Weltweite Trauer um Alexander Solschenizyn

Moskau (dpa) - Der Tod des russischen Literaturnobelpreisträgers und früheren Regimekritikers Alexander Solschenizyn hat weltweit Trauer ausgelöst.
von  Abendzeitung
Der russische Schriftsteller und Literatur-Nobelpreisträger Alexander Solschenizyn ist gestorben.
Der russische Schriftsteller und Literatur-Nobelpreisträger Alexander Solschenizyn ist gestorben. © dpa

Moskau (dpa) - Der Tod des russischen Literaturnobelpreisträgers und früheren Regimekritikers Alexander Solschenizyn hat weltweit Trauer ausgelöst.

Der Schriftsteller, der durch die literarische Aufarbeitung des Stalin-Terrors Weltruhm erlangte, starb am Sonntagabend im Kreis seiner Familie im Alter von 89 Jahren in Moskau. Russlands Präsident Dmitri Medwedew würdigte den früheren Sowjetdissidenten am Montag als «einen der größten Denker, Schriftsteller und Humanisten des 20. Jahrhunderts», dessen Tod ein «Verlust für Russland und die ganze Welt» sei. Solschenizyn war an plötzlichem Herzstillstand gestorben.

«Sein schriftstellerisches Lebenswerk hat Maßstäbe gesetzt», erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin. Auch Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy und US-Präsident George W. Bush lobten das Engagement des Bürgerrechtlers. Nach Einschätzung von Historikern öffnete der konservative Historiker den Menschen weltweit die Augen für den Totalitarismus in der von den Kommunisten unter dem Diktator Josef Stalin regierten Sowjetunion.

Als das Hauptwerk des am 11. Dezember 1918 in Kislowodsk im Nordkaukasus geborenen Solschenizyn gilt «Archipel Gulag» (1973), in dem er mit Tausenden von Beispielen den Stalin-Terror in der Sowjetunion darstellt. Gulag war eine Sammelbezeichnung für die Straflager in der Sowjetunion. Im Westen wandten sich daraufhin viele Linke von der Sowjetunion ab, Kommunisten kehrten ihren Parteien den Rücken. Den Terror hatte Solschenizyn in neun Jahren Straflager und Verbannung selbst zu spüren bekommen und bereits 1962 in seinem ersten Werk «Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch» geschildert.

Als ihm 1970 der Nobelpreis verliehen wurde, verweigerte ihm das Sowjet-Regime die Ausreise zur Preisübergabe. Die für den Literaturnobelpreis zuständige Schwedische Akademie nannte Solschenizyn am Montag einen der wichtigsten Autoren der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. «Man wird sich an Solschenizyn vor allem für seine historische Leistung erinnern, als er (...) eine intellektuelle Auseinandersetzung mit Kommunismus und Marxismus in Gang setzte, die damals die gesamte westliche Welt ergriff», sagte der Sekretär der Akademie, Horace Engdahl, im Rundfunksender SR.

Nach der Veröffentlichung von «Archipel Gulag» wurde Solschenizyn verhaftet und ausgewiesen. Zunächst nahm ihn Heinrich Böll bei sich auf. Der deutsche Literaturnobelpreisträger (1972) habe den Gast in seinem Sommerhaus in der Nordeifel in der Gemeinde Kreuzau untergebracht, sagte Bölls Neffe Viktor in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. «In Köln hätte das ja ein Chaos gegeben», meinte Viktor Böll. «Und so war die Weltpresse dann zu Gast in der Eifel.»

Solschenizyn siedelte schließlich in die USA über und kehrte 1994 nach Russland zurück. Dort kritisierte er fehlgeleitete Reformen und den Mangel an Demokratie unter dem damaligen Präsidenten Boris Jelzin. Als Mahner für ein Russland auf der Grundlage von Gemeinsinn und orthodoxem Glauben fand Solschenizyn aber immer weniger Gehör. Wiederholt forderte der hagere Mann, Russland dürfe die westliche Demokratie «nicht ohne Verstand nachäffen», sondern müsse sich mehr um das «moralische Wohlergehen» des eigenen Volkes kümmern.

Bei der Verleihung des Staatspreises, der höchsten Auszeichnung Russlands, im Juni 2007 war der frühere Bürgerrechtler schwer vom Alter gezeichnet. Zu Sowjetzeiten hatte der Schriftsteller eine Ehrung durch das System stets abgelehnt. Als er die Auszeichnung für humanitäre Verdienste annahm, beschwor der Autor die geistige Einheit seines Landes. Nur so seien die bitteren Erfahrungen vergangener Jahre zu überwinden und neue unheilvolle Schicksalsschläge abzuwenden.

Über die Politik des Präsidenten Wladimir Putin, der inzwischen Regierungschef ist, und das Erstarken der russisch-orthodoxen Kirche in seinem Land hatte sich Solschenizyn immer wieder positiv geäußert. Er unterstützte auch die umstrittene Tschetschenien-Politik seines Landes.

Seit seinen letzten Schriften zur Geschichte des Judentums in Russland und der früheren Sowjetunion ist er allerdings umstritten, weil er russischen Juden auf Grundlage dürftiger Quellen eine Mitschuld an der kommunistischen Diktatur gegeben hatte. Stalin selbst hatte bei «Säuberungsaktionen» in den 1930er Jahren viele Juden töten lassen. Auch während seines Exils in den USA hatten Kritiker Solschenizyn eine antisemitische Haltung vorgeworfen.

Der Präsident der Akademie der Wissenschaften Russlands, Juri Ossipow, hatte Solschenizyn jedoch im Vorjahr als einen der «größten Historiker und Philologen» des 20. Jahrhunderts gewürdigt. Bis zu seinem Tod habe der Schriftsteller trotz seiner langen Krankheit aktiv gearbeitet, sagte sein Sohn Stepan der Agentur Itar-Tass. Solschenizyn arbeitete unter anderem an der Herausgabe seines Gesamtwerkes in 30 Bänden, die bis 2010 im Moskauer Verlag Wremja erscheinen sollen. Er wird an diesem Mittwoch auf dem Friedhof des Moskauer Donskoi-Klosters beigesetzt.

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