Wer kann Kanzler? Angela Merkels schweres Erbe
München - Für Merkel-Verhältnisse war es am Sonntag eine überraschenderweise klare Ansage: Die Kanzlerin kündigte in der ZDF-Sendung "Berlin direkt" an, sie wolle in einer möglichen neuen GroKo "Personen Chancen geben, die ihre politische Zukunft noch vor sich haben oder mitten da drin sind". Damit dürften einige Nörgler in der CDU fürs Erste zufriedengestellt sein.
Doch aus der Parteibasis ist zu hören, Merkel solle nicht nur im Kabinett auf frische Kräfte setzen – sie solle endlich auch ihre Nachfolge regeln. Bisher ist es der Kanzlerin noch nicht gelungen, dafür eine Kandidatin oder einen Kandidaten aufzubauen – obwohl mehrere CDUler in Frage kommen.
In der AZ erklärt Politikwissenschaftler Marius Busemeyer von der Universität Konstanz, wer das Zeug hat, in Merkels Fußstapfen zu treten:
Jens Spahn
Verzichtet Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem neuen Kabinett auf den ambitionierten Parlamentarischen Staatssekretär (37) im Finanzministerium, dürfte der Aufschrei vor allem im konservativen und wirtschaftsnahen Flügel der CDU wohl noch auf der Zugspitze zu hören sein. "Spahn hat keinen einfachen Stand bei der Kanzlerin", sagt Politologe Busemeyer – auch wenn ihn viele Parteifreunde als den am besten geeigneten Merkel-Nachfolger sehen. Kann der ehrgeizige und Talkshow-taugliche Spahn Kanzler? "Ihm fehlt Regierungserfahrung", meint Busemeyer. "Er hat aber mittelfristig großes Potenzial."
Julia Klöckner
Ein Platz im neuen Kabinett für die charismatische CDU-Bundesvize, die bei den Christdemokraten großen Rückhalt genießt, gilt als sicher. "Sie hat neben Spahn die besten Chancen, Merkel-Nachfolgerin zu werden", sagt Busemeyer über die rheinland-pfälzische CDU-Landes- und Fraktionschefin (45). "Dafür bräuchte sie nun ein besseres Ministeramt." Kritiker sagen: Bis auf ihre Wahl zur Weinkönigin 1995 hat Klöckner keine Erfolge vorzuweisen. Beide Landtagswahlen in Mainz (2011 und 2016) hat die Gummibärchen-Liebhaberin verloren.
Annegret Kramp-Karrenbauer
"Sie ist – im Gegensatz zu Julia Klöckner – seit Längerem Ministerpräsidentin", sagt Politik-Experte Busemeyer über die Chefin (55) im Saarland. In den vergangenen Wochen wurden Stimmen aus dem linken Flügel der CDU laut, die Merkel-Vertraute könne Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Halbzeit der Legislaturperiode ablösen. Nur: Zum einen hat Bundeskanzlerin Angela Merkel nun angekündigt, volle vier Jahre regieren zu wollen. Zum anderen blieb Kramp-Karrenbauer (AKK) laut Politologe Busemeyer bisher auf Bundesebene in der öffentlichen Wahrnehmung blass. Da wohl mit dem politischen Schwergewicht Peter Altmaier bereits ein Saarländer Minister werden wird, dürfte der Basis eine weitere Kraft aus dem flächenmäßig kleinsten Bundesland kaum zu verkaufen sein.
Ursula von der Leyen
Die Mutter (59) von sieben Kindern hat bereits große Ressorts verantwortet und dürfte Verteidigungsministerin bleiben. "Sie ist schon lange dabei, hat Erfahrung", sagt Marius Busemeyer. Für den Experten ist die Frau mit ausgeprägtem Machtanspruch Merkels Favoritin auf den Kanzlerinnen-Posten. "Aber von der Leyen fehlt im Vergleich zu Julia Klöckner das Vertrauen in der Partei", sagt Busemeyer. Deswegen dürfte die Tochter des früheren niedersächsischen Ministerpräsidentin Ernst Albrecht der CDU nur schwer als Kanzlerin vermittelbar sein.
Friedrich Merz
Erst vor Kurzem plädierte Ex-Industriepräsident Hans-Olaf Henkel dafür, der Sauerländer (62) mit Zweitwohnsitz am Tegernsee solle nächster Kanzlerkandidat werden. Wie realistisch ist dieser Wunsch? Und hat Merz – von Merkel auf dem Weg zur Macht aus dem Weg geräumt – überhaupt Ambitionen, auf die politische Bühne zurückzukehren? "Merz wäre ein starker Kandidat", sagt Experte Busemeyer, "ein echtes Kaliber, nicht nur rhetorisch." Für den Politologen ist es schwer einzuschätzen, wie gut Merz (er forderte eine Steuererklärung auf dem Bierdeckel) noch im Machtzentrum und an der Basis der CDU vernetzt ist. Was bei einer Kandidatur erschwerend hinzukäme: "Die CDU ist eine Partei der Loyalität. Und das war Merz nicht immer", sagt Busemeyer.
Die großen Unbekannten
Dazu gehört der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (44). Er hat Erfahrung mit Schwarz-Gelb-Grün in Kiel und könnte bei der nächsten Bundestagswahl eine Option für die CDU werden, meint Busemeyer.
Auch ein Juwel der Christdemokraten: Carsten Linnemann (40), Chef der Mittelstand- und Wirtschaftsvereinigung. Der Verlust des Finanzministeriums gehe "mitten ins Mark der CDU", schimpft der Merkel-Kritiker – und spricht vom "Anfang vom Ende der Volkspartei". Politikwissenschaftler Busemeyer: "Ihm fehlt ebenso wie Daniel Günther eine Zwischenposition auf dem Weg zur Kanzlerschaft, etwa als Bundesminister."
Anderen Kandidaten wie Helge Braun, David McAllister oder Annette Widmann-Mauz traut Busemeyer den Sprung auf den Kanzlerthron (noch) nicht zu. "Im Moment läuft alles auf Klöckner oder Spahn hinaus", sagt der Professor.