Welche Rolle spielt die Rasse?

Der berüchtigte „Bradley-Effekt“: Warum Umfragen von der Hautfarbe beeinflusst werden können - und warum es im Fall Barack Obama auch genau umgekehrt sein kann wie sonst.
von  Abendzeitung
Barack Obama: In den Umfragen führt er deutlich - aber auch an der Urne?
Barack Obama: In den Umfragen führt er deutlich - aber auch an der Urne? © AP

WASHINGTON - Der berüchtigte „Bradley-Effekt“: Warum Umfragen von der Hautfarbe beeinflusst werden können - und warum es im Fall Barack Obama auch genau umgekehrt sein kann wie sonst.

Wie wichtig ist die Hautfarbe? Barack Obama führt beim Endspurt im US-Wahlkampf in allen Umfragen – aber wählt auch wirklich jeder den schwarzen Kandidaten, auch wenn er es jetzt gegenüber den Meinungsforschern behauptet? Wie sehr ist den Umfragen überhaupt zu trauen? Kann es John McCain doch noch schaffen?

Fünf Tage vor der allesentscheidenden Wahl wird in den USA immer mehr erörtert, wie recht die Umfragen haben, die den schwarzen Demokraten mit einem Sechs-Prozentpunkte-Vorsprung vor dem weißen Vietnam-Veteranen sehen.

Unterschwelliger Rassismus

Sechs Prozentpunkte ist auch genau die Größenordnung, die laut einer Studie der so genannte Bradley-Effekt Obama kosten könnte. Andere Umfragen beziffern ihn auf 2,5 Prozentpunkte – oder halten sogar einen „umgekehrten Bradley-Effekt“ für denkbar.

Der „Bradley-Effekt“ ist benannt nach Tom Bradley, dem schwarzen Bürgermeister von Los Angeles, der 1982 als Gouverneur von Kalifornien antrat. In den Umfragen führte er zweistellig, an den Urnen gewann sein weißer Konkurrent. Soziologen hatten das Phänomen so erklärt, dass sich viele Weiße nicht trauen, ihren unterschwelligen Rassismus zuzugeben, und deswegen gegenüber den Angestellten der Umfrage-Institute erklären, sie würden für den Schwarzen stimmen. In der Abgeschiedenheit der Wahl-Urne machten sie dann doch ihr Kreuz beim Weißen.

"Von den Reichen mehr entfremdet als von den Schwarzen"

Was dieser Effekt diesmal ausmachen könnte, ist höchst umstritten. Bei den Vorwahlen war es in New Hampshire genauso: Obama führte in den Umfragen deutlich vor Hillary Clinton – und verlor. Allerdings: In zwölf anderen Staaten war er von den Umfragen unterschätzt worden. Vor allem im konservativen Süden sehen Demoskopen einen umgekehrten Effekt: Manche Weiße würden gegenüber den Interviewern der Umfrage-Institute nicht zugeben, dass sie einen Schwarzen wählen.

Dazu kommt – bei allem immer noch vorhandenen Vorurteilen spielt die Rasse diesmal vielleicht gar nicht so eine große Rolle wie noch 1982 im Fall Bradley. „Wir wissen nicht, ob sich rassistische Vorurteile gegen wirtschaftliche Interessen durchsetzen“, so Philipp Goff, Sozialpsychologe und Experte für unterbewussten Rassismus. Denn: Die Mehrheit der Wähler hält Obama in Wirtschaftsfragen für kompetenter als McCain – in Zeiten der Krise ein zentrales Argument. Professorin Susan Gallagher: „Der Faktor Rasse ist nicht mehr so stark, wie er mal war. Die weiße Mittelklasse ist von den weißen Reichen viel mehr entfremdet als von den Schwarzen.“

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