Wenn sie streiten Seit an Seit

Die rot-rote Kakophonie in der SPD schwillt weiter an: Michael Naumann rechnet per Fax mit Kurt Beck ab. Weite Teile der SPD sehen in der 180-Grad-Wende des Parteichefs einen historischen Tabubruch.
von  Abendzeitung
Wahl-Verlierer Michael Naumann (l.) ist stinksauer über die Extratouren seines Chefs.
Wahl-Verlierer Michael Naumann (l.) ist stinksauer über die Extratouren seines Chefs. © ap

BERLIN - Die rot-rote Kakophonie in der SPD schwillt weiter an: Michael Naumann rechnet per Fax mit Kurt Beck ab. Weite Teile der SPD sehen in der 180-Grad-Wende des Parteichefs einen historischen Tabubruch.

Kurt Beck lag grippekrank in Mainz darnieder, als das an ihn persönlich gerichtete dreiseitige Schreiben im Berliner Willy-Brandt-Haus aus dem Fax-Gerät surrte: In geharnischter Diktion warf der Hamburger SPD-Spitzenkandidat Michael Naumann dem „lieben Kurt“ eine „politische Geisterfahrt“ vor. Die öffentlichen Spekulationen des Parteichefs über mögliche Bündnisse mit der Linken in Hessen hätten die Hamburger SPD mindestens drei Prozent der Stimmen gekostet, heißt es in dem Brief, den der „Stern“ am Donnerstag öffentlich machte.

Schon am Wahlabend selbst hatte Naumann Beck die kalte Schulter gezeigt. Telefonisch wollte der Pfälzer dem Hamburger Zugpferd zu dessen 34-Prozent-Ergebnis gratulieren – doch der Ex-Herausgeber der „Zeit“ war für den Vorsitzenden nicht zu sprechen. „Beck hat zwar angerufen, aber in dem Moment hatte Naumann ganz plötzlich keine Zeit“, kolportiert ein Genosse, der die Szene in Hamburg miterlebt hat. Stattdessen ließ der Zeitungsmacher jede hanseatische Zurückhaltung fahren und sagte wutentbrannt auch gleich den obligatorischen Foto-Termin mit Beck am Montag in Berlin ab. Er habe angesichts des Dolchstoßes aus der Parteizentrale keinen Bedarf an Glückwünschen, Blumen und einem Handschlag vor laufenden Kameras, ließ Naumann den Vorsitzenden kühl wissen.

Becks 180-Grad-Wende

Weite Teile der SPD sehen in der strategischen 180-Grad-Wende Becks, die hessische SPD-Chefin Andrea Ypsilanti notfalls auch mit den Stimmen der Linken zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen, einen historischen Tabubruch. Am Wahlabend zwang Beck alle Spitzen-Genossen, mit auf der Bühne zu stehen und ihm devot zu applaudieren. Die taten wie geheißen – wenn auch, wie etwa Vize Peer Steinbrück und Fraktionschef Peter Struck, mit extrem mürrischem Gesichtausdruck.

Vor allem im rechten SPD-Flügel ist das Klima auf dem Nullpunkt angelangt: „Wollen wir wirklich die Mitte aufgeben?“, soll Steinbrück bereits während der Präsidiumssitzung am Montag mehrfach fassungslos in die Runde gefragt haben. Und Hamburgs Ex-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi wetterte: „Die Linke hat so unsinnige Programme, dass man mit ihr nicht koalieren kann. Mit der Linken darf die SPD gar nichts zusammen machen!“ Auch in den Augen von Bayerns SPD-Fraktionschef Franz Maget geht Beck beschädigt aus der Debatte der letzten Tage hervor. „Das hat seine Stellung in der SPD nicht gestärkt. Es gibt einen Widerspruch, der zuvor in dieser Schärfe in keiner einzigen Sachfrage laut geworden ist“, sagte Maget.

Annen: "Richtige Antwort auf das Fünf-Parteien-System"

Johannes Kahrs, Sprecher des Seeheimer Kreises, rief Beck offen zum Rückzieher auf: „Wir fordern, dass er den Parteivorstandsbeschluss vom Montag hinsichtlich der Zusammenarbeit mit der Linkspartei in den westlichen Ländern kippt.“

Der Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD, Niels Annen, warnte dagegen davor, die Lafontaine-Partei zu dämonisieren. Beck habe „die richtige Antwort“ auf das neue Fünf-Parteien-System gefunden, sagte Annen. Nur „Art und Zeitpunkt“ der Kehrtwende unmittelbar vor der Hamburg-Wahl seien „nicht glücklich“ gewesen.

Auffällig ist das dröhnende Schweigen der grauen Partei-Eminenzen zur Debatte um Beck: Dem Vernehmen nach halten sich SPD-Autoritäten wie der frühere Partei- und Fraktionschef Hans-Jochen Vogel derzeit bewusst bedeckt, um den Vorsitzenden nicht noch weiter zu beschädigen.

"Keine Lust mehr"

Die Stimmung ist sowieso schon mies genug: „Ich habe keine Lust mehr, gemeinsam mit Beck unsere Hymnen der Solidarität zu schmettern“, sagte ein SPD-Grande der AZ. Einer der Parteitags-Gassenhauer der Genossen hört sich in diesen Tagen in der Tat nur noch wie Hohn an: „Wann wir schreiten Seit an Seit und die alten Lieder singen, und die Wälder widerklingen, fühlen wir, es muss gelingen: Mit uns zieht die neue Zeit.“

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