„Wir sind fit fürs Reich“

In Reinhardtsdorf-Schöna wählen 25,2 Prozent NPD – vier mehr als die CDU. Tief in der sächsischen Schweiz hat sich die NPD etabliert. Die Neo-Nazis geben sich als Bürger-Anwälte und unterwandern Sportvereine
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In Reinhardtsdorf-Schöna wählen 25,2 Prozent NPD – vier mehr als die CDU. Tief in der sächsischen Schweiz hat sich die NPD etabliert. Die Neo-Nazis geben sich als Bürger-Anwälte und unterwandern Sportvereine

Reinhardtsdorf-Schöna ist ein Urlaubsparadies. Touristen können im 1500-Seelen-Ort in der Sächsischen Schweiz Wanderrouten auf den Zirkelstein machen. Oder die barocke Kirche anschauen die Fachwerkhäuser und die spektakulären Felsen des Elbsandsteingebirges.

Doch nur wenige kannten diesen Flecken kurz vor der deutsch-tschechischen Grenze. Jetzt ist der Ort berühmt. Wegen der NPD. Reinhardtsdorf-Schöna – das braune Dorf. Im Tourismusamt melden sich schon die ersten: Kann man denn überhaupt noch dort Urlaub machen? Olaf Ehrlich sitzt in seinem Büro und schaut sich verbittert die Wahlergebnisse der Kommunalwahl vom Wochenende an. „Für mich ist das nur noch frustrierend“, sagt er. Ehrlich ist 39 und ehrenamtlicher Bürgermeister. 26,8 Prozent holten seine Freien Wähler. Zweitstärkte Kraft: die NPD mit 25,2 Prozent. Platz drei ging an die CDU, 21,7 Prozent, die Linkspartei bekam 15,6 Prozent. Weit abgeschlagen: die SPD: 3,7 Prozent.

Wie kann es sein, dass eine rechtsradikale Partei in einem Ort jeden vierten Wähler für sich gewinnt? Es ist diese Mischung aus Fassungslosigkeit, Bitterkeit und Resignation, die bei den Bürgern im Ort zu spüren ist. Und die Gewissheit: In der Vergangenheit wollte man das Problem verharmlosen. Jetzt scheint es zu spät zu sein: Die Rechten im Ort haben sich als Biedermänner eine Stammwählerschaft gesichert.

„Demokratie anstiften“

Olaf Ehrlich hat eine Bürgerinitiative ins Leben gerufen, Plakate drucken lassen mit dem Slogan „Demokratie anstiften“. „Das ist voll nach hinten losgegangen“, sagt er jetzt. Auch zu den Bürgersprechstunden, kommen nicht mehr Leute. Wer in Reinhardtsdorf-Schöna NPD wählt, redet nicht drüber. Und wer im Ort um Einschätzungen zur Kommunalwahl bittet, wird abgewiesen. Allerhöchstens wird gejammert – darüber, dass das Image dahin sei und dass all die Investitionen in den Tourismus vergeblich waren. „Ich weiß nicht, woran’s liegt“, sagt Bürgermeister Ehrlich. An der Arbeitslosen-Quote jedenfalls nicht, die liege im Landesdurchschnitt. „Vielleicht ist es die allgemeine Politikverdrossenheit. Aber wenn Jacobi auf der Wahlliste steht, dann wird er gewählt.“ Jacobi, diesen Namen hört man oft, wenn man nach den Gründen des Erfolgs der NPD fragt. Michael Jacobi, einer von zwei NPD-Männern im Gemeinderat. Michael Jacobi, der Klempner. Vor seinem Haus stehen zwar die Arbeitsschuhe fein säuberlich aufgereiht – an die Tür geht er nicht. Jacobi redet nicht mit der Presse.

„Dieser Mann hat schon eine Ausstrahlung“, sagt Gerda Viehring, die in Reinhardtsdorf-Schöna das Seniorenwohnheim leitet und nicht für Jacobi gestimmt hat. „Wenn was ist, dann hat er immer ein offenes Ohr für die Bürger.“ Bei 60 Prozent der Einwohner hat Jacobi die Heizung gemacht, schätzt Bürgermeister Ehrlich.

Die Jacobis gehören im Ort zu den angesehensten Familien. Nach seinem Großvater ist eine Straße benannt, Der war Landarzt, erzählt Ernst Fink. Fink ist pensionierter Lehrer, unterrichtete auch den Sohn von Michael Jacobi. Eines Tages brachte der eine CD mit rechtsradikaler Musik mit in die Schule – Fink beschlagnahmte sie. Seitdem sind Fink und Jacobi Feinde. Fink sitzt für die Linkspartei im Gemeinderat, Jacobi für die Rechten.

„Ich kann nichts beweisen.“

Fink sagt, dass es die Rechten auf ihn abgesehen haben. Mehrmals seien seine Autoreifen durchstochen und die Rad-Muttern gelockert worden. Nur: „Ich kann nichts beweisen.“

Die politische Großwetterlage hilft der NPD auch: Mindestlohn? Soziale Gerechtigkeit? Immer häufiger sieht Fink auf Veranstaltungen er Linken Rechte, die fleißig mitschreiben. „Die übernehmen unsere soziale Kritik und setzen noch die Fremdenfeindlichkeit drauf. Nur ,Ausländer raus’ sagen die auch nicht mehr.“

Vor zwei Jahren wurde Olaf Ehrlich Bürgermeister. Sein Vorgänger hatte ziemlich viel falsch gemacht. Er wollte die Gemeinde mit dem benachbarten Bad Schandau fusionieren, um den Einfluss der Rechten zu schmälern.

Bürgerentscheid für die Eigenständigkeit

Jacobi machte einen Bürgerentscheid für die Eigenständigkeit, 92 Prozent der Bürger waren auf seiner Seite. Und die anderen Parteien waren blamiert. Eine neue Kläranlage, die hohen Spritpreise, Ungerechtigkeiten bei Hartz IV – „das treibt die Leute um“, sagt Ehrlich. Im Gemeinderat geben die beiden Rechten nicht etwa die Krawallbrüder wie ihre Freunde aus dem Dresdner Landtag – „Die treten ganz normal auf und blockieren auch nie.“

Und doch, immer wenn die Rechten irgendwo im Ort dabei waren, kam ihr braunes Gedankengut irgendwann hervor. Beim Jugendclub zum Beispiel. Den hatten die Nazis unterwandert, bis er schließlich inoffizieller Hauptsitz der SSS war – der „Skinheads Sächsische Schweiz“. Erst als Rechtsradikale Polizisten mit „Sieg Heil“ begrüßten, wurde der Club geschlossen. Oder das Fußballturnier. Per Klage drückte Jacobi durch, dass die NPD das Turnier austragen durfte. Das Team aus Schöna trug einen Slogan auf dem Trikot: „Wir sind fit fürs Reich.“ Was hat Ehrlich nicht alles gemacht: Konzerte, Theaterstücke gegen Fremdenfeindlichkeit. Bildhauer-Kurse für Jugendliche, ein neuer Jugendclub – es half nichts. Jetzt ist sogar schon Idealist Ehrlich soweit, dass er ans Aufhören denkt. „Wenn die NPD bei den nächsten Gemeinderatswahlen noch mehr Sitze im Gemeinderat bekommt, werde ich mich fragen, ob ich mir das antun muss.“

Volker ter Haseborg

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