Wikileaks: Die Online-Enthüllung wird zum globalen Politthriller

LYON - Mit seinen jüngsten Enthüllungen machte sich Julian Assange Regierungen weltweit zum Feind. Jetzt jagt ihn Interpol, aber wegen einer ganz anderen Geschichte: Es geht um Vergewaltigung
„Wanted: Assange, Julian Paul.“ Mit diesem Steckbrief fahndet Interpol jetzt weltweit nach dem schillernden Chef des Internet-Projekts Wikileaks. Den würden vermutlich viele Politiker wegen seiner virtuellen Enthüllungen gern hinter Gittern sehen. Der Grund für die Suchaktion ist aber höchst handfest: Dem 39-Jährigen wird in Schweden Vergewaltigung und sexuelle Belästigung vorgeworfen.
Mit dem Interpol-Steckbrief wird die Geschichte um den gehetzten Australier jetzt endgültig zum globalen Politthriller. Assange ist von der Bildfläche verschwunden: ob nur abgetaucht oder auf der Flucht, ist Interpretationssache. Während die Hunderttausende von geheimen Staatsdokumenten Regierungen weltweit in Alarm versetzen, ist vom Wikileaks- Chef nichts zu sehen.
Präsent aber ist er sehr wohl. Per – natürlich – Internettelefonat über den Dienst Skype meldete sich Assange beim US-Magazin Time. Dort drehte er wieder am ganz großen Rad: Außenministerin Hillary Clinton müsse zurücktreten, forderte er in dem angeblich abhörsicheren Gespräch, für den Fall, dass sie Spionage von US-Diplomaten bei der UN gedeckt hätten.
Angeblich lebt er aus dem Koffer, übernachtet unauffällig bei Freunden und ist bemüht, keine Spuren zu hinterlassen. Das dürfte für ihn nach dem Interpol-Aufruf deutlich schwerer werden. Der verpflichtet zwar die 188 Mitgliedsstaaten rein juristisch nicht zur Festnahme. In der Praxis kommt er aber einem globalen Haftbefehl gleich. Assange ist damit weit oben auf der Liste der meistgesuchten Menschen der Welt.
Die Vorwürfe gegen ihn sind nicht neu: Schon im August gab es einen schwedischen Haftbefehl gegen Assange. Zwei Schwedinnen hatten ihm sexuelle Angriffe vorgeworfen. Mehrere mit dem Fall befasste Staatsanwältinnen werteten den Fall unterschiedlich: Der Haftbefehl wurde erst aufgehoben und nun wieder in Kraft gesetzt. Assange selbst bestreitet alle Vorwürfe und hält sie für ein Komplott der USA.
Auch sich selbst hält er offenbar für gefährdet: Er wähnt die Geheimdienste auf seinen Fersen. „Seit April haben wir keine Ruhe mehr“, seufzte er in einem in dieser Woche veröffentlichten Interview. April – das war der Zeitpunkt, zu dem Wikileaks mit seiner Vorläuferaktion für Furore sorgte. Damals enthüllt: Hintergründe zu einem US-Angriff auf Zivilisten im Irak.
Netzwerke faszinieren den Onlinefreak schon seit seinen Jugendtagen. Mit 24 machte er die Behörden erstmals durch Hacker-Aktivitäten auf sich aufmerksam. Nun scheint er auch intern gehörig unter Dampf zu stehen. Ein Ex-Mitarbeiter, der frühere Wikileaks- Sprecher Daniel Domscheit- Berg berichtet, Assange habe sich innerhalb der Organisation gegenüber einem Mitarbeiter herrisch aufgeführt: „Ich bin das Herz und die Seele dieser Organisation, ihr Gründer, Theoretiker, Sprecher, erster Programmierer, Organisator, Finanzier und alles Übrige“, so Assange: „Wenn du ein Problem mit mir hast, verpiss Dich.“