Wie lange noch?
BERLIN - Von der Kooperation zur offenen Konfrontation: Die große Koalition hat sich über die Bundespräsidentenfrage so zerstritten, dass sie kaum noch zum arbeiten kommt. Die Kanzlerin glaubt, dass der Wähler den bestraft, der die Allianz platzen lässt. Nicht mehr viele in ihrer Partei folgen ihr.
Richtig gut war die Stimmung schon lange nicht mehr. Jetzt aber ist sie richtig mies. Und wenn am Montag die SPD erneut Gesine Schwan zur Kandidatin für die nächste Bundespräsidenten-Wahl nominiert, dann ist das für Viele im politischen Berlin der Anfang vom Ende der großen Koalition. Die Frage ist nicht mehr, ob es hält, das Bündnis von Union und SPD. Die Frage ist: Wie lange noch?
Die Zusammenarbeit mit der SPD sei „stellenweise sehr, sehr schwierig“. Das sagte am Wochenende die größte Anwältin der großen Koalition, die Bundeskanzlerin. Bisher vertritt Bundeskanzlerin Angela Merkel immer die Auffassung, die Koalition sei zur Zusammenarbeit verdonnert. Wer die Kooperation aufkündige, der werde vom Wähler bestraft. Daran glauben mittlerweile immer weniger maßgebliche Menschen in der Union. Vor allem aus der CSU kommen immer offener feindselige Stimmen.
Eher früher als später Schluss?
Die Aufstellung eines Gegenkandidaten zu Horst Köhler ist nach Einschätzung von CSU-Generalsekretärin Christine Haderthauer „der erste Schritt zu einem Rot-roten Bündnis auf Bundesebene“. SPD-Chef Kurt Beck werde als „Wortbrecher zum Serientäter“, sagte sie in der „Passauer Neuen Presse“. Die Konsequenz daraus, laut CSU-Rechtspolitiker Norbert Geis im selben Blatt: „Wenn die SPD Gesine Schwan nominiert, dann wäre das ein Bruch in der Koalition“. Sein Fraktionskollege Stefan Müller im „Spiegel“: „Je länger diese Koalition dauert, umso mehr reift die Erkenntnis, dass eher früher als später Schluss sein muss.“ Und der Münchner CSU-MdB Hans-Peter Uhl: „Die SPD ist im jetzigen Zustand unbrauchbar.“
Nicht zufällig kommen aus Bayern besonders laute Töne, wenn es um die Distanzierung von der SPD geht. Die CSU fürchtet um ihre absolute Mehrheit bei der Landtagswahl im September und um negative Abstrahlung der Berliner Koalition in den Freistaat.
Das Glaubwürdigkeitsproblem der SPD
Die Bundes-SPD rechnet freilich anders. Sollte die absolute CSU-Mehrheit in Bayern verloren gehen, wäre auch die konservative Mehrheit in der Bundesversammlung futsch. Die wählt am 23. Mai 2009 den nächsten Bundespräsidenten, oder die erste Bundespräsidentin. Dass dies nur mit den Stimmen der Linken geschehen könnte, wollen die Sozialdemokraten um Parteichef Beck hinnehmen, aber nicht überbewertet wissen. Es gebe keine Zusammenarbeit mit der Linken, auch nicht vier Monate nach der Präsident-Wahl, wenn der Bundestag neu gewählt wird.
Die SPD hat sich nach dem Hessen-Umfaller erneut ein Glaubwürdigkeitsproblem eingehandelt. Zwar hatten sich Beck und Fraktionschef Peter Struck mehrmals positiv über den Bundespräsidenten geäußert, eine Anti-Köhler-Bewegung unter Leitung von Parteivize Andrea Nahles überraschte aber die Chefs um Beck und Struck, sowie die Minister Steinmeier und Steinbrück.
Was passiert, wenn die SPD einen populären Präsidenten aus dem Amt kegelt? Wie kommt es an, wenn Schwan bei der Wahl trotzdem durchfällt? Das sind die Fragen, die sich der SPD-Führung jetzt stellen. Die Partei-Spitze pokert hoch. Aber die Verlockung, mit einem Sieg aus der Defensive gegen die Union und ihre Kanzlerin zu kommen, ist groß. Für die CDU ist das eine Kampfansage.
Die Zeichen der Unzuverlässigkeit
Ab sofort geht’s in die Schützengräben des Wahlkampfs, oder wie der Spiegel schreibt: „Alle an die Dreckschleudern.“ Nicht nur das Gerangel um den Bundespräsidenten sorgt für Ärger: Auch das Einknicken der SPD bei der Diäten-Erhöhung galt vielen in der Union als unverzeihliches Zeichen der Unzuverlässigkeit.
Für echte Politik bleibt da keine Zeit. Auf Herausforderungen wie den Energiepreisschock reagiert die Berliner Allianz zerstritten. Das Programm wurde offiziell zwar nur „verschoben“, sagt Merkel, aber angesichts steigender Preise traut sich keiner mehr in der Regierung, Klimaschutz über den Geldbeutel der Konsumenten zu machen.
Für große Projekte hat die große Koalition keine Kraft mehr, die Tagesordnung verspricht nur Verdruss. Ein schwieriger Haushalt und der Gesundheitsfonds– ein Monstrum, den keiner will. Ob das unpopuläre Projekt in der vergifteten Atmosphäre durchkommt, ist zumindest fraglich. Auch bei der Föderalismus-Reform ist es nicht besser: Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn: „SPD und Union gehen da so aufeinander los, dass an vernünftiges Arbeiten nicht mehr zu denken ist.“ CSU-Rechtsexperte Norbert Geis verbreitet Endzeitstimmung: „Ich weiß nicht, ob man diese Regierung noch ein Jahr durchschleppen sollte.“
Matthias Maus