"Wir brauchen keine neuen Paragraphen"
Sollen Freier von Zwangsprostituierten bestraft werden? Das löst das Problem nicht, findet die Leiterin der Beratungsstelle Hydra
MÜNCHEN AZ: Frau Wiegratz, in Frankreich drohen Freiern bald hohe Geldstrafen. Was halten Sie davon?SIMONE WIEGRATZ: Kriminalisierung der Kunden und Bestrafung kann nie die Lösung sein. Das führt nur dazu, dass Prostitution in Bereiche geht, die wir als Gesellschaft noch weniger einsehen können.
Was finden Sie schlecht an den Plänen, in Deutschland Freier von Zwangsprostituierten zu bestrafen? Aus unserer Sicht gibt es keine Zwangsprostitution. Entweder gibt es ein Einverständnis für sexuelle Handlungen. Dann handelt es sich um ein freiwilliges Geschäft. Oder die Verhältnisse sind so, dass Drohungen und Gewalt im Spiel sind. Da wird jemand gegen seinen Willen festgehalten und als Drohung zum Beispiel der Pass einbehalten. Das verstehen wir nicht unter Prostitution. Das ist Menschenhandel und dafür muss nicht das Prostitutionsgesetz geändert werden.
Es heißt, dass 90 Prozent der Sexarbeiter Armuts- und Zwangsprostituierte sind. Diese Zahlen kann ich nicht bestätigen. Was heißt Zwang? Da spielt ökonomischer Zwang hinein und dem bin ich auch ausgesetzt. Wir erleben in unseren Beratungen überwiegend Prostituierte, die diesen Beruf freiwillig machen.
Wie lässt sich Ihrer Meinung nach Frauen helfen, die gegen ihren Willen anschaffen gehen müssen? Auf keinen Fall braucht es neue Strafrechtsparagraphen. Davon gibt es ausreichend, aber das Problem ist, dass die Frauen keine Anzeige erstatten. Deswegen sind aufgeklärte Freier so wichtig. Freier, die sich outen können. Doch davon sind wir gesellschaftlich weit entfernt. Freier werden verdammt. Jemand, der so geächtet wird, den erreichen keine Präventionsmaßnahmen.
Wie sollen solche Präventionsmaßnahmen Ihrer Meinung nach aussehen? Wir haben die Erfahrung gemacht, dass schon heute Freier bei uns nachfragen, wie sie erkennen können, dass eine Frau erpresst wird. Denen sagen wir: Achtet darauf, wie geworben wird. Bei Sprüchen wie ’Alles ohne’ oder Fotos von erkennbar Minderjährigen müssen die Alarmglocken schrillen. Auch Flatrate- und Discount-Ansätze haben im Bereich Prostitution nichts verloren. Bei eindeutigen Anzeichen von Misshandlungen sind Hilfsorganisationen oder Polizei zu informieren.
Stimmt es, dass die meisten Fälle von Zwangsprostitution durch Freier aufgedeckt werden? Zumindest haben sich an uns schon viele Männer mit solchen Hinweisen gewendet.
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