Wie tickt der Neue?

Jorge Bergoglio ist eine zwiespältige Figur: Er kämpft gegen den Kapitalismus genauso vehement wie gegen die Homo-Ehe
von  sun, tan

ROM Wer ist dieser Franziskus? Er ist bescheiden, ironisch – und vielleicht feige im Umgang mit Diktatoren. Er kämpft vehement für die Armen – aber gegen Homosexuelle. Er kommt aus Südamerika – und liebt russische Literatur. Jorge Bergoglio (76), der neue Papst, ist ein Mann mit vielen, teils zwiespältigen Facetten. Er ist der erste Nicht-Europäer seit 1300 Jahren auf dem Papst-Thron (seit dem Syrer Gregor III.), ein linksliberaler Progressiver oder Befreiungstheologe ist er nicht.

Seinen ersten Arbeitstag begann er mit einer Geste der Bescheidenheit: Nein, er wolle nicht mit der bereitgestellten Limousine vom Gästehaus in die Basilika Santa Maggiore fahren, erklärte Papst Franziskus, er nehme den gleichen Bus wie die anderen Kardinäle auch. Sein Gepäck checkte er persönlich aus. In der Basilika sprach er – in Begleitung von Benedikts Vertrautem Georg Gänswein – ein Gebet, für den Nachmittag war eine Messe in der Sixtinischen Kappelle geplant. Am Sonntag will er sich beim Angelusgebet erstmals einer großen Öffentlichkeit präsentieren, am Dienstag ist die offizielle Amtseinführung. Auch ein Treffen mit Benedikt ist für die nächsten Tage geplant.

Im Vergleich der beiden werden die Unterschiede deutlich: Franziskus’ Hauptthema ist der Kampf gegen Armut und Ungerechtigkeit. Das Soziale sei der Hauptauftrag der Kirche, nicht die Schlacht um abgehobene Glaubensdoktrinen. Eine deutlich andere Ausrichtung als der eher menschenscheue Denker Joseph Ratzinger, der sich mehr am philosophischen Widerstreit zwischen Vernunft und Glauben abgearbeitet hat als persönlich in Slums herumzulaufen und mit den Leuten zu reden. Zum Liberalen macht das den Argentinier allerdings nicht. So denkt er über:

Frauen. Eine stärkere Rolle in der Kirche (oder auch sonst) lehnt er klar ab: „Frauen sind von ihrer Natur her nicht imstande, politische Ämter zu übernehmen. Die natürliche Ordnung lehrt uns, dass der Mann ein politisches Wesen schlechthin ist,... die Frau immer Helferin des denkenden Mannes, aber nicht mehr.“

Homosexuelle: Die Gleichstellung von homosexuellen Partnerschaften mit der Ehe in Argentinien 2010 hat er vehement bekämpft. „Das ist keine normale politische Auseinandersetzung, das ist ein zerstörerischer Angriff auf den Plan Gottes“, nannte er die Homo-Ehe. In diesem Projekt zeige sich der „Neid des Teufels“.

Sexualmoral. Generell beklagt er die „moralische Misere“ – gleichzeitig kritisierte er aber Priester seines Bistums als „scheinheilig“, wenn sie unehelichen Kindern die Taufe verweigerten, und engagiert sich für Aidskranke. Kondome sind für ihn ein Tabu. Ebenso lehnt er Abtreibungen unter allen Umständen, auch nach einer Vergewaltigung. „Es geht ja um zwei Leben, das der Mutter und das des Ungeborenen, beide ein absoluter Wert.“

Armut und Ungerechtigkeit. Das ist sein Hauptthema. „Die ungleiche Verteilung von Gütern ist eine soziale Sünde, die zum Himmel schreit“, sagt er immer wieder. Er prangert Korruption an, spricht über Kapitalismus, Globalisierung, den internationalen Währungsfonds – und die „unerträgliche Rolle des Geldes“. Anerkennung hat er sich in Argentinien verschafft, dass er diese Überzeugung auch selbst lebt. Er verzichtet auf jeglichen Pomp, fährt U-Bahn und Bus, kauft sein Essen im Supermarkt, kocht selbst und lebt sehr asketisch.

Die Diktatur. Ein dunkler Fleck in seiner Vergangenheit. „Er ist eine Katastrophe“, sagen einige in der argentinischen Gemeinde Münchens: Sie nehmen ihm seine Haltung zur Militärdiktatur (1976 bis 1981) übel. Der schwerste Vorwurf betrifft zwei Jesuiten, die fünf Monaten gefangen gehalten und gefoltert wurden. Er hätte sie in seinem Orden schützen können, sagen Kritiker. Er habe keine Möglichkeit dazu gehabt, sagt er selbst. Wer recht hat, lässt sich heute kaum klären. Er habe sich bei Junta-Chef Videla angebiedert und ihn wiederholt getroffen, werfen ihm Kritiker vor. Die Gruppe "Mütter der Plazo Mayo"  geht in einem Manifest hart mit dem heutigen Papst ins Gericht. Die Katholische Kirche Argentiniens habe angesichts der Verbrechen Videlas geschwiegen. „Wer kollaborierte, uns anlog, sich von uns abwandte – das war die Kirche Bergoglios und die Rechte.“
 

Die Offenheit. Raus und Handeln, ist seine Devise: „Jesus hat sich auch mit Aussätzigen und Prostituierte getroffen.“ „Wenn ich die Wahl habe zwischen einer Kirche, die rausgeht auf die Straße und sich Verletzungen zuzieht, und einer Kirche, die krank wird, weil sie sich nur mit sich beschäftigt, nehme ich immer die erste Option.“

 

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