„Wir brauchen eine neue fünfte Klasse“

Der Schulwechsel nach der vierten Klasse ist bislang Stress pur für Eltern und Kinder. Jetzt soll alles besser werden - die bayerische Regierung hat sich auf neue Übertrittsregeln geeinigt
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Ein Kreuz bei einer Schulart: So wird für Zehnjährige ihr Weg festgelegt.
dpa Ein Kreuz bei einer Schulart: So wird für Zehnjährige ihr Weg festgelegt.

MÜNCHEN - Der Schulwechsel nach der vierten Klasse ist bislang Stress pur für Eltern und Kinder. Jetzt soll alles besser werden - die bayerische Regierung hat sich auf neue Übertrittsregeln geeinigt

Das bayerische Kabinett hat gestern die neuen Übertrittsregeln vorgestellt: Hauptziel sei, etwas Druck von den Viertklässlern zu nehmen, so Kultusminister Ludwig Spaenle. Unter anderem dürfen Eltern etwas mehr mitreden - und sie sollen früher beraten werden. An den Notengrenzen (2,33 fürs Gymnasium beziehungsweise 2,66 für die Realschule) ändert sich aber nichts. Die AZ sprach mit FDP-Bildungsexpertin Renate Will, die maßgeblich an den Regelungen mitgearbeitet hat.

AZ: Ministerpräsident Horst Seehofer und sein Schulminister Ludwig Spaenle lassen sich feiern, weil sie den Kindern beim Übertritt aufs Gymnasium etwas Druck nehmen.

RENATE WILL: Ohne die FDP wäre hier nicht viel passiert. Schon im Koalitionsvertrag war für uns ein entscheidender Punkt, dass der Übertritts-Stress für Eltern und Kinder wegfallen muss. Was Herr Seehofer und Herr Spaenle jetzt vorlegen, ist das Ergebnis harter Verhandlungen. Es mussten Ziele definiert werden.

Und was ist Ihr Ziel?

In einem guten Schulsystem müssen möglichst viele Schüler ihren Talenten entsprechend Abschlüsse machen können. Wir brauchen höhere Abschlüsse. Wir müssen darauf achten, dass es nicht mehr so viele Wiederholer und Abbrecher gibt. Die kosten die Gesellschaft auch Geld.

Wie schwer war es, die CSU zu überzeugen?

Es war relativ schwer, der CSU beizubringen, dass es eine ganz neue fünfte Klasse braucht. Durch Stärken- und Schwächenanalysen, durch Fördern von Leistungsstärkeren und -schwächeren wird in diesem Jahr die Entscheidung mit Eltern und Lehrern gefällt, ob es die richtige Schule für das Kind ist. So eine Gelenkklasse wollte die CSU nicht.

Gelenkklasse?

Es war meine Idee, dass wir etwas einbauen müssen, wo die Kinder noch Zeit haben, sich zu entwickeln. Aber auch wo sie beobachtet werden, ob sie geeignet sind für diese Schulart. Dabei habe ich immer so an meinem Handgelenk gespielt und gesagt: Es muss so ein Scharnier geben, wo noch was zu revidieren ist, bevor man eine falsche Schullaufbahn einschlägt und es zu Schulabbrechern kommt. Seehofer hat gesagt: Dann nennen wir es doch einfach Gelenkklasse.

Wurde gestritten oder war die CSU schnell einsichtig?

Ich musste sehr viel erklären. Bisher werden Mathe, Deutsch, Heimat- und Sachkunde bewertet. Wir haben uns geeinigt, dass die dritte Note nach Mathe und Deutsch, eine ganzheitliche Bewertung sein muss. Wenn sich ein Kind besonders für Musik oder Biologie interessiert oder eine besondere Sozialkompetenz zeigt, wurde das bisher überhaupt nicht berücksichtigt.

Wo konnten Sie sich nicht durchsetzen?

Ich hätte die Gelenkklasse gerne an der Grundschule angesiedelt. Die CSU lehnt das strikt ab. Im Koalitionsvertrag ist jetzt ein Modellversuch an einer Schule vorgesehen. Dann werden wir sehen, wo die Kinder besser abschneiden.

Ärgert es Sie, dass der Ministerpräsident Sie als eigentliche Initiatorin für Veränderungen im Bildungsbereich völlig verschweigt?

Ja. Die CSU hat es offensichtlich noch nicht gelernt, dass es im Bildungsbereich Defizite gibt. Die glauben noch immer, nur sie selbst machen alles richtig. Aber ich bin auch sehr stolz, weil ich im Bildungsbereich ganz schön Druck auf sie ausübe. Ich werde weiterhin Motor und Korrektiv sein.

Die wichtigsten Neuerungen beim Übertritt

- Elternwille: Er ist künftig entscheidend, wenn alle Stricke reißen. Schafft das Kind im dreitägigen Probeunterricht in Mathe und Deutsch eine Vier, können die Eltern auf ihre Verantwortung den Sprössling aufs Gymnasium schicken.

- Notengrenze: Sie bleibt. Fürs Gymnasium sind das im Schnitt 2,33. Für die Realschule 2,66. Wer den Durchschnitt nicht schafft, darf in den Probeunterricht. Wer dort in Deutsch und Mathe eine Drei und Vier schafft darf automatisch auf die weiterführende Schule.

- Schulstress: Proben werden künftig angesagt, eine Richtzahl festgelegt. Dazu werden prüfungsfreie Lernphasen eingerichtet.

- Förderung: Sie soll schon in der 4. Klasse intensiviert werden – aber nur eine Stunde pro Woche und nur, wenn die Klasse mehr als 25 Kinder hat. Die Klasse wird dann geteilt. In der fünften Klasse soll es in allen Schulzweigen verstärkt Förderung für schwächere und stärkere Schüler geben.

- Elternberatung: Sie soll schon in der dritten Klasse einsetzen. Wenn Eltern das Gefühl haben, der Lehrer mag ihr Kind nicht, können sie auch einen „Externen“, den Schulpsychologen oder -soziologen zuziehen.

Interview: Angela Böhm

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