Wie geht's uns eigentlich in Europa?
BERLIN Wie viel Armut gibt es in Deutschland? Und wie geht es uns im Vergleich mit anderen EU-Ländern? Wo ist die Ungerechtigkeit bei den Einkommensunterschieden besonders groß – und wo können sich viele Bürger elementare Dinge nicht leisten? Gestern wurde eine große EU-Statistik veröffentlicht. Ergebnis: Deutschland wird nicht immer dem Image des reichen Landes in Europa gerecht. Aber in einigen Punkten steht es gar nicht so schlecht da.
Einkommensarmut. Das ist die klassische Armutsdefinition der EU: Arm ist, wer weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens in seinem Land zur Verfügung hat. Für einen Single liegt diese Grenze in Deutschland aktuell 952 Euro im Monat (zum Vergleich: in Luxemburg bei 1626 Euro, in Rumänien bei 105). Nach diesem Kriterium ist hierzulande die Armutsquote mit 15,8 Prozent etwas besser als der EU-Mittelwert von 16,9 Prozent. Es sagt vor allem etwas darüber aus, wie ungleich die Einkommen verteilt sind. Am besten schneidet hier EU-weit Tschechien ab (nur 9,8 Prozent Einkommensarme), aber auch alle anderen Nachbarländer bis auf Polen liegen vor Deutschland. Allerdings: In Deutschland ist das Einkommen des reichsten Fünftels 4,5 Mal so hoch wie das des ärmsten Fünftels - das ist weniger ungerecht verteilt wie im EU-Schnitt (Faktor 5,1).
Der Haken an diesem Kriterium wird im Fall Griechenland deutlich: Hier liegt der Anteil der Einkommensarmen (unter 60-Prozent-Grenze) deswegen bei „nur“ 21 Prozent, weil es allen viel schlechter geht – also die Messlatte gesunken ist.
Deprivation. Deswegen hat die EU-Statistik nun noch ein neues Armuts-Kriterium dazugenommen: wer materiellen Mangel leidet. Dazu wurde ein Katalog mit neun Bedürfnissen erstellt, unter anderem jeden zweiten Tag eine warme Mahlzeit mit Fisch, Fleisch oder Gleichwertigem, ausreichend beheizte Wohnung, die Möglichkeit, unerwartete Ausgaben zu stemmen, ein Telefon, eine Woche Urlaub pro Jahr außerhalb der Wohnung etc. Wer vier dieser Bedürfnisse nicht erfüllt, gilt als „depriviert“. Nach dieser Definition sind in Deutschland 5,3 Prozent der Menschen arm, das sind 3,5 Prozentpunkte weniger als im EU-Durchschnitt. Spitzenreiter ist hier Schweden (1,0 Prozent), Schlusslicht Bulgarien (über 40 Prozent) – im Krisenland Griechenland ist jeder fünfte betroffen.
Deutsche Erwerbstätige sind besser dran als ihre EU-Kollegen
Gefühlte Armut. Auch das wurde bei den EU-Bürgern abgefragt: Was halten Sie für einen Mindeststandard – und erfüllen Sie ihn? Während sich in den Niederlanden und skandinavischen Ländern nur 2 bis 4 Prozent der Bürger selber als arm empfinden, waren es in Rumänien und Bulgarien jeder Zweite und in Griechenland jeder Dritte. In Deutschland sagten 11 Prozent der Bürger, sie seien arm – damit ist die gefühlte Armut niedriger als die nach Einkommen gemessene.
Gesamtergebnis. Kombiniert man diese und weitere verschiedenen Faktoren, hat Dänemark das geringste Armutsproblem in der EU. Deutschland landet unter den 27 EU-Ländern hinter Österreich auf Rang sieben. Das Schlusstrio bilden Rumänien, Bulgarien und Griechenland. Auffallend schlecht ist auch Italien, noch hinter Polen und Portugal. Das Krisenland Spanien schneidet dagegen überraschend gut ab: weil trotz besonders krasser Einkommensunterschiede der materielle Mangel (Deprivation) weniger stark ist als sogar in Österreich.
Die Betroffenen. Auch hier gab es einige überraschende Ergebnisse: So sind – trotz der Niedriglohndebatte – Erwerbstätige in Deutschland deutlich seltener armutsgefährdet als Erwerbstätige in anderen Euro-Ländern. Bei Arbeitslosen ist es dagegen genau umgekehrt. Auch Alleinerziehende und Alleinstehende sind in Deutschland ärmer dran als ihre Schicksalsgenossen anderswo, Kinderreichen dagegen geht es besser. tan
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