Wie Steinbrück als Merkel-Herausforderer auftritt

SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück macht auf dem Landesparteitag der NRW-SPD klar, welches Bündnis er will – und welche nicht. Von den Genossen fordert er „Beinfreiheit”
von  V. Assmann

MÜNSTER Für Hannelore Kraft war die Situation neu. Die Frau, die als NRW-Landesmutti schon mal beliebteste Politikerin Deutschlands war, musste am Samstag beim Parteitag ihres Landesverbands den angestammten Platz im Rampenlicht räumen: Das Treffen an Tag eins nach der mündlichen Kandidatenkür wurde zur inoffiziellen Krönungsmesse für SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Die SPD sei jetzt „im Wahlkampfmodus”, sagte Kraft und drückte Steinbrück ihre „volle Zustimmung” aus.

Und der Kandidat schlug sich gut in seiner politischen Heimat, wo er drei Jahre lang Ministerpräsident war und viele parteiinterne Kämpfe ausfocht. Sein Auftreten: siegessicher. Kein Wort über die Umfragen, die ihm einen großen Rückstand im Rennen um die Kanzlerschaft vorhersagen. Stattdessen ein Frontalangriff auf die Regierung: „Schwarz-Gelb kann nicht regieren, so einfach ist das”, rief der 65-Jährige. „Die Vorstellung ist die schlechteste eines Bundeskabinetts seit 1949.” Tosender Applaus. In Richtung möglicher Koalitionspartner verteilte er reichlich Absagen: Keine Große Koalition. Nicht mit den Linken oder den Piraten. Über eine Ampelkoalition wolle er gar nicht diskutieren. „Wir wollen Rot-Grün.”

Steinbrück, bekannt für seine unbequeme Art, räumte den traditionell sozialdemokratischen Themen viel Platz ein: Der Mindestlohn müsse her und gleiche Arbeit gleich bezahlt werden. Zudem brauche man viel mehr Geld für Bildung.  Gleichzeitig machte Steinbrück auf seine Weise klar, dass es ihn nur mit Ecken und Kanten gebe: „Ihr müsst dem Kandidaten an der ein oder anderen Stelle auch Beinfreiheit lassen”, sagte er. „Meine Beinfreiheit ist 1,80 Meter und die würde ich gern haben.” Also kein zu enges und zu linkes programmatisches Korsett. Ein Kanzlerkandidat müsse alle 62 Millionen Wahlberechtigte erreichen und nicht nur 500000 SPD-Mitglieder, sagte Steinbrück. Und machte dann wieder einen Schritt auf die NRW-Genossen zu: „Ich werbe um euer Vertrauen, meines habt ihr.” Stehender, minutenlanger Beifall.

Heute soll Steinbrück offiziell zum Kanzlerkandidaten ernannt werden, im Willy-Brandt-Haus wird ihm bereits ein Büro eingerichtet. Dass es in der SPD auch nach der entschiedenen K-Frage viel zu reden gibt, daran besteht kein Zweifel. Einiges aber ist auch schon passiert: Ralf Stegner vom linken Parteiflügel sagte der „BamS”, er habe zuletzt konstruktiv mit Steinbrück gesprochen. „Unser Verhältnis ist konstruktiv genug für eine gute Mannschaftsleistung.” Schon am Freitag saß Steinbrück außerdem eine Stunde lang mit Generalsekretärin Andrea Nahles zusammen, um die Taktik fürs nächste Jahr zu besprechen.

Was das beim Thema Euro-Krise bedeuten soll, machte er am Wochenende gleich klar: Der frühere Finanzminister forderte Merkel zu mehr Ehrlichkeit auf. „Griechenland wird sich in den kommenden sieben bis acht Jahren kein Geld am Kapitalmarkt leihen können”, sagte er der „WamS”. „So lange werden wir helfen müssen.” Er stellte sich strikt gegen einen Austritt des Landes aus dem Euro und ließ die Frage offen, ob die SPD einem dritten Sparpaket für Griechenland zustimmen könnte. Merkel will ein solches Paket verhindern.

Auch über sein Alter macht sich Steinbrück offenbar Gedanken – immerhin ist er zum Zeitpunkt der Wahl nächstes Jahr 66 und damit der älteste oppositionelle Kanzlerkandidat überhaupt. Er bezeichnete die Frage nach dem Alter zwar „schlichtweg als irrelevant”. Jedoch: „Man muss sich prüfen: Was kann man sich physisch und psychisch zumuten?” Sein Rezept, Zerstreuung zu finden: Biografien, Romane oder Thriller lesen und Schach oder Billard spielen. 

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