„Wir werden weiterhin sehr viel Gewalt erleben“

Der Syrien-Experte Guido Steinberg glaubt nicht an ein baldiges Ende des Bürgerkrieges. Im AZ-Interview spricht er über die Wirren des blutigen Konflikts.
von  Interview: Tobias Wolf
Der Islamwissenschaftler Guido Steinberg ist Terror-Experte am Deutschen Insitut für Internationale Politik und Sicherheit.
Der Islamwissenschaftler Guido Steinberg ist Terror-Experte am Deutschen Insitut für Internationale Politik und Sicherheit. © dpa

AZ: Herr Steinberg, Assad und seine Armee sind dabei, Aleppo zu erobern. Ist das der Anfang vom Ende des Bürgerkrieges in Syrien?
Guido Steinberg: Nein. Ich glaube, dass jetzt eine neue Phase beginnt. Für die Aufständischen wird der Verlust von Aleppo zwar eine schwere Niederlage sein, aber sie können in den ländlichen Gebieten weiter operieren. Und das syrische Regime dürfte nicht in der Lage sein, den Aufstand vollkommen niederzuschlagen.

Machthaber Assad erhält große Unterstützung aus Moskau und Teheran. Warum?
Letzen Endes wollen die Russen und Iraner ihren Verbündeten Assad nicht opfern. Und der Westen hat unterschätzt, wie viel diese beiden Länder bereit sind zu opfern – an Geld, aber auch an Menschenleben. Bei den Iraner ist der Wunsch, Assad zu stützen, so ausgeprägt, dass sie sogar Zehntausende Milizionäre aus dem Libanon, dem Irak, aus Afghanistan aber auch aus dem Iran selbst schicken.
Was haben Wladimir Putin und die Regierung in Teheran davon, wenn sie Assad an der Macht halten?
Beide Länder haben im Nahen Osten nicht so viele Verbündete. Und es geht natürlich auch darum, den Sturz von autoritären Herrschern zu verhindern, weil – in Russland zwar etwas weniger – die Sorge herrscht, dass wenn Assad stürzt auch die Hisbollah in Beirut von der Macht verdrängt werden und es letzten Endes auch der Islamischen Republik Iran an den Kragen geht.

Der syrische Bürgerkrieg ist verworren, es gibt etliche Kriegsparteien. Kann man da noch zwischen „gut“ und „böse“ unterscheiden?
Ich denke, dass wir da schon noch unterscheiden müssen. Prinzipiell ist das zwar schwierig, insbesondere wenn es um die Konfliktparteien vor Ort geht, also um Aufständische und Regime. Das Regime ist das eines Massenmörders. Und gemeinsam mit den Russen und Amerikanern werden ja nicht nur Terroristen, sondern auch Hunderttausende Zivilisten bekämpft – und das ganz bewusst. Die Aufständischen sind mehrheitlich Islamisten, mit den wir auch nichts zu tun haben wollen. Dagegen halt ich die Bekämpfung des IS durch die Amerikaner und Europäer und mittlerweile auch die Türken für absolut legitim und notwendig.

Hoffnung auf ein Ende des Krieges gibt es kaum.
Nein. Ich sehe für die nächste Zeit keine Lösungsmöglichkeit. Der Bürgerkrieg wird anhalten, nur in einer anderen Konstellation. Ich glaube, dass das Assad-Regime erst einmal den Kopf aus der Schlinge gezogen hat. Es wird auch seine Position im Westen des Landes weiter stärken können. Aber es wird nicht in der Lage sein, den Aufstand vollständig niederzuschlagen. Und deswegen werden wir, zwar auf einem etwas niedrigeren Niveau, weiterhin sehr viel Gewalt in Syrien erleben. Eine Rückkehr zum alten Syrien, zu diesem Einheitsstaat, wird es in den nächsten Jahren nicht geben.

Der Westen hat in Syrien mit dem Ziel eingegriffen, Assad zu stürzen. Wird er den Diktator nun doch dulden?
Ich glaube nicht, dass Assads Sturz noch das Ziel der Obama-Regierung in den letzten Jahren war. Es ging den Amerikanern und ihren Verbündeten nur noch um die Bekämpfung des IS. Die wenigen Aufständischen, auf deren Seite sich die westliche Allianz geschlagen hatte, wurden nur unterstützt, um den Druck auf Assad aufrechtzuerhalten. Aber ob diese Politik unter Donald Trump überhaupt noch weitergeführt wird, bezweifle ich. Die großen Kräfte haben sich damit abgefunden, dass Assad zumindest für die nächsten Jahre an der Macht bleibt.

Geht es insbesondere für Europa inzwischen nicht hauptsächlich darum, neue Flüchtlingsströme zu vermeiden?
Ja. Ich halte diese Politik, das Assad-Regime nicht zu bekämpfen, auch für richtig. Wir haben zunächst ein Interesse daran, dass der IS nicht wieder Anschläge wie in Paris oder Brüssel in Syrien planen kann. Und wir haben ein Interesse daran, dass der Flüchtlingsstrom nicht allzu groß wird. Dazu ist es ganz wichtig, dass dieses Rest-Syrien im Westen des Landes mit den großen Städten so lange wie möglich stabil bleibt. Wenn das unter Assad sein muss – und im Moment gibt es keine Alternative – dann sei das eben so. Auch wenn das schwer erträglich ist.

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