Wende im ukrainischen Machtkampf - Timoschenko bald frei?

Nach dem Blutvergießen nun der Friedensschluss: In der Ukraine haben Regierungsgegner und Präsident Viktor Janukowitsch ein Abkommen zur Lösung der Staatskrise unterzeichnet.
dpa |
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Kiew - Unter Vermittlung der EU vereinbarten die Konfliktparteien am Freitag vorgezogene Präsidentenwahlen bis zum Dezember, eine Rückkehr zur parlamentarischen Demokratie und eine Übergangsregierung unter Beteiligung der Opposition.

Überraschend ebnete das Parlament am Abend den Weg für eine Freilassung der seit rund zweieinhalb Jahren inhaftierten Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko. Die Oberste Rada in Kiew stimmte mit großer Mehrheit für ein Gesetz, das die Vorwürfe des Amtsmissbrauchs gegen die Ex-Regierungschefin nicht mehr als Straftaten wertet. Timoschenko war Anführerin der demokratischen Orangenen Revolution von 2004, Janukowitsch ihr langjähriger Erzfeind.

Zudem votierten die Parlamentarier ohne Gegenstimmen für eine Rückkehr zur Verfassung von 2004. Damit wird die Macht des Präsidenten deutlich beschnitten und das Parlament gestärkt. Janukowitsch muss beide Gesetze noch unterzeichnen, damit sie in Kraft treten.

Die Oberste Rada setzte darüber hinaus den umstrittenen Innenminister Witali Sachartschenko ab. Die Opposition macht den 51-Jährigen für brutale Einsätze der Polizei gegen friedliche Demonstranten verantwortlich. Allein am Donnerstag hatten unbekannte Scharfschützen Dutzende Regierungsgegner erschossen.

Trotz der Beschlüsse ist allerdings offen, ob das Land nach der Eskalation der Gewalt mit mindestens 77 Toten nun zur Ruhe kommt. Eine wichtige Radikalengruppe beharrt auf einem sofortigen Abgang Janukowitschs und kündigte weiteren Widerstand an.

Nach dem von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) mit ausgehandelten Friedensplan soll nun innerhalb von zehn Tagen eine Regierung der nationalen Einheit gebildet werden, unter Einschluss der Opposition. Gegen Verantwortliche für die Gewalteskalation soll zudem ermittelt werden - unter Aufsicht der Regierungsbehörden, der Opposition und des Europarats. Das Parlament beschloss zugleich die Freilassung aller Demonstranten, die bei den gewaltsamen Protesten der vergangenen Tage festgenommen worden waren.

Bis September soll laut dem Abkommen eine grundlegende Verfassungsreform erarbeitet werden. Ziel ist die weitere Stärkung von Regierung und Parlament auf Kosten des Staatschefs - auch dies eine Kernforderung der Opposition.

Schon jetzt scheint Janukowitschs Machtbasis zu bröckeln. Ihm gehen nach den Zugeständnissen an die Opposition immer mehr Abgeordnete seines Lagers von der Fahne. Schon 24 Politiker der regierenden Partei der Regionen verließen die Fraktion, wie Vize-Parlamentschef Ruslan Koschulinski mitteilte. Sie hatte zuletzt 205 von 450 Sitzen.

Möglich wurde das Abkommen, nachdem eine EU-Delegation um Steinmeier sowie der russische Vermittler Wladimir Lukin die ganze Nacht hindurch mit Janukowitsch und Oppositionsführern verhandelt hatten. Als die Vereinbarung stand, holten Steinmeier und sein polnischer Kollege Radoslaw Sikorski die Zustimmung des sogenannten Maidan-Rates ein. Dem Gremium gehören verschiedene Gruppen von Regierungsgegnern an, die seit Wochen im Kiewer Stadtzentrum demonstrierten, darunter auch Radikale und Gewaltbereite.

Steinmeier bewertete die Übereinkunft nach der Unterzeichnung vorsichtig optimistisch. "Das war vielleicht die letzte Chance, um einen Ausweg aus der Spirale der Gewalt zu finden. Nicht alle Probleme sind gelöst", sagte er. Trotzdem gebe es Grund, "zuversichtlich nach vorne zu schauen".

Ein dpa-Reporter berichtete von gelöster Stimmung auf dem zentralen Unabhängigkeitsplatz (Maidan), nachdem die Einigung bekanntgegeben worden war. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sah nach den Verhandlungen eine vorsichtige, letzte Chance, nun zu einem politischen Prozess zu kommen.

Der russische Vermittler Lukin unterzeichnete die Vereinbarung zwar nicht, weil es noch "offene Fragen" gebe, kündigte aber nach seiner Rückkehr in Moskau an, er wolle die Vermittlung in Kiew fortsetzen.

Die Demonstrationen in der Ukraine hatten Ende November 2013 begonnen, nachdem Janukowitsch auf Druck Russlands ein historisches Abkommen mit der EU kurzfristig auf Eis gelegt hatte.

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