Werteunion-Chef rechnet ab: Warum er der CSU nach 30 Jahren den Rücken kehrt

Vom Christsozialen zum Vertrauten von Hans-Georg Maaßen: Jörg Uhlig stellt sich gegen Söders CSU – und öffnet in seiner neuen Partei in Bayern Türen zur AfD.
von  Alexander Spöri
Der Vorsitzende des neu gegründeten bayerischen Werteunion-Landesverbands, Jörg Uhlig (l.), sitzt bei der Pressekonferenz in Reichertshofen neben dem Bundesparteichef und ehemaligen Leiter des Bundesverfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen.
Der Vorsitzende des neu gegründeten bayerischen Werteunion-Landesverbands, Jörg Uhlig (l.), sitzt bei der Pressekonferenz in Reichertshofen neben dem Bundesparteichef und ehemaligen Leiter des Bundesverfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen. © Daniel Löb/dpa

München - Mehr als 30 Jahre ist Jörg Uhlig (54) aus dem Landkreis Regensburg ein Christsozialer gewesen. In den Neunzigerjahren engagierte er sich in der Jungen Union, später dann bei der CSU. Doch Anfang des Jahres waren für ihn die Tage in seiner Partei gezählt.

Uhlig, beruflich Diplom-Biologe und privat fünffacher Familienvater, hat es sich nicht leicht gemacht. Jetzt ist er kein oberpfälzischer Lokalpolitiker mehr, sondern tritt als Landesvorsitzender der vor wenigen Wochen gegründeten rechtskonservativen Werteunion in Bayern auf. Sogar im Bundestagswahlkampf könnte er die Partei anführen. Darüber entscheidet eine noch nicht veröffentlichte Mitgliederbefragung.

Damit untersteht Uhlig dem 2018 in den Ruhestand versetzten Ex-Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen. Die Behörde führt den Werteunionschef intern als Extremisten. Maaßen wehrt sich vor Gericht gegen die Einordnung, von der er durch eine schriftliche Anfrage erst später Wind bekam.

Rechtskonservative Werteunion in Bayern: "Ein Egozentriker und Opportunist": Ehemaliger Politiker von der CSU greift Markus Söder an

Jetzt geht der Chef des bayerischen Wertebündnisses mit seiner Ex-Partei hart ins Gericht. "Ich bin nicht aus der CSU ausgetreten, die Partei hat mich verlassen", sagt Uhlig der AZ in einem fast zweistündigen Gespräch. "Fast alle Inhalte, Werte und Ziele sind komplett verloren gegangen", stellt der Oberpfälzer fest.

Übergelaufen sei das Fass, nachdem sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gegen die Atomkraft ausgesprochen hatte und durch ihren Kurs in der Flüchtlingskrise ab dem Jahr 2015. Endgültig gebrochen habe er dann, als Markus Söder seinen Vorgänger Horst Seehofer als bayerischen Ministerpräsidenten abgelöst hat. "Mit Söder ist ein Egozentriker und Opportunist an die Parteispitze gekommen", so Uhlig. "Da war mir klar, dass es mit mir und der CSU nicht mehr lange geht."

Ein Geschädigter spricht über angebliche Verbindungen zu Markus Söder.
Ein Geschädigter spricht über angebliche Verbindungen zu Markus Söder. © Kay Nietfeld/dpa

In seiner neuen politischen Heimat fühlt sich der Politiker jetzt deutlich besser aufgehoben – auch weil es in der Werteunion keine Brandmauer gibt. "Wenn wir unsere Inhalte und Ziele mit einer Partei umsetzen können, dann werden wir mit dieser Partei zusammenarbeiten", teilt Uhlig mit. "Kleine Befindlichkeiten", die dagegensprechen, brächten Deutschland nicht weiter.

Eine Partei ohne Brandmauer nach Rechtsaußen: Zahlreiche Schnittstellen zwischen Werteunion und AfD

Dass es Schnittmengen mit der AfD gibt, ist kein Geheimnis. Dafür reicht ein Blick ins "Bundesmanifest" der Werteunion. Darin wird eine "Erosion von Rechtsstaatlichkeit" beschrieben. Der bayerische Chef des Wertebündnisses kritisiert, dass die Bundesregierung durch die – wie er sie nennt – "Scheinopposition" zu wenig kontrolliert wird. Mit ausschlaggebend seien CDU und SPD – "Kartellparteien" –, die eine enge Bindung zum Staat, aber nicht zur Gesellschaft haben.

Insgesamt sei dadurch ein "ideologisiertes Deutschland" entstanden, heißt es im Bundesmanifest. "Grüne Verbotsideologien" und auch eine "Klimahysterie" seien ausgebrochen. Uhlig will die derzeitige Klimapolitik deshalb beenden.

Atomkraft hochfahren? "Wir werden wieder mit Russland zusammenarbeiten müssen"

Ein Wiedereinstieg in die Kernkraft sei denkbar. Experten bemängeln, dass man dafür möglicherweise auch auf Brennelemente aus Russland zurückgreifen müsste – doch das ist für Uhlig kein K.-o.-Kriterium: "Wir werden früher oder später wieder mit Russland zusammenarbeiten müssen. Es kann nicht sein, dass wir eines der größten Länder komplett abschreiben."

Ein Wiedereinstieg in die Kernkraft ist für Uhlig denkbar (Symbolbild).
Ein Wiedereinstieg in die Kernkraft ist für Uhlig denkbar (Symbolbild). © Rene Ruprecht/dpa

 

Außerdem will die Werteunion den Staatsapparat massiv entschlacken. Uhlig könnte sich zum Beispiel das Aus des Entwicklungsministeriums vorstellen. Ran will der Politiker auch ans Bürgergeld, und Asylverfahren will er nicht hierzulande, sondern im Ausland abwickeln. Die Kosten dafür gehen in den Milliardenbereich. "Bisher unternimmt entgegen den Versprechungen niemand ernsthaft den Versuch, dieses Problem anzugehen", sagt er.

Radikale Positionen finden in der Werteunion Anklang

Bereits seit vielen Jahren formte Uhlig grundlegende Gedanken der Werteunion mit. Ursprünglich handelte es sich dabei um keine eigenständige Partei, sondern eine rechtskonservative Bewegung innerhalb der Union.

In Bayern gab es anfangs eine CSU-Sondergruppierung, den Konservativen Aufbruch – eine laut Uhlig befreundete Schwesterorganisation. Doch als mehr Kritik an der Werteunion ausbrach, sie sogar als "Krebsgeschwür" bezeichnet wurde, gründeten frühere Unterstützer der Freien Wähler, Union und AfD eine Partei für sich.

Dieser Entfremdungsprozess zwischen Werteunion und Union hat eine Vorgeschichte. Der frühere CDU-Abgeordnete Max Otte, ehemaliger Vorsitzender der Werteunion und gescheiterter Bundespräsidentenkandidat der AfD, spaltete die Gruppierung. Seiner Meinung nach hat es 2018 in Chemnitz keine "Hetzjagden" gegeben, sondern eine Verfolgung "Andersdenkender". 

Damals war es am Rande eines Stadtfestes zu einem durch einen Asylbewerber verübten Mord gekommen. Im Anschluss kam es zu Anfeindungen zwischen Rechtsextremen und Menschen mit Migrationshintergrund.

Auch nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) legte er verbal nach und sprach davon, dass "der Mainstream eine neue NSU-Affäre habe". Otte entschuldigte sich dafür, doch viele Werteunions-Funktionäre sprachen von "völkischen Aussagen" und gingen damals auf Distanz.

Maaßen, Krall und ein Kickboxer: Überspitzte, libertäre und rechte Ideen verschwimmen

Noch heute erscheint die Sprache einiger Funktionäre zumindest überspitzt. Maaßen spricht von einer "Verschleuderung" des deutschen Passes. Außerdem sei er früher nicht in die CDU eingetreten, "damit 1,8 Millionen Araber nach Deutschland kommen".

"Mike" Kuhr, sechsfacher Kickboxweltmeister und ein Sprachrohr der Werteunion, schreibt, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser eine größere Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung darstellt als das rechtsextreme "Compact-Magazin". Damit äußert er wohl indirekt Kritik an einer Reform, durch die Verfassungsfeinde ohne Gerichtsverfahren vorerst aus dem Öffentlichen Dienst entlassen werden können.

Der libertäre Autor und Unternehmer Markus Krall, einst der Motor der Gruppierung im Internet, verließ den Verein, nachdem sich seine Wirtschaftsideen als nicht mehrheitsfähig erwiesen hatten. Mehrmals gab er dem Mises-Institut Interviews, dessen Anhänger in Teilen staatsfeindlich argumentieren.

Auch aktuell ist Krall mit der rechten Kleinpartei "Bündnis Deutschland" an Verhandlungen mit der Werteunion beteiligt. Dabei geht es um eine Fusion beider politischer Lager. Laut Uhlig wurden die Gespräche vertagt, von einem Scheitern könne man nicht sprechen.

"Das geht in Richtung Rufmord": Verbindungen zu Verschwörungsideologen und Rechtsextremisten

Auch Bayerns Werteunionschef geriet in den letzten Jahren selbst in die Kritik. Eine antifaschistische Plattform listet Verbindungen zwischen Uhlig, Verschwörungsideologen und Rechtsextremisten auf. Uhlig lehnt Kontaktschuld als politisches "Kampfwerkzeug" ab. "Schon alleine, dass es überhaupt ein Dossier von Linksextremisten gibt, ist der eigentliche Skandal", so Uhlig. "Das geht in Richtung Rufmord!"

Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, spricht bei einem Akademiegespräch. Die Werteunion könnte sich zunehmend radikalisieren, sagt die Politikwissenschaftlerin.
Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, spricht bei einem Akademiegespräch. Die Werteunion könnte sich zunehmend radikalisieren, sagt die Politikwissenschaftlerin. © IMAGO/Rolf Poss (www.imago-images.de)

Die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, Ursula Münch, hält die Werteunion per se nicht für extremistisch. "Da sind aber schon ein paar merkwürdige Gestalten, die gibt es aber leider überall", sagt die Expertin der AZ. "Was ich problematisch finde, ist diese Wortwahl, aber da braucht noch kein Verfassungsschützer die Geräte anzustellen." Eine spätere Radikalisierung schließt sie jedoch nicht aus, "weil man im politischen Wettbewerb nicht mit Mäßigung gehört wird".

Politikwissenschaftlerin Ursula Münch: "Einen Jörg Uhlig kennt in Bayern keiner"

Was Münch auffällt: Es fehlt eine klare Abgrenzung zur AfD. Maaßen mangele es zudem an politischer Erfahrung und "einen Jörg Uhlig kennt in Bayern wirklich buchstäblich keiner".

Ob die Werteunion künftig in der Kommunikation abrüstet? Uhlig hält es in dieser Sache mit den vom Naturwissenschaftler Isaac Newton formulierten Axiomen: Druck von oben erzeugt Gegendruck von unten. Ob das in einer aufgeheizten Gesellschaft ein überzeugender Gedankengang ist, muss letztlich jeder Bürger vor dem Gang zur Wahlurne selbst entscheiden.

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