"Wir müssen unser Schicksal selbst in die Hand nehmen"

Im Truderinger Bierzelt watscht Angela Merkel den US-Präsidenten ab und beschwört die neue Einigkeit der Unionsparteien.
von  Lisa Marie Albrecht
Bei Bier und Brezn ins Gespräch vertieft: Bundeskanzlerin Angela Merkel und der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer.
Bei Bier und Brezn ins Gespräch vertieft: Bundeskanzlerin Angela Merkel und der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer. © Matthias Balk

Am Ende stehen sie doch gemeinsam auf der Bühne. Und das, obwohl Horst Seehofer (CSU) vermeiden wollte, Seite an Seite mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Truderinger Festzelt fotografiert zu werden. Damit ihn die Paparazzi nicht in einem ungünstigen Moment erwischen und es nach Differenzen aussieht.

Doch davon kann gestern auf der CSU-Wahlkampfveranstaltung keine Rede sein. Der Ministerpräsident und Bundeskanzlerin Angela Merkel sprechen im Bierzelt der Truderinger Festwoche. Trotz der schwülen Temperaturen, die vom offenen Zelteingang am Ende bis hin zur Bühne immer drückender werden, gibt es keine hitzigen Diskussionen – sondern Einigkeit. Dafür muss ein anderer langjähriger Verbündeter einstecken.

Trotz der Hitze ist das Bierzelt mit 2100 Plätzen voll besetzt, viele weitere drängen sich stehend in den Ecken. Die Kanzlerin lässt sich beim Einzug von Salutschüssen der Truderinger Böllerschützen und Blasmusik vom örtlichen Musikverein feiern. Der Ministerpräsident überlässt ihr das Händeschütteln.

Sie nimmt neben Wolfgang Stefinger Platz, Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis München-Ost. Er kann seine Begeisterung über den Auftritt der Kanzlerin nicht verstecken, als er sie gleich einlädt, ein drittes Mal wiederzukommen – Merkel war bereits 2013 in Trudering.

"Willkommen in Bayern, Willkommen im Paradies"

Stefingers Co-Redner, der Landtagsabgeordnete Markus Blume (CSU), setzt auf klare Worte: "Willkommen in Bayern, Willkommen im Paradies" begrüßt er die Truderinger. Einen kleinen Seitenhieb auf die SPD gibt es auch noch, die ihre Wahlkampfveranstaltung am vergangenen Montag absagte: "Wer in Trudering vorm Bierzelt kneift, der kann auch nicht ins Kanzleramt", ruft er in Bezug auf Martin Schulz. Und verkündet außerdem zur bayerischen Leitkultur: "Hier trägt man Dirndl und nicht Burka."

In der Tat sind viele, vor allem Familien, in Dirndl und Lederhose erschienen: So wie Bushra und Marc Weidenbusch, die sogar ihrem achtjährigen Sohn Damian ein kleines Trachtenoutfit angezogen haben. Die Kanzlerin macht aber nicht mit. Sie betritt die Bühne im blaugrauen Blazer und weißer Leinenhose.

Und lobt Seehofers Regierungsarbeit in den höchsten Tönen. "Schaut nach Bayern" habe sie CDU-Wahlkämpfern in den vergangenen Monaten empfohlen. Sie bekommt viel Applaus, ebenso für den Länderfinanzausgleich: Die Reform soll Bayern um eine gute Milliarde entlasten. "Es kann nicht sein, dass ein Land die anderen Länder ständig ausgleichen muss", so Merkel.

Der meiste Applaus aber brandet auf, als Bundeskanzlerin Angela Merkel leidenschaftlich betont, "was für ein Schatz Europa ist" und dass sie für den Erhalt von dessen Werten kämpfen wird. Überall werden Schilder hochgehalten, auf denen "Klar für Merkel" steht.

Dann erteilt sie mit Blick auf den krisenhaften G7-Gipfel den USA und Donald Trump eine Abfuhr: "Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei, das habe ich in den letzten Tagen erlebt. Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen" – wenn auch, so Merkel weiter, in guter Nachbarschaft mit den USA, Großbritannien und auch Russland.

"Hau ab"-Sprechchöre und Pfiffe vor dem Zelt

Die meisten Truderinger sind begeistert von der Kanzlerin, die erst ganz am Ende ihrer Rede an dem Maßkrug vor ihr nippt. Doch vor dem Zelt ertönen immer wieder "Hau ab"-Sprechchöre und Pfiffe. Und als Merkel über den Terroranschlag in Manchester spricht – weswegen sie den ersten Termin im Festzelt abgesagt hatte – springen zweijunge Männer in Lederhose und mit Trachtenhut auf, rufen "Das sind Ihre Toten". Sie werden von den Securities entfernt.

Es ist Kritik an Merkels Flüchtlingspolitik, die auch Seehofer nicht unterstützt. Doch zu diesem Streitthema schweigt er gestern lieber. Er halte es da mit dem Rat einer ihm vertrauten Juristin: "Wer sich verteidigt, klagt an."

Zum Dank für ihren Auftritt bekommen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Seehofer von der CSU je einen Bierkrug als Geschenk überreicht – damit sie sich auch außerhalb vom Bierzelt zuprosten können, sagt Markus Blume. Artig singen sie Seite an Seite die Bayernhymne und das Deutschlandlied.

Doch ob die CDU/CSU-Harmonie halten wird, ist fraglich. Im nächsten Jahr steht die Landtagswahl an. Sollte die Union heuer gewinnen, wird Seehofer von Merkel Zustimmung zu CSU-Projekten wie etwa der Mütterrente fordern – Verhandlungen, bei denen das einvernehmliche "Prosit" eher unwahrscheinlich scheint.

Sonntagstrend - Emnid: SPD verliert weiter

Die SPD sinkt weiter in der Wählergunst. Im Emnid-Trend für die "Bild am Sonntag" verlieren die Sozialdemokraten erneut einen Prozentpunkt und erreichen nur noch 25 Prozent. Damit liegt SPD nun 13 Punkte hinter der Union, die bei 38 Prozent verharrt.
Die FDP erreicht mit acht Prozent (plus 1) ihren höchsten Wert im "Sonntagstrend" seit sieben Jahren. Sie liegt damit jetzt gleichauf mit Grünen (plus 1), Linken (minus 1) und AfD (unverändert), die ebenfalls 8 Prozent erreichen.

Zitat des Tages

SPD-Generalsekretärin Katarina Barley zum Auftritt im Bierzelt von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Horst Seehofer.
"Mich erinnern diese Versöhnungstreffen von Merkel und Seehofer an das Comeback von Modern Talking: Die waren auch komplett zerstritten und haben das übertüncht, um weiter Platten zu verkaufen."

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