Wir sind alle verdächtig

Wer telefoniert, mailt oder online surft, wird mit seinen Verbindungsdaten für sechs Monate gespeichert. Der Sinn ist fraglich. Jetzt verhandelt Karlsruhe darüber, ob die Sammelei rechtens ist
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News

Wer telefoniert, mailt oder online surft, wird mit seinen Verbindungsdaten für sechs Monate gespeichert. Der Sinn ist fraglich. Jetzt verhandelt Karlsruhe darüber, ob die Sammelei rechtens ist

KARLSRUHE Diese Szene kennt jeder Krimizuschauer: Ein Mann auf der Flucht spricht noch ein paar Worte in sein Handy und wirft es dann in hohem Bogen weg. Denn kein Begleiter ist für Kriminelle gefährlicher als ein Handy: Die Polizei kann es exakt orten und verfolgen, wer mit wem wann spricht.

Genau deswegen interessieren sich die Strafverfolger auch so sehr für den Mobilfunk. Wie weit sie dabei gehen dürfen, diese Frage ist seit gestern ein Fall fürs Bundesverfassungsgericht. Die Karlsruher Richter müssen über die sogenannte Vorratsdatenspeicherung entscheiden. 35000 Bürger haben Verfassungsbeschwerde eingelegt. Die AZ klärt die wichtigsten Fragen:

Wer speichert was? Das umstrittene Gesetz aus dem Jahr 2007 verpflichtet alle Telekommunikationsfirmen, Handy- und Internetdaten aller Bundesbürger für sechs Monate zu speichern: alle gewählten Nummern, die Gesprächsdauer, den Handystandort sowie bei Internetverbindungen die Computerdaten, benutzte Mailadressen, nicht aber Gesprächs- oder Mailinhalte.

Warum ist das umstritten? Weil die Vorratsdatenspeicherung jeden Bürger ohne Ausnahme betrifft, behandelt sie auch jeden als potentiellen Kriminellen. Die Kläger sehen die Speicherung als weiteren Schritt auf dem Weg zum gläsernen Bürger. Die Bürger würden behandelt wie „Risikofaktoren, ohne dazu den geringsten Anlass gegeben zu haben“, sagt der frühere FDP-Bundesinnenminister Gerhard Baum, einer der Kläger. Zu ihnen gehört auch die jetzige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die damit praktisch gegen sich selbst klagt. Gestern erschien sie nicht in Karlsruhe.

Was bringt die Speicherei? Die Bilanz fällt zwiespältig aus. Der Datenschutzbeauftragte Peter Schaar wirft den Mobilfunkunternehmen vor, viel mehr Daten zu sammeln als nötig. In der Praxis hätten die Daten nur wenig Wert, weil organisierte Kriminelle und Terroristen wüssten, wie sie die Speicherung umgehen. BKA-Chef Jörg Ziercke dagegen verteidigt die Sammelaktion: „Wir brauchen Verkehrsdaten, um im Internet schwerste Kriminalität abwehren und verfolgen zu können.“ Ziercke erinnert an den vereitelten Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt in Straßburg im Jahr 2000: Die Gruppe sei durch Mobilfunkdaten geschnappt worden. Hätten diese länger als die damals geltenden drei Monate aufbewahrt werden können, hätten die Fahnder noch mehr Hintergründe aufklären können, so Ziercke.

Was sagen die Richter? Ihre Entscheidung fällt erst im Frühjahr. Selbst die Union rechnet damit, dass das Urteil den Datenschutz eher stärken wird. Schon im vergangenen Jahr hatte Karlsruhe in Eilentscheidungen die Nutzung der Daten eingeschränkt auf den Fall einer „dringenden Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit der Person“.mue

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.