"Wenig vielversprechend": Politikerin kritisiert CSU-Mann für Vorstoß

Der CSU-Gesundheitspolitiker Stephan Pilsinger schlägt in einem Schreiben an Karl Lauterbach, das der AZ vorliegt, eine sogenannte "verbindliche Entscheidungslösung" in der Debatte um die Organspende vor. Konkret sollen nach Pilsingers Vorschlag alle dazu verpflichtet werden, "sich zur ihrer Organspendebereitschaft zu äußern" und in das geplante Organspenderegister einzutragen. "Versicherte, die dieser Aufforderung trotz ausreichender Frist nicht nachkommen, sollten einen zusätzlichen Krankenkassenbeitrag von monatlich 10 Euro bezahlen, bis die Eintragung ins Register erfolgt ist", heißt es weiter in dem Schreiben. Im Kern gehe es dem CSUler "darum, allen Bürgern eine zusätzliche Option zu geben, sich nicht entscheiden zu können". Denn auch "Ich kann mich nicht entscheiden" soll laut Pilsinger ein möglicher Eintrag im Register sein.

Ein Argument, das Pilsinger gegen die Widerspruchslösung in seinem Schreiben nennt, sei die Tatsache, dass "es Menschen gibt, die sich nicht für oder gegen eine Organspende entscheiden können, weil sie die Dimension dieser Entscheidung aus ihrer kognitiven Fähigkeit heraus nicht erfassen können oder weil sie psychisch nicht in der Lage sind, eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen". Die Widerspruchslösung könne er im Anbetracht dieser Tatsache nicht seinem Gewissen vereinbaren, sagt Pilsinger der Abendzeitung.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach hatte sich im Dezember 2023 für die Widerspruchslösung ausgesprochen. Pilsinger ginge es auch darum, diese Lösung zu verhindern.
"Wenig vielversprechender Weg": Gesundheitsministerin Judith Gerlach hält wenig von Pilsingers Vorschlag
Besonders viel Zuspruch erntet der Gesundheitspolitiker für seinen Vorschlag jedoch nicht. So sagte die bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach in der Abendzeitung: "Es ist wichtig, dass wir beim Thema Organspende vorankommen – und dieses Ziel hat auch der Kollege Pilsinger. Allerdings halte ich Sanktionen für einen wenig vielversprechenden Weg." Sie führt weiter aus: "Der Vorschlag wirft aber ein Licht auf das Kernanliegen beim Thema Organspende: Wie steigern wir die Spendenbereitschaft? Ich werbe deshalb entschieden für die Widerspruchslösung, die es auch in vielen anderen Ländern gibt." Die CSU-Politikerin sieht einen klaren bürokratischen Vorteil in der Widerspruchslösung: "Das würde die Zahl der Organspender ganz ohne Zwangsgelder und überbordende Bürokratie steigern." Bei der Widerspruchslösung gilt jede Person als Organspender, es sei denn, sie gibt ausdrücklich bekannt, nicht spenden zu wollen. Eine Begründung der Entscheidung wäre hierbei nicht notwendig.
Facharzt hält Organspenderegister für "völlig unproduktiv"
Der Leiter des Münchner Transplantationszentrums der Uniklinik, Bruno Meiser, hält das geplante Register "für völlig kontraproduktiv", nicht zuletzt weil es "bis heute nicht gelungen ist, dieses Register an den Start zu bringen", so der Arzt in der AZ. Das Organspenderegister soll laut Bundesgesundheitsministerium im März 2024 starten. Als Beispiel nennt der Mediziner die Niederlande, in denen eine Ähnliche Kombination aus Zustimmungslösung und Register geplant und gescheitert war. Dann hätte man "endlich erkannt, dass das nicht funktionieren kann und die Widerspruchslösung eingeführt", so Meiser in der Abendzeitung.
Entscheidung über Organspende: Pilsingers Vorschlag "aus Profilierungsgründen"
Als problematisch sieht der Münchner Arzt auch, "dass man bei denjenigen Verstorbenen, die für eine Spende infrage kommen und keinen Eintrag im Register haben, wie bisher die nächsten Angehörigen nach dem mutmaßlichen Willen fragen muss". Diese gingen davon aus, dass der Angehörige sich nicht hat registrieren lassen, weil er dagegen war. Das hätte zur Folge, dass die Spende abgelehnt werde, so Meiser. "Die Niederlande hatten so eine der weltweit höchsten Ablehnungsraten bei den Angehörigengesprächen. Für Deutschland würde das einen weiteren Rückgang der Spende bedeuten", sagt der Transplantations-Arzt in der AZ. "Zum Erfolg fehlt letztendlich die Widerspruchslösung, die inzwischen in fast allen europäischen Ländern gilt", so Meiser. "Leider sind Politiker wie Herr Pilsinger - wie ich vermute aus Profilierungsgründen - dagegen", fügt er hinzu.
Pilsinger äußert ethische Bedenken bei Organspende
Pilsner argumentiert in der AZ mit ethischen Bedenken bezüglich der Widerspruchslösung. Der Staat dürfe insbesondere Personen, die psychisch nicht in der Lage wären so eine Entscheidung zu treffen, "nicht nur die sehr schwere Entscheidung "ja" oder "nein" abverlangen, sondern auch eine dritte, "Ich kann mich nicht entscheiden"-Option.
Der Mediziner Bruno Meiser widerspricht dem mit Beispielen aus anderen rechtlichen Bereichen. Der Grund zur Ablehnung der Widerspruchslösung "'das Selbstbestimmungsrecht des Menschen geht über den Tod hinaus' [ist] vorgeschoben. Der Staat greift an vielen Stellen in unser Selbstbestimmungsrecht ein, auch über den Tod hinaus, zum Beispiel im Erbrecht ohne dass der Betroffenen das vorher festgelegt haben haben muss oder bei der staatsanwaltlichen Anordnung einer Obduktion ohne dass die Angehörigen gefragt werden."
"Der Wille muss bekannt sein"
Auch die Deutsche Stiftung für Organtransplantation (DSO) "befürwortet die Einführung einer Widerspruchslösung". Das Ziel der DSO als Koordinierungsstelle für die postmortale Organspende sei es, "den Willen der Verstorbenen in Bezug auf die Organspende umzusetzen". Dazu müsse dieser aber der Wille bekannt sein. "Daher begrüßen wir alle Initiativen, um mehr Menschen zu motivieren, zu Lebzeiten eine eigene Entscheidung zur Organspende zu treffen und diese zu dokumentieren", so eine Pressesprecherin in der AZ. Die DSO würde "den Gedanken des Onlineregisters" unterstützen. Jedoch wäre die Widerspruchslösung "ein Bekenntnis zur Organspende und damit ein klares Signal, dass die Politik und die Gesellschaft insgesamt hinter der Organspende stehen". Mit der Einführung bliebe auch "die freie Entscheidung bestehen, ohne Begründung eine Organspende abzulehnen", so die DSO. Auch die Bayerische Landesärztekammer (BLÄK) sieht bei der Widerspruchslösung "die individuelle Entscheidungsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger über die Organspende respektiert". Die BLÄK habe "sich in den vergangenen Jahren mehrfach für die Einführung einer Widerspruchslösung stark gemacht", sagt eine Pressesprecherin der AZ. "Ob ein zusätzlicher Krankenkassenbeitrag von 10 Euro im Monat hilfreich und zielführend ist, ist fraglich", fügt sie hinzu.
Mehr als 9.000 Menschen warten auf eine Organspende
Bei der Frage, ob es mehr Organspenden bedarf, sind sich alle so gut wie einig. So berichtet die DSO in der AZ davon, dass Ende des Jahres 2023 8.400 Menschen in Deutschland auf der Warteliste für eine Transplantation standen. Es konnten dabei 2.985 Organe nach einer Spende transplantiert werden. Das sind ungefähr 11,4 Organspender pro Million Einwohner. Bruno Meiser spricht davon, dass durch die Widerspruchslösung 25-30 Organspenden pro Million Einwohner möglich wären, so wie in Belgien, Kroatien oder Österreich.