriedenen Hinterbänkler, die Büroleiter, oder die Top-Politiker?
Ich führe einen Gedankenaustausch mit allen, die Interessantes zu sagen haben, mit allen, die uns helfen, ein gutes Bild von den Ereignissen in Bayern zu bekommen. Da kann man keine Kategorien aufstellen.
Mit Ihrem Botschafter Murphy in Berlin wollen offenbar nicht mehr viele reden. Wird er abgezogen?
Dazu kann ich nichts sagen. Wir arbeiten alle von Ministerin Hillary Clinton abwärts daran, wieder Vertrauen zu schaffen.
Was Wikileaks macht, ist doch eine uramerikanische Sache. Informationsfreiheit ist ein hohes Gut.
Pressefreiheit ist ein Grundrecht. Wir bestreiten nicht das Recht der Medien, zu berichten. Was wir aber als verantwortungslos verurteilen, ist die unkontrollierte Veröffentlichung von Daten.
Die Berichte wirken oft ziemlich oberflächlich. Oft reicht, so scheint es, intensive Zeitungslektüre, um zu den gleichen Ergebnissen zu kommen. Auf dieser Basis werden in Washington strategische Entscheidungen getroffen?
Unsere Analysen gehen schon darüber hinaus, was in der Zeitung steht. Außerdem hat Hillary Clinton nicht alles gelesen, was in Deutschland in den Medien berichtet wird.
Nützt den USA die Veröffentlichung nicht sogar? Jetzt ist klar, dass die USA gemeinhin besser über die Welt Bescheid wissen, als man ihr oft zutraut...
Wir sehen wenig Nutzen darin, dass vertrauliche Gespräche ans Licht kommen. Dass es hie und da ein paar positive Effekte gibt, fällt nichts ins Gewicht.
Warum hatten so viele Menschen Zugang zu den vertraulichen Daten?
Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wollte die Regierung den Informationsfluss zwischen den Behörden erleichtern. Vor den Anschlägen waren viele Informationen nutzlos, weil sie zwischen den Dienststellen nicht genügend ausgetauscht wurden. Das wollte man nach dem 11. September ändern. Dass jetzt zu viele Zugang hatten, darüber muss man reden.
Wird sich daran etwas ändern?
Nein, ich glaube nicht, dass wir zurück zur alten Abschottung kommen. Aber wird dabei die Sicherheitsstandards zu überprüfen.
Was bedeuten denn die „besonders wichtigen Ziele“ in Bayern, in Martinsried. Werden die besonders geschützt?
Gerade diese Angaben zeigen, wie verantwortungslos die Datenveröffentlichungen gelegentlich ist. Jetzt weiß jeder, inklusive El Kaida, wie wichtig manche Einrichtungen für uns sind.
Anderes Thema: Barack Obama wird hier zusehends als enttäuschender Hoffnungsträger gesehen. Woran liegt’s?
Aber es war abzusehen, dass die hohen Erwartungen nicht erfüllt werden können. Obama hat gesagt: Ich möchte lieber einige wichtige Reformen durchsetzen als wiedergewählt werden. Wenn man ihn in 20 Jahren beurteilt, wird seine Gesundheitsreform noch immer als historischer Schritt gesehen werden.
Irgendwann wird er kämpfen müssen - oder populistisch werden. Werden wir nach dem intellektuellen, abgehobenen, noch einen aggressiven Obama erleben?
Ich weiß nicht, wie er seinen Wahlkampf führen wird. Unklar ist, ob der neue Kongress wirklich auf Konfrontation geht. Obama ist von Natur aus ein Zentrist. Er scheint aber auf Kooperation zu setzen.
Wie ist das Verhältnis zu Deutschland? In der Bekämpfung der Wirtschaftskrise gibt es fundamentale Unterschiede zwischen der amerikanischen und der deutschen Politik. Der Ton erinnert an den zwischen Fischer und Rumsfeld im Jahr 2003.
Ich glaube, es gibt trotz aller Unterschiede eine starke gemeinsame Basis. Meinungsverschiedenheiten gibt es immer. Aber ich mache mir keine großen Sorgen.
Interview: mak. mm. tan. RBR. bö.