"Weselskys Kurs ist eine Zumutung": Bayerns Spitzenpolitiker fordern Reform des Streikrechts

München – Schon wieder will die Lokführergewerkschaft GDL die Arbeit niederlegen und in den Streik ziehen. Der Bahnverkehr soll von Dienstag bis Mittwoch stillstehen – außer, wenn die Bahn mit einem Eilantrag beim Arbeitsgericht in Frankfurt am Main noch Erfolg hat.
Politiker in Bayern sind von der Masse an Streiks genervt. Manche Abgeordnete fordern eine Reform des Streikrechts – damit unter anderem kurzfristig angekündigten Arbeitskämpfen der Riegel vorgeschoben wird. Konkrete Ideen dazu hat der Landesvorstand der bayerischen FDP.
Bayerns FDP-Chef Martin Hagen will neue Regelungen beim Streikrecht
"Weselskys rücksichtloser Konfrontationskurs ist eine Zumutung für unser Land. Anstatt in Verhandlungen Kompromisse auszuloten, legt er immer wieder ohne frühzeitige Ankündigung den Bahnverkehr lahm", sagt der Landesvorsitzende Martin Hagen (43). "Wenn das Streikrecht von einer Mini-Gewerkschaft derart missbraucht wird, müssen wir es reformieren."

Seine Partei hält aus diesem Grund eine Ankündigungspflicht der Streiks von 96 Stunden für notwendig. Außerdem sollen mehrtägige Lohnkämpfe in der kritischen Infrastruktur nur zulässig sein, wenn ein Schlichtungsverfahren erfolglos geblieben ist. Das geht aus einem Beschluss des FDP-Landesvorstands vom Sonntag hervor. Darin spricht sich die Partei auch dafür aus, die Grundversorgung in der kritischen Infrastruktur – trotz Streiks – aufrechtzuerhalten.
"Pendler werden in Geiselhaft genommen": Martin Huber (CSU) will einen Schritt weiter gehen
Ähnlich sieht das auch CSU-Generalsekretär Martin Huber (46). "Millionen Pendler werden in Geiselhaft genommen", sagt der Abgeordnete zur AZ. Dabei werde der Streik der GDL immer mehr zum Selbstzweck. Die Verhandlungen seien festgefahren. "Verkehrsminister Wissing muss endlich eingreifen, die Verhandlungsführer bei GDL und Bahn sollten ausgetauscht werden", meint Huber.

Zudem bräuchte es – wie es auch Hagen vorschlägt – neue Leitplanken im Streikrecht. Huber pocht dabei im Gegensatz zur FDP sogar auf eine einwöchige Ankündigungspflicht der Arbeitskämpfe. Ebenso kann sich der CSU-Spitzenpolitiker vorstellen, Streiks in ihrer Länge zu beschränken.
Der Koalitionspartner der CSU ist bei der Streikreform etwas zurückhaltender. Der Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler, Florian Streibl (60), sagt zur AZ: "Das Streikrecht ist elementarer Bestandteil des Grundrechts. Einschränkungen oder zu starke Lockerungen des Streikrechts erfordern deshalb äußerstes Fingerspitzengefühl."
Freie Wähler reagieren zurückhaltender – Florian Streibl ist trotzdem offen für die Debatte
Streibl zufolge ist es nicht notwendig, eine Frist für die Ankündigung von Arbeitskämpfen gesetzlich zu implementieren. "Die Ankündigungsfrist beträgt in der Regel ohnehin sechs Tage, kann aber je nach Branchen oder Tarifvertrag variieren", so der Politiker.
Verpflichtenden Schlichtungsverfahren zum Schutz der kritischen Infrastruktur stehe die Partei aber offen gegenüber. Denn ausgerechnet in diesen Bereichen sollten Streiks "nicht das erste, sondern das letzte Mittel sein". Es lege ein Missbrauch des Streikrechts vor, da der Druck auf den Arbeitgeber stetig erhöht wird, sagt Streibl. "Diese Streikkultur macht uns langsam, aber sicher in ganz Europa lächerlich." Das Ansehen Deutschlands als verantwortungsbewusster Partner leide darunter "merklich".

Auch Experten wünschen sich neue gesetzliche Leitlinien für Arbeitskämpfe. Der Rechtswissenschaftler Richard Giesen (60) von der LMU denkt, dass sich der Deutsche Bundestag bisher nicht an die Debatte "rangetraut" habe. Stattdessen habe man die Entscheidungen zu Streiks der Rechtsprechung überlassen. Die Gerichte seien damit allerdings "überfordert".
Jurist Richard Giesen wünscht sich Rechtssicherheit durch neue Gesetze
Richter müssten oft innerhalb von wenigen Stunden über Anträge entscheiden. Dieser Zeitdruck bereite große Hindernisse. Ein großer Schwachpunkt liegt dem Experten zufolge darin, dass die Gerichte ausschließlich mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit argumentieren.
Dabei sei nicht genau definiert, was die Verhältnismäßigkeit bei Arbeitskämpfen überhaupt bedeutet. Man könne die Rechtsprechung so interpretieren, dass die Bahn schon fast organisatorisch "vernichtet" werden müsste, damit eine Arbeitsniederlegung als unverhältnismäßig betrachtet wird.
Doch wie könnten die Politiker für Rechtssicherheit sorgen? "Man könnte ein Schlichtungsgesetz oder auch ein Arbeitskampfgesetz erlassen oder es im Tarifvertragsgesetz festhalten", sagt Giesen. Dabei droht allerdings die Gefahr, dass Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingelegt wird. Denn das Streikrecht basiert auf Artikel 9 des Grundgesetzes. Unklar sei, ob sich das oberste deutsche Gericht in diese Debatte einmischt oder die Frage dem Parlament überlässt. "Das ist bei uns ein strukturelles Problem, dass bei uns die Konflikte zunehmend von Gerichten entschieden werden und weniger in der Politik."
Ob ein Gesetzesvorschlag im Deutschen Bundestag überhaupt Zustimmung findet, ist unklar. Die SPD in Bayern wehrt sich dagegen. "Die FDP versucht offenbar, mit absurden Vorschlägen auf sich aufmerksam zu machen", sagt Florian von Brunn, Fraktionsvorsitzender der Sozialdemokraten im Landtag, zur AZ. "Ich habe großes Verständnis für die Bahnbeschäftigten, die auch Leidtragende der verfehlten Verkehrspolitik von Scheuer und Co. und des Missmanagements der Bahn sind." Deshalb dürften die Arbeitenden für ihre Rechte kämpfen.