Wie sicher sind unsere Atomkraftwerke?

Nach dem Zwischenfall und dem Europa-Alarm im AKW Krsko stellt sich die Frage, wie sicher unsere Atomkraftwerke sind. Nicht die Bauart, das Alter der Reaktoren ist das größte Risiko.
von  Abendzeitung
Vor allem Meiler in Osteuropa machen den Experten Sorgen.
Vor allem Meiler in Osteuropa machen den Experten Sorgen. © ap

Nach dem Zwischenfall und dem Europa-Alarm im AKW Krsko stellt sich die Frage, wie sicher unsere Atomkraftwerke sind. Nicht die Bauart, das Alter der Reaktoren ist das größte Risiko.

Für einige Stunden werden, jedenfalls bei den Älteren, bittere Erinnerungen wach. „Europaweiter Atomalarm“, melden die Nachrichtensendungen am Mittwochabend. Im Kernkraftwerk Krsko in Slowenien hat es einen Störfall gegeben. Wird es ein neues „Tschernobyl“ geben? Einen verheerenden Atomunfall wie den am 26. April 1986, als in der Ukraine ein Reaktor in die Luft flog? Und die Frage stellt sich wieder: Wie sicher sind unsere Atomkraftwerke?

Die Entwarnung aus dem Balkanstaat kam ziemlich schnell – radioaktives Kühlwasser war zwar ausgetreten, aber nicht in die Umwelt gelangt. Trotzdem geben die Begleitumstände des Störfalles zu denken. Die Ängste, die sich glücklicherweise im Nachhinein als unnötig erwiesen, waren durch Schlampereien der slowenischen Behörden ausgelöst worden – und Schlampereien im Umgang mit der hochsensiblen Atomkraft können fatale Folgen haben: Auch die Katastrophe von Tschernobyl 1986 resultierte letztlich aus menschlichen Nachlässigkeiten.

Auch umgekehrte Fehleinschätzung möglich

Die Atombehörde in der Hauptstadt Ljubljana räumte am Donnerstag ein, dass sie den ihr aus Krsko gemeldeten Vorfall „vorschnell als sehr gefährlich eingestuft“ habe. Einer solchen Behörde traut man dann aber auch die umgekehrte Fehleinschätzung zu – und die könnte tatsächlich katastrophale Folgen haben.

Diese „vorschnelle Reaktion“ seiner Behörde sei durch die Einzigartigkeit des Problems im AKW zu erklären, versuchte Behördenleiter Marjan Tkavc im Nachhinein zu beschwichtigen. Zu erklären aber auch durch schlechte Erfahrungen: Denn der Atommeiler von Krsko zählt in Europa zu dem guten Dutzend an Sorgenkindern. Das AKW, das auch Kroatien mit Atomstrom beliefert und vor 31 Jahren vom US-Konzern Westinghouse gebaut wurde, blickt auf eine Reihe von Zwischenfällen zurück. Der schlimmste ereignete sich im August 2003, als der Reaktor wegen eines Schadens an einem Ventil der Hauptdampfleitung abgeschaltet werden musste.

Auf ein anderes – vielleicht viel größeres – Problem von Krsko weist der Leiter des Institutes für Risikoforschung an der Universität Wien,Wolfgang Krom, hin: Die Atomfabrik steht in einem erdbebengefährdeten Gebiet. Die Erdbebensicherheit ist eines der ungelösten Probleme von Kernkraftwerken. Atomexperte Thomas Breuer von Greenpeace zur AZ: „Sorgen machen uns auch die gefährlichen Transporte, die wachsenden strahlenden Müllberge, die Weiterverbreitung der Atombombentechnologie, die Gefahr terroristischer Anschläge und natürlich mögliche Reaktorunfälle.“

Gefahr durch Atomkraftwerk Temelin

Letztere drohen, so der Experte, auch stets im tschechischen Atomkraftwerk Temelin, rund 200 Kilometer von München entfernt. Dort gab es seit der Inbetriebnahme im Jahr 2000 mehrere Dutzend Zwischenfälle, zuletzt im März, als 1100 Liter radioaktives Kühlwasser aus einer Leitung flossen. Der Unsicherheitsfaktor bei Temelin ist, so Breuer, dass das Werk nicht aus einem Guss gebaut wurde, sondern amerikanische (von Westinghouse) und russische Bauelemente zusammengemixt wurden.

Ein unsicherer Kandidat unter den osteuropäischen ist auch Mochovce in der Slowakei. Auch es liegt in einer erdbebengefährdeten Region, weist zudem mangelnde Bauqualität und eine fehlende Schutzhülle auf. Und dann gibt es noch die 17 Atomkraftwerke vom berüchtigten „Typ Tschernobyl“. 16 von ihnen sind noch in Russland in Betrieb, einer in Litauen. Sie sind so gefährlich, so die Atomexpertin Christina Hacker vom Münchner Umweltinstitut zur AZ, „weil sie graphitmoderiert sind und das Graphit im Ernstfall brennt und zusätzlich große Hitze entwickelt“. Genau dies geschah bei der Katastrophe von 1986.

Viele Reaktoren älter als 25 Jahre

In Mittel- und Westeuropa wird dieser Typ nicht gebaut. Trotzdem gibt der Greenpeace- Experte keine Entwarnung. Thomas Breuer zur AZ: „In Deutschland sind sehr viele Reaktoren älter als 25 oder gar 30 Jahre. Das bedeutet ein Risiko. Denn natürlich ist – zum Beispiel durch Verschleiß und Materialermüdung – bei ihnen die Sicherheit nicht mehr so gewährleistet, wie es sein müsste.“

Michael Heinrich

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