„Wir lassen uns unseren Lebensstil nicht kaputt machen“

Ulrich Wickert spricht über „sein“ Paris im Ausnahmezustand, wie er die Rolle Deutschlands im Kampf gegen den Terror sieht und wie man gegen den IS vorgehen sollte.
Rosemarie Vielreicher |
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Erst vor wenigen Wochen ist Ulrich Wickert in Paris gewesen.
dpa Erst vor wenigen Wochen ist Ulrich Wickert in Paris gewesen.

Ulrich Wickert spricht über „sein“ Paris im Ausnahmezustand und wie er die Rolle Deutschlands im Kampf gegen den Terror sieht.

München - Paris ist für Ulrich Wickert die schönste Stadt der Welt. Der Journalist und Autor (72) ist dort zur Schule gegangen, er hat von dort jahrelang für die ARD berichtet, er hat viele Pariser Freunde. Während er momentan sein neues Buch „Mein Paris“ vorstellt, muss sich die französische Stadt erst einmal neu ordnen.

Im persönlichen Gespräch mit der AZ erzählt der Ex-Tagesthemen-Moderator, wie es ihm, seinen Freunden und der Stadt seines Herzens nach den Anschlägen geht.

AZ: Herr Wickert, die Bilder des Terrors von Paris machen die ganze Welt traurig. Wie geht es Ihnen?
Ulrich Wickert: Wahrscheinlich geht es mir wie allen anderen auch. Ich denke natürlich darüber nach, was passiert ist. Bei mir kommt hinzu, dass ich Freunde in Paris habe. Zudem habe ich in der Stadt andere Attentate erlebt, als ich dort als ARD-Korrespondent gearbeitet habe. Dadurch kenne ich die Angst, die sich in solch einer Situation verbreitet.

Haben Sie auch Angst?
Nein, ich habe keine Angst. Ich bin bedrückt.

Wie ist die Stimmung vor Ort?
Es herrscht eine große Nervosität. Die Stimmung ist aber auch: Wir lassen uns nicht unterkriegen. Der Alltag normalisiert sich langsam. Kinos laufen wieder, die Museen machen auf.

Beherrscht Paris also nicht mehr die lähmende Angst, wie es in den ersten Tagen des Anschlags berichtet wurde?
Es gibt natürlich auch Menschen, die Angst haben. Das sieht man ja an den panischen Reaktionen, als zum Beispiel jemand einen Feuerwerkskörper gezündet hat. Trotzdem sagen die Menschen in Paris: „Wir lassen uns unser Leben, unseren Lebensstil nicht kaputt machen.“ Das hat man schon kurz nach dem Terror von einigen Leuten gehört, die gesagt haben: „Ich gehe trotzdem weiter ins Bistro.“ Das Leben geht weiter.

Wie haben Sie von den Terror-Anschlägen erfahren?
Ich saß mit Freunden zusammen in einem Restaurant beim Abendessen in Berlin. Wir hatten die Handys an. Alle wollten wissen, wie das Fußballspiel steht – und plötzlich kommt diese Nachricht. Ich habe das Ganze später bis ein Uhr morgens im Fernsehen verfolgt und die französische Zeitung „Le Monde“ im Internet gelesen.

Sie haben in Paris Freunde. Geht es ihnen gut?
Gott sei Dank ist niemandem von ihnen etwas passiert.

Haben Sie sie gleich angerufen, als Sie von dem Terror gehört haben?
An dem Abend nicht mehr, aber am nächsten Tag. Unter meinen Freunden ist niemand, der ins Bataclan geht oder in die Ecke mit den betroffenen Bistros und Cafés, weil sie nicht in der Nähe wohnen. Aber man weiß ja nie.

Sie kennen Paris sehr gut. Welche Orte sind das, die die Terroristen angegriffen haben?
Dort leben ganz normale Menschen, es ist das ganz normale Leben. Das ist keine Touristenecke. Das Bataclan gibt es seit Jahrzehnten, dorthin gehen junge Leute. Das zeigt: Die Terroristen wollten ganz normale Menschen treffen. Sie zielten dieses Mal nicht auf „Charlie Hebdo“ oder Menschen, denen sie etwas Konkretes vorwerfen, sondern auf Leute, die das Lebensgefühl ausmachen. Sie finden unser Leben unmoralisch, etwa Alkohol zu trinken und so weiter.

François Hollande hat gesagt: „Frankreich ist im Krieg.“
Ja, natürlich ist Frankreich im Krieg. Das ist die Realität. Sie bombardieren seit Monaten Stellungen der Terroristen in Syrien und im Irak. Es ist doch Krieg, wenn man Bomben abwirft. Sie haben auch in Mali Krieg geführt. Da kann man jetzt nicht sagen: Krieg – was für ein böses Wort.

Frankreich fliegt Luftangriffe gegen den Islamischen Staat. Ist das die richtige Methode gegen die Terroristen?
Schaden tut es nicht. Man muss aber mehr machen. Das wissen auch alle, dass das nicht reicht.

Was zum Beispiel?
Zwei Dinge sind nötig: Man muss ihnen die wirtschaftlichen Grundlagen nehmen und man muss ihnen die Waffen beziehungsweise die Waffenzufuhr nehmen.

Ist das umsetzbar?
Das Problem ist, dass jeder seine eigenen Ideen hat, wie man in Syrien vorgeht. Man kann nur hoffen, dass sich aus den Syrien-Gesprächen in Wien etwas entwickelt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte angekündigt, es werde eine gemeinsame Antwort geben.
Es steht nicht zur Debatte, dass Deutschland militärisch angreift. Wir rüsten die Peschmerga auf und haben sie auch schon in der Kriegsführung unterrichtet. Wir sind in der Hinsicht schon aktiv.

Ist auch Deutschland in Terror-Gefahr?
Deutschland ist genauso in Gefahr. Es sind deutsche junge Menschen in Syrien, die sich dort ausbilden lassen. Deutschland ist gefährdet, gar keine Frage.

Wie sollte sich die Bundesregierung jetzt verhalten?
Wir müssen uns überlegen, wie wir zur Konfliktlösung in Syrien beitragen können. Ich sehe von unserer Seite vor allem die Frage der Diplomatie. Wir können keinen weiteren militärischen Beitrag darüber hinaus leisten, was wir bis jetzt schon tun.

Ihr Buch heißt „Mein Paris“. Was bedeutet Ihnen die Stadt?
Paris ist für mich Heimat. Das hat damit zu tun, dass ich dort in die Schule gegangen bin, dass ich dort unheimlich lange als Korrespondent gearbeitet habe, dass ich immer wieder da bin. Ich brauche nur über die Straße zu gehen, dann treffe ich schon einen Freund. Das ist wunderbar – genau dann ist man zu Hause. Ich fühle mich dort wohl.

Wird Ihr Paris auch nach den Anschlägen wieder so werden wie früher? Ja, da habe ich gar keine Sorge. Ich habe die Anschläge 1986 erlebt, auch 1995. Und ich hoffe sehr, dass die Angst auch dieses Mal wieder weggeht.

 

Zur Person:
Der frühere Tagesthemen-Moderator Ulrich Wickert (72) lebte in seiner Jugend von 1956 bis 1959 in Paris. 1978 wurde er Paris-Korrespondent, 1984 übernahm er das ARD-Studio in der französischen Hauptstadt. Sein erstes Buch über Frankreich erschien 1989: „Frankreich, die wunderbare Illusion.“ 2015 ist das Buch „Mein Paris“ publiziert worden.

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