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Wie der Hitler-Ludendorff-Prozess vor 100 Jahren zum Propagandasieg für Hitler wurde

Unter dem Namen Hitler-Ludendorff ist das Gerichtsverfahren berüchtigt geworden. Warum es auch damals ein Skandal war, wie die Menschen auf das Urteil im In- und Ausland reagierten und welchen Nutzen der spätere Diktator daraus zog.
von  Martina Scheffler
Die Angeklagten im Hitler-Ludendorff-Prozess stellen sich nach dem Urteil vom 1. April 1924 stolz dem Fotografen: in der Mitte Erich Ludendorff, im Ersten Weltkrieg Chef der Obersten Heeresleitung. Rechts von ihm Adolf Hitler, 2.v.r. Ernst Röhm, 3.v.l. Wilhelm Frick.
Die Angeklagten im Hitler-Ludendorff-Prozess stellen sich nach dem Urteil vom 1. April 1924 stolz dem Fotografen: in der Mitte Erich Ludendorff, im Ersten Weltkrieg Chef der Obersten Heeresleitung. Rechts von ihm Adolf Hitler, 2.v.r. Ernst Röhm, 3.v.l. Wilhelm Frick. © imago

München - Dienstag, 26. Februar 1924, München, Zentrale Infanterieschule, Blutenburgstraße. Der Prozess beginnt, der unter dem Namen Hitler-Ludendorff-Prozess in die Geschichte eingehen soll und an den die Erwartungen der Zeitgenossen hoch sind.

"Der Prozeß (sic) schlechthin, von dem man schon so lange und so viel spricht, ein Prozeß, der, wenn nicht mit Ernst das Recht gesucht würde, dem Vertrauen in die Justiz einen Stoß versetzen müßte", so schreibt es eine Zeitung in jenen Tagen.

Doch dieser Wunsch war fromm und der besagte Stoß wird nur gut einen Monat später vom Gericht versetzt.

Zehn Angeklagte stehen vor Gericht, darunter spätere Nazigrößen

Es geht um den Putschversuch vom 9. November 1923. Zehn Angeklagte stehen vor Gericht: Neben Adolf Hitler und Erich Ludendorff sind auch spätere Nazigrößen wie Ernst Röhm (SA-Chef, der zehn Jahre nach dem Prozess in Stadelheim von der SS ermordet wird) und Wilhelm Frick dabei, der 1933 Reichsinnenminister wurde und damit auch für die sogenannten Nürnberger Rassengesetze verantwortlich war, durch die etwa Ehen zwischen jüdischen und nichtjüdischen Deutschen unter Strafe gestellt wurden.

Der Prozess ruft noch einmal den Schrecken des Jahres 1923 in Erinnerung. Politisch hat sich die Lage inzwischen gefestigt, der Kampf gegen die Inflation zeigt Wirkung, und nur wenige Tage nach Ende des Prozesses wird mit der Vorlage des sogenannten Dawes-Plans bereits der nächste Schritt zur wirtschaftlichen Stabilisierung des Reichs gemacht. Es beginnen die wenigen guten Jahre der Weimarer Republik.

Angeklagte und Richter haben die gleiche Gesinnung

Der Hitler-Ludendorff-Prozess weist also einerseits in die Vergangenheit, andererseits aber in die Zukunft. Denn die Herren auf der Anklagebank und jene, die über sie Gericht sitzen, eint die Gesinnung.

Der Vorsitzende Richter ist Landgerichtsdirektor Georg Neithardt. Wo er politisch steht, hat er bereits im Prozess gegen den Mörder des ersten Ministerpräsidenten des Freistaats, Kurt Eisner, gezeigt. Dem Täter, Anton Graf von Arco auf Valley, billigte der wohlmeinende Neidhardt zu, aus "Vaterlandsliebe" gehandelt zu haben, und ging von ehrenhaften Motiven aus.

"Nicht nur die Verhandlungsführung durch den Vorsitzenden Richter Neithardt, sondern auch das Urteil selbst war in skandalöser Weise vom Wohlwollen für Hitler und die anderen Hochverräter geprägt", sagt Johannes Hürter, Professor für Neueste Geschichte und Leiter der Forschungsabteilung München am Institut für Zeitgeschichte, der AZ.

Neithardt gab Hitler ausreichend Gelegenheit, den Prozess für Propagandareden zu nutzen. "An nichts haben sich seine demagogischen Fähigkeiten so deutlich erwiesen wie an der Methode, mit der er in den 24 Tagen des Prozesses vom politisch erledigt geglaubten Führer einer nationalen Splitterpartei zu einer populären politischen Größe in Deutschland wurde und seinen Prozess in einen politischen Triumph verwandelte", schrieb ein halbes Jahrhundert später der Historiker Bernd Steger.

Hitler, der als "Schriftsteller" vorgestellt wird, wird in zeitgenössischen Zeitungsberichten mit den Worten zitiert: "Ich bin Österreicher, ich habe mein Blut eingesetzt für Deutschland."

"Im brechend vollen Gerichtssaal kam es wiederholt zu lautstarken Beifallsbekundungen für Hitler und seine Mitangeklagten, die vom Vorsitzenden zugelassen wurden", sagt Historiker Hürter zur damaligen Stimmungslage. "

Johannes Hürter ist Leiter der Forschungsabteilung München und Professor für Neueste Geschichte.
Johannes Hürter ist Leiter der Forschungsabteilung München und Professor für Neueste Geschichte. © Institut für Zeitgeschichte

Man kann sicher davon ausgehen, dass es auf der extremen Rechten große Sympathien für das Urteil gab."

Hitler nimmt es im Prozess schon vorweg: "Schuldig bekennen des Hochverrats kann ich mich nicht, denn es gibt keinen Hochverrat gegen die Landesverräter von 1918." Das sieht das Gericht wohl insgeheim ähnlich: Es verhängt die gesetzliche Mindeststrafe - fünf Jahre Festungshaft, von denen der spätere Diktator nur einen Bruchteil recht kommod in Landsberg am Lech absitzt und dazu nutzt, "Mein Kampf" zu schreiben - und eine Geldstrafe von 200 Goldmark. Frick kommt mit 15 Monaten Haft noch besser weg, Ludendorff wird freigesprochen.

War das Urteil auch damals schon ein Skandal?

Die Zeitungen berichten von Heilrufen nach der Urteilsverkündung. Doch war das Urteil wirklich ein Skandalurteil oder "nur" Ausdruck der Zeit?

"Hitler und anderen Angeklagten wurden ,rein vaterländischer Geist' und ,edelster selbstloser Willen' attestiert, daher das Strafmaß auf die Mindeststrafe von fünf Jahren Festungshaft festgelegt", erläutert Johannes Hürter.

"Die Feststellung ,mildernder Umstände', die angesichts der Ereignisse am 9. November 1923 mit zahlreichen Toten ein Hohn war, begründete außerdem die Aussicht auf Bewährung nach nur sechs Monaten Haft."

Hürters Fazit: "In Bezug auf Hitler war das Urteil nach damaligem Recht ein Fehlurteil, weil erstens Hitler bereits eine Bewährungsstrafe verbüßte und daher keine zweite Bewährung möglich war, zweitens Hitler als Ausländer zwingend hätte ausgewiesen werden müssen."

"Verhöhnung des deutschen Volkes"

Das sieht offenbar damals auch die Presse mehrheitlich so, wie Hürter sagt: "Die Reaktion von zahlreichen Juristen und der Presse bis ins konservative Lager hinein war dagegen sehr kritisch. Die liberale ,Frankfurter Zeitung' etwa bezeichnete das Urteil als ,Farce' und ,Verhöhnung des deutschen Volkes'. Insgesamt war der Tenor der Kritik, dass der Schutz der Staatsordnung durch solch milde Urteile nicht zu gewährleisten sei."

Warum fand der Prozess in München statt?

Was den Angeklagten zusätzlich entgegenkommt: Die bayerische Staatsregierung setzt sich vehement dafür ein, dass der Prozess gegen Hitler und seine Mitverschwörer daheim in München stattfindet und nicht vor dem Reichsgerichtshof in Leipzig. Ob das so korrekt war? Umstritten, sagt Hürter. Angenehmer wurde es für die Angeklagten dadurch in jedem Fall: "Die bayerische Staatsregierung wollte durch ein bayerisches Strafverfahren gewährleisten, dass bayerische Amtsträger wie Kahr, Seißer und andere nicht belastet wurden."

"Viel bessere Bedingungen als in Leipzig"

Davon profitiert auch der Rest: "Doch auch Hitler, Ludendorff und die anderen Angeklagten trafen dadurch auf viel bessere Bedingungen und mildere Richter, als dies vermutlich in Leipzig der Fall gewesen wäre", sagt Hürter.

Hitler änderte seine Strategie

Für den Verlauf der Geschichte ist das Urteil verheerend: Hitler habe einen "Propagandasieg" davongetragen, sagt Hürter. "Der Prozess erregte große, auch überregionale Aufmerksamkeit und machte Hitler über München und Bayern hinaus noch bekannter." Grundlagen für den Aufstieg seien gelegt worden. Und Hitler änderte seine Strategie, "indem er auch die Parlamente als Foren der Propaganda und des Machtgewinns nutzte. Auch das war eine Folge der Erfahrungen von 1923/24".

Neun Jahre nach dem Prozess: Hitler (l.) ist Reichskanzler. Rechts neben ihm (Bildmitte): der neue Innenminister Wilhelm Frick.
Neun Jahre nach dem Prozess: Hitler (l.) ist Reichskanzler. Rechts neben ihm (Bildmitte): der neue Innenminister Wilhelm Frick. © DENA/dpa

Was in München zum Gedenken geplant ist

Eine Auseinandersetzung mit dem Prozess ist dem bayerischen Justizministerium "gerade in diesen Tagen" wichtig. Die Justiz habe 1924 "eine unrühmliche Rolle gespielt", sagte Minister Georg Eisenreich (CSU) laut Mitteilung vom Sonntag. "Die Lehre für heute: Wehret den Anfängen." Im Mai plane sein Haus ein Ausstellungsprojekt im Münchner Justizpalast mit Kabarettist Christian Springer und seiner Initiative "Schulterschluss". Im Mittelpunkt: ein Stuhl. Beim Putsch 1923 war Hitler auf einen Stuhl gestiegen und hatte einen Schuss abgefeuert und Bayerns Regierung für abgesetzt erklärt.

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