„Wir amputieren am laufenden Band“

Die Krankenhäuser in Gaza sind völlig überfordert, die humanitäre Lage ist "beänstigend schlimm", warnt die Uno. Alleine gestern gab es 34 Tote bei einem Angriff auf eine Uno-Schule
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Gleich drei verletzte Kinder werden auf einem einzigen Bett gleichzeitig versorgt: Die Lage in den Krankenhäusern ist prekär. Fotos: rtr
az Gleich drei verletzte Kinder werden auf einem einzigen Bett gleichzeitig versorgt: Die Lage in den Krankenhäusern ist prekär. Fotos: rtr

GAZA - Die Krankenhäuser in Gaza sind völlig überfordert, die humanitäre Lage ist "beänstigend schlimm", warnt die Uno. Alleine gestern gab es 34 Tote bei einem Angriff auf eine Uno-Schule

Nach zehn Tagen ununterbrochener Angriffe ist die humanitäre Lage im Gazastreifen dramatisch. Internationale Organisationen wie die Uno und das Rote Kreuz schlagen jetzt massiv Alarm: „Die Lage ist beängstigend schlimm“, so Uno-Vertreter John Holmes in New York. Sie fordern eine Feuerpause, damit den Palästinensern mit dem Nötigsten geholfen werden kann.

„Nach jedem Maßstab ist die Bevölkerung von Gaza von einer beispiellosen Krise betroffen“, sagte Uno-Koordinator Philippe Lazzarini in Jerusalem. „Das ist eine humanitäre Krise in vollem Ausmaß. Und die Nacht auf Dienstag war die bisher schrecklichste“, so Pierre Krähenbühl vom Roten Kreuz.

Alle Fenster der Klinik sind zerstört - bei sieben Grad Celsius

Besonders hart ist es im Schifa-Krankenhaus, dem größten im Gazastreifen. „Die Korridore sind voll von Verstümmelten“, sagte Mads Gilbert, ein norwegischer Arzt. „Wir amputieren am laufenden Band.“ In der Leichenhalle steht Blut in Pfützen auf dem Boden, in jede Kühlkammer sind zwei Leichen gezwängt, der Rest liegt auf dem Boden. Alle Fensterscheiben der Klinik sind zerstört. Gilbert: „Draußen hat es nur sieben Grad. Alle Patienten frieren.“

Allein am Montag seien 35 Patienten in der Notaufnahme gestorben, so der norwegische Narkosearzt. Bisher seien 117 Kinder getötet und 744 verletzt worden; allein am Montag kamen 20 Kinder ums Leben. Im Schifa-Hospital werden nur Zivilisten angeliefert; die Hamas bringt Verletzte woanders hin.

"Alle hier sind traumatisiert"

Den Helfern fehlt es an allem: schmerzstillende Medikamente, Betäubungsmittel, Blutkonserven, Laken und Leichensäcke, schreibt das Rote Kreuz in einem dringenden Appell. Großes Problem ist auch die Stromversorgung: Die Klinik läuft nur noch mit Notaggregaten, die zum Teil reparaturbedürftig sind. Im ganzen Gazastreifen sind mittlerweile 75 Prozent der Menschen ohne Strom und 70 Prozent ohne Trinkwasser. Auch die Versorgung mit Nahrungsmitteln ist prekär, warnt das World Food Programme, weil sich angesichts der Kämpfe kaum jemand aus dem Haus traut, um wenigstens zu den Verteilungsstellen der Hilfsorganisationen zu gelangen. Die meisten Bäckereien arbeiten ohnehin nicht mehr.

Gestern wurde auch eine Uno-Schule von einer israelischen Bombe getroffen, in die sich 450 Palästinenser geflüchtet hatten, weil sie dachten, dort wären sie sicher. 34 Menschen starben, nach anderen Berichten sogar 40. „Niemand ist sicher im Gazastreifen“, sagte John Ging, Leiter der UN-Vertretung Gaza, nach dem Angriff auf die Schule bitter. „Alle hier sind terrorisiert und traumatisiert.“ Man habe der israelischen Armee extra die geografischen Daten der Schule übermittelt.

Vier Israelis sterben durch "friendly fire"

Militärisch haben die Kämpfe noch an Heftigkeit zugenommen. Die israelische Armee und die Hamas lieferten sich Straßenkämpfe auf dicht besiedeltem Gebiet. Am Montag und am Dienstag kamen jeweils mindestens 50 Palästinenser ums Leben. Die Gesamtzahl der Toten stieg damit auf 540. Auf israelischer Seite sind bisher fünf Soldaten ums Leben gekommen, darunter vier durch „friendly fire“, also versehentlichen Beschuss durch eigene Kameraden.

Israel lehnt eine Waffenruhe aber weiter ab. „Sie würde nur der Hamas in die Hände spielen“, so ein Sprecher des Außenministeriums. "Wir müssen der Hamas eine Lektion erteilen."

Geheimsache Krieg

Die israelische Offensive im Gazastreifen findet praktisch ohne internationale Beobachter statt. Die israelische Regierung verweigert Journalisten seit 27. Dezember den Zugang zum Gazastreifen. Zahlreiche Reporter hängen frustriert an der Grenze fest. „Israel hat noch nie den Zugang für Medien derart eingeschränkt. Es sollte sich schämen“, sagt Ethan Bronner von der „New York Times“. Auch ein Urteil des obersten israelischen Gerichts, dass acht Pool-Reporter in den Gazastreifen dürfen, wurde bisher nicht umgesetzt.

So setzen viele große internationale Medien auf palästinensische Mitarbeiter vor Ort, die sich als neutral und hamas-kritisch erwiesen haben. Dazu gibt es jede Menge drastischer Berichte arabischer Medien. CNN ermuntert auf seiner Homepage nun jeden, Videos und Berichte aus Gaza hochzuladen.

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