Westerwelles Schneeschipp-Befehl gilt als Schnapsidee
BERLIN - Guido Westerwelle erntet für seinen Vorstoß, junge Langzeitarbeitslose Straßen enteisen zu lassen, viel Kritik. Ex-CSU-Chef Erwin Huber: „Der Sozialstaat darf nicht zum Brutalstaat werden“
Mit seinem schneidigen Schneeschipp-Befehl für junge, gesunde Langzeitarbeitslose (AZ berichtete) hat FDP-Chef Guido Westerwelle die Hartz-IV-Debatte weiter befeuert. Vertreter von Union und katholischer Kirche, aber auch Politiker seiner eigenen Partei reagierten irritiert.
Die CDU zeigt Westerwelle die kalte Schulter. Es gebe längst Regelungen, Hartz-IV-Empfänger zu gemeinnütziger Arbeit heranzuziehen und ihre Bezüge bei Verweigerung zu kürzen, belehrte Unionsfraktionschef Volker Kauder den FDP-Chef. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ ihren Sprecher kühl auf die geltende Rechtslage verweisen: „Es gibt einen umfangreichen Katalog an Sanktionsmöglichkeiten“, sagte Ulrich Wilhelm. Bei der ersten Pflichtverletzung würden die Bezüge um 30, bei der zweiten um 60 Prozent gekürzt. Danach falle die Stütze ganz weg. Bei Erwerbslosen unter 25 Jahren geschehe dies sogar sofort, wenn sie eine zumutbare Arbeit ablehnten.
Dem ersten Bischof platzt der Kragen. „Mit Schneeschippen kommt niemand aus der Arbeitslosigkeit heraus“, platzte dem Bamberger Erzbischof Ludwig Schick der pastorale Kragen. Und Bildungsgutscheine für Kinder könne er „nur als verspäteten Faschingskalauer bezeichnen“. Ohne Westerwelle beim Namen zu nennen, wies ihn der katholische Kirchenmann streng zurecht: „Wer nicht ernsthaft über das Thema Arbeitslosigkeit und Armut diskutieren will, sollte lieber schweigen!“
Die CSU warnt vor dem „liberalen Brutalstaat“. Auch Ex-CSU-Chef Erwin Huber rüffelte Westerwelle harsch: „So darf man unseren Sozialstaat nicht verunglimpfen.“ Der FDP-Chef habe „aus taktischen Gründen“ eine viel zu pauschale Diskussion vom Zaun gebrochen. Aussagen wie „keine Leistung ohne Gegenleistung“ erweckten den Verdacht, dass der FDP-Chef „Prinzipien des Sozialstaates beseitigen“ wolle. Huber giftig: „Der Sozialstaat darf nicht zu einem liberalen Brutalstaat werden.“
Die FDP will bald konkret werden. Die Liberalen waren am Montag darum bemüht, Westerwelles Scherben aufzukehren und die Debatte zu versachlichen. Seine Partei werde „in Kürze“ konkrete Vorschläge für eine Hartz-IV-Reform vorlegen, kündigte FDP-Generalsekretär Christian Lindner an. Neue Sanktionsmöglichkeiten für den Missbrauch von Hartz IV würden sich darin aber nicht finden. Vielmehr müsse die Effizienz des bestehenden Sozialstaats erhöht werden. Auch der FDP-Arbeitsmarktexperte Johannes Vogel sieht im Schneeschipp-Vorstoß seines Chefs wohl eher eine unausgegorene Schnapsidee: „Ich halte es für wenig hilfreich, Menschen ohne Arbeit im öffentlichen Sektor zu parken und damit womöglich noch bestehende Beschäftigung zu verdrängen“, sagte Vogel der AZ. Ziel müsse „immer die Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt sein“. jox