Wilde Atomdebatte im Landtag - Söder spielt den Germanisten
MÜNCHEN - Auftakt nach der Sommerpause: Schwarz, Gelb und Grün streiten über Laufzeiten. Aber die bayerischen Volksvertreter nahmen ihre erste Sitzung nach den Sommerferien nicht so ernst. Über die Hälfte der Abgeordneten schwänzten.
Die einen hatten offensichtlich zu lange auf dem Oktoberfest gefeiert, die anderen null Bock auf eine Rede der Grünen zum Atomkompromiss. Ministerpräsident Horst Seehofer war eh nicht da. Er tourt durch Südafrika und kündigte dort an, dass er künftig nicht mehr so viel reisen wolle. So nahmen die bayerischen Volksvertreter ihre erste Sitzung nach den Sommerferien nicht so ernst. Über die Hälfte der Abgeordneten schwänzte am Donnerstag das Plenum. Dabei brachten die Grünen den Landtag richtig zum Glühen und sorgten für einen handfesten Atomstreit.
Genüsslich rieben sie der CSU/FDP-Koalition den umstrittenen Atomkompromiss der Kanzlerin unter die Nase. Schließlich ist kein anderes Bundesland von Merkels Atom-Deal so betroffen wie der Freistaat. Gleich fünf der derzeit 17 deutschen Kernkraftwerke stehen in Bayern. Darunter mit Isar 1 das älteste, das im nächsten Jahr abgeschaltet werden sollte und nun bis 2019 laufen darf. Auf drei radioaktiven Mülldeponien lagern inzwischen 54 Castor-Behälter. Jedes Jahr fallen 160 Tonnen Atommüll an.
„Der Kanzlerin steht es nicht zu, als ehemalige DDR-Bürgerin von einer Revolution zu sprechen. Das ist eine Konterrevolution“, giftet der grüne Abgeordnete Ludwig Hartmann. „Es steht Ihnen nicht zu, irgendjemand wegen seiner Herkunft einen Maulkorb zu verpassen“, empört sich FDP-Fraktionsgeschäftsführer Tobias Thalhammer.
Ex-CSU-Chef Erwin Huber kontert: „Das Energiekonzept des Bundes ist im Interesse Bayerns. Bayern unterstützt es.“ Den Grünen wirft er vor, sie wollten ein „Abschalten nach dem Prinzip Steckdose“. Huber: „Der Strom kommt aus der Steckdose und wie er rein kommt, darum kümmern wir uns nicht.“ Die Grüne Ulrike Gote ruft dazwischen. Von der CSU-Seite plärrt Alexander König zurück: „Hören Sie doch mit dem Schreien auf. Das ist ja schrecklich, dieses Gequietsche.“
„Ohne Kernkraft schaffen wie eine Umstellung auf regenerative Energien nicht“, behauptet Huber. „Den Atommüll karren wir Ihnen dann in Ihren Garten“, giftet der SPD-Abgeordnete Ludwig Wörner den CSU-Politiker an. Ulrike Gote schreit weiter dazwischen. Lebensminister Markus Söder, einer der wenigen Minister, die überhaupt gekommen sind, verlässt lieber den Saal und geht draußen ein bisschen spazieren. Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) verteidigt die Verlängerung der Laufzeiten: „Markus Söder und ich waren bei den Verhandlungen in Berlin dabei. Wir haben wertvolle Vorarbeit geleistet und Denkanstöße gegeben.“ Und: „Mit der Lebenslüge des Atomausstiegs machen wir jetzt Schluss.“
Am Ende entpuppte sich Lebensminister Markus Söder als Germanist. Er wollte das letzte Wort haben und korrigierte die Grünen, die „mit heißen Demos“ drohen, wo man sich „warm anziehen muss“. Söder: „Das passt wohl nicht zusammen: heiße Demos und warm anziehen.“
So wie der ganze Auftakt nach den Sommerferien. Landtagsvizepräsident Reinhold Bocklet rügt zum Ende die bayerischen Abgeordneten: „In der Geschäftsordnung ist von Zurufen die Rede und nicht von Zuschreien."
Angela Böhm