Interview

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow attackiert Aiwanger: "Weil man es in Bayern nicht geschafft hat"

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow spricht im AZ-Interview über Hubert Aiwangers Stromtrassen-Pläne, die AfD, die "Ein-Personen-Partei" BSW – und die Landtagswahl am 1. September.
von  Natalie Kettinger
"Die Bilder vom Lichtermeer auf der Theresienwiese haben einem das Herz geöffnet", sagt Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow im Gespräch mit der AZ.
"Die Bilder vom Lichtermeer auf der Theresienwiese haben einem das Herz geöffnet", sagt Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow im Gespräch mit der AZ. © Martin Schutt / dpa

München / Erfurt - Der gebürtige Niedersachse Bodo Ramelow (*1956) ist seit 2014 – mit einem Monat Unterbrechung - Ministerpräsident von Thüringen und der erste linke Regierungschef der Bundesrepublik. Er führt eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung an - doch wie lange noch? Bei der Landtagswahl in Thüringen am 1. September sehen Umfragen die AfD unter Rechtsextremist Björn Höcke bei über 30 Prozent. Ein Gespräch über rechts, links und Lichtermeere.

AZ: Herr Ramelow, haben Sie Ihren Auftritt beim Politischen Aschermittwoch in Bayern eigentlich aus Wut über die Stromtrassen-Pläne von Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger abgesagt, von denen Ihre Regierung offenbar eiskalt überrascht wurde?
BODO RAMELOW: Nein. Es hätte mich eher motiviert, dort richtig vom Leder zu ziehen und Klartext mit Herrn Aiwanger zu reden. Dass er meint, er könne über ein Nachbarbundesland verfügen und dort in einem hochsensiblen Landschaftsgebiet um die Veste Heldburg herum – das Deutsche Burgenmuseum – ein paar Stromleitungen legen, weil man auf bayerischer Seite bis heute die Voraussetzungen nicht geschaffen hat, hätte mich sehr motiviert nach Bayern zu fahren. Aber mein Terminkalender platzt leider gerade aus allen Nähten.

Bodo Ramelow schießt gegen Hubert Aiwanger: "Eine üble Provokation"

Hat es zwischen München und Erfurt tatsächlich keine Gespräche über das Projekt gegeben?
Das Thema begleitet mich seit Beginn meiner Zeit als Ministerpräsident vor zehn Jahren und ich könnte Ihnen jeden einzelnen Masten erklären. Ich habe die Thüringer Strombrücke, die ausschließlich für Bayern von großer Bedeutung ist, aus staatspolitischer Verantwortung genehmigen müssen, obwohl ich lange mit den Bürgerinitiativen gegen die Trassenführung gekämpft habe. Der frühere bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer hat jedoch in der Bundesregierung durchgesetzt, dass die viel zu teuren Erdkabel durch Deutschland gezogen werden, weil Bayern keine Masten mehr aufstellen wollte. Das ärgert mich bis heute. Von bayerischer Seite ist immer abgelehnt worden, das zweite System vom Froschgrundsee im Kreis Coburg bis nach Grafenrheinfeld in Unterfranken zu bauen. Dass Herr Aiwanger jetzt plötzlich kommt, und eine neue Stromtrasse durch Thüringen ziehen will, finde ich eine üble Provokation.

Dann lassen Sie uns über etwas Angenehmeres sprechen: Mittlerweile sind bundesweit mehr als zwei Millionen Menschen gegen Rechtsextremismus auf die Straße gegangen, gerade erst wieder 100.000 in München. Stimmt Sie das hoffnungsvoll mit Blick auf die Landtagswahl in Thüringen am 1. September?
Es stimmt mich hoffnungsvoll mit Blick auf unser Land. Die AfD ist in Westdeutschland immer als ostdeutsches oder Thüringer Problem wahrgenommen worden. Die letzten Landtagswahlen in Bayern und Hessen haben aber gezeigt, dass das nicht stimmt. Zum ersten Mal seit 1945 gibt es in ganz Deutschland eine aufstrebende faschistische Partei, in der Björn Höcke und sein Flügel die Macht haben und die Fäden ziehen. Deswegen ist Herr Höcke eine gesamtdeutsche politische Größe, über die man gerichtsnotorisch sagen darf: Er ist ein Faschist und tut, was Faschisten tun.

Bodo Ramelow zum Lichtermeer auf der Theresienwiese in München: "Öffnet einem das Herz"

Was genau meinen Sie?
Die Obrigkeit madig machen und demokratische Strukturen herabwürdigen. Diese Strategie hat lange funktioniert, auch, indem man sich mit Corona-Protesten zusammengetan oder den Versuch unternommen hat, die berechtigten Bauernproteste für sich zu reklamieren, um Umsturzpläne oder -fantasien damit zu befeuern. Und so sehr ich mich über die Theresienwiese im Lichtermeer gefreut habe – die Bilder öffnen einem ja das Herz: Dass sich jetzt auch Menschen in kleinen Orten aufmachen, zum Beispiel 800 bei uns in Greiz, ist wie ein riesiges Lichtermeer.

Macht es einen Unterschied, ob die Menschen in Ost- oder Westdeutschland gegen rechts protestieren?
Nein. Das eigentliche Thema ist, dass sich die Mitte der Gesellschaft aufmacht. Es mag so sein, dass man in Ostdeutschland lange Zeit eine gewisse Demonstrationsmüdigkeit gesehen hat, und dass die Lautesten für sich reklamiert haben, für die Mehrheit der Bevölkerung zu sprechen. Jetzt ermächtigt sich diese schweigende Mehrheit und sagt: Nein, ihr seid nicht in unserem Namen unterwegs! Das ist hervorragend und es ermutigt mich, weil ich in den letzten Monaten auch hässliche Seiten erlebt habe: Veranstaltungen von demokratischen Parteien oder Netzwerken, die umstellt oder mit lautem Getöse gestört worden sind. Es wurde einfach versucht, den Rechtsstaat lächerlich zu machen. Ich habe das einige Male persönlich erlebt und als beklemmend empfunden.

Waren Sie bei einer der Demos gegen rechts dabei?
In Greiz war ich gerade in der Nachbarschaft und bin spontan mitgelaufen, als Bürger. Die Menschen haben mich gefragt, wo denn mein Personenschutz sei. Ihr seid mein Personenschutz, habe ich geantwortet. Es ist der beste Personenschutz, den man sich wünschen kann, wenn Hunderte Menschen gemeinsam auf die Straße gehen und für einen demokratischen Rechtsstaat eintreten.

Trendwende im Kampf gegen die AfD? "Dafür ist es noch zu früh"

Die Umfragewerte der AfD bröckeln – würden Sie schon von einer Trendwende sprechen?
Dafür ist es noch zu früh. Es gibt nämlich noch eine andere Frage, die wir beantworten müssen: Wir erleben im Moment, dass Politik sich gegenseitig handlungsunfähig macht. Das führt dazu, dass die Leute sagen: "Ihr Politiker" schafft es, uns immer wieder unfroh zu machen – zum Beispiel, wenn Herr Aiwanger beim Thema Thüringer Strombrücke/neue Stromtrasse einfach über fremde Territorien verfügt. Das führt bei uns zu heftigen Reaktionen, weshalb ich mich diesmal auch sehr laut zu Wort gemeldet und nicht versucht habe, den Höflichkeitspreis zu gewinnen. Das schlägt dem Fass einfach den Boden aus! Dasselbe gilt für die Bauernproteste.

Inwiefern?
Wenn wir eine Transformation in der Agrarwirtschaft wollen, müssen wir sie mit den Betrieben gemeinsam angehen. Anstatt dessen kommt eine Sparrunde – und plötzlich soll bei ihnen gespart werden. Da merkt man, wie die städtische gegen die dörfliche Gesellschaft ausgespielt wird. Aber eine solidarische Veränderung der Gesellschaft geht nur mit Solidarität, dieses Verständnis brauchen wir. Da stehe ich an der Seite der Bauern. Erst, wenn es zu Agrardiesel eine anwendbare Alternative gibt, kann man diese Steuerabsenkung beenden.

Die Landwirte werden mit Milliarden-Subventionen aus Brüssel und Berlin unterstützt.
Die Bauern bekommen ihre Subventionen ja nicht im Sinne von geschenktem Geld. Sie bekommen etwas ausgeglichen, was europaweit höchstungleich verteilt ist: die Preise, die sie erzielen und von denen sie ihre Betriebe nicht finanzieren können. Wenn man dann noch sieht, dass sich das Privatvermögen von Dieter Schwarz, Eigentümer von Lidl und Kaufland, allein zwischen 2022 und 2023 von 36 auf 39,5 Milliarden vergrößert, und in derselben Zeit diejenigen, die unsere Lebensmittel herstellen, immer den größten Druck kriegen, dann stimmt etwas nicht. Die Monopolstrukturen des Einzelhandels richten sich mittlerweile gegen unsere Landwirtschaft, anstatt mit ihr gemeinsam den Weg zur Qualitätsverbesserung, zu Landschafts- und Naturschutz zu gehen.

Wahlen in Thüringen: "Menschen sollten Björn Höcke beim Wort nehmen"

Lassen Sie uns zu Björn Höcke und der AfD zurückkehren, die in den Umfragen in Thüringen mit über 30 Prozent aktuell stärkste Kraft ist. Warum folgen die Menschen einem Rechtsextremisten?
In Ostdeutschland fühlen sich viele von "denen da oben" nicht wahrgenommen. Die PDS hat für dieses Gefühl lange ein Ventil geboten - und als ein bayerischer Kanzlerkandidat den Ostdeutschen die Fördergelder streichen wollte, wenn sie weiter so wählen, ist meine Partei noch stärker geworden. Diese Funktion habe ich aber verloren, weil ich als Ministerpräsident selbst Teil des Systems bin. Eine Stimme für mich ist keine Proteststimme, sondern eher eine Zustimmung zu meiner Politik. Nun gibt es die paradoxe Situation, dass meine Umfragewerte weiterhin extrem gut sind, die meiner Partei sich gemessen am letzten Landtagswahlergebnis aber fast halbiert haben. Deshalb sind wir in einem demokratischen Aushandlungsprozess: Wir sollten die AfD nicht bekämpfen, indem wir apokalyptische Bilder über sie verbreiten. Wir müssen die Menschen auffordern, Herrn Höcke beim Wort zu nehmen: dass er keine Inklusion in den Schulen will; dass er in seinem Buch schreibt, dass Remigration dazu führt, dass man Opfer bringen muss, dass es hart und unangenehm werden wird; und dass er vor kurzem auf einer Veranstaltung in Gera ganz deutlich gesagt hat: Deutschland werde 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung verlieren müssen, damit die deutsche Blutlinie erhalten bleibt. Das ist Faschismus pur.

Aktuell sind verschiedene Maßnahmen in der Diskussion, um der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen: vom Verbotsverfahren über einen Ausschluss von der Parteienfinanzierung bis hin zu einer Petition, die fordert Höcke das Wahlrecht bzw. die Wählbarkeit zu entziehen. Was halten Sie davon?
Das ist für mich schwierig zu beantworten, weil die NPD mich als Ministerpräsidenten in einem ähnlichen Kontext einmal verklagt hat. Würde ich antworten, würde die AfD sofort dasselbe tun und diese Genugtuung gönne ich ihr nicht. Ich möchte die AfD stellen, wie ich es gerade beschrieben habe: Wenn Herr Höcke von Remigration, faktisch der Deportation von Bürgern, spricht und Menschen das Deutschsein abspricht, möchte ich mich damit auseinandersetzen. Die Fragen, die Sie angesprochen haben, müssen letztlich Bundesregierung und Bundestag beantworten. Allerdings: Würden alle Landesämter für Verfassungsschutz zum gleichen Befund kommen wie der thüringer schon vor zwei Jahren, nämlich dass die AfD gesichert rechtsextrem ist, könnten wir uns dieser Frage nochmal anders nähern. Doch so lange zum Beispiel in Bayern diese Feststellung nicht getroffen wird, und man offenkundig mit einem Wettbewerb zu rechnen hat, bei dem Herr Aiwanger versucht, diese Dinge am Stammtisch in einer ähnlichen Tonart abzuhandeln, geht das schief.

Nicht nur die AfD dürfte Ihnen derzeit Sorgen bereiten. Zur Landtagswahl will auch das Bündnis Sahra Wagenknecht - kurz BSW - antreten, das in den Umfragen zwar hinter AfD und CDU aber vor der Linken liegt. Wie enttäuscht sind Sie über die Spaltung Ihrer Partei?
Es ist keine klassische Spaltung, sondern ein Hinausschleichen nachdem man seinen Weg lange über unsere Partei gegangen ist - und darin ein Jahr lang die Zeit genutzt hat, um aufzubauen, was wir jetzt gerade sehen: eine konkurrierende Partei, die nur noch auf eine Person zugespitzt ist. Das finde ich durchaus ungewöhnlich. Mein Parteienverständnis ist, dass eine Partei unterschiedliche Standpunkte aushalten und sich streiten können muss. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass wir einmal Ein-Personen-Parteien im deutschen Politik- Geschäft haben - und dass das angeblich die AfD minimieren würde. In Wirklichkeit kosten sie uns die letzten zwei, drei Prozent, um in Thüringen wieder eine stabile Regierung zu bilden. Das halte ich für ausgesprochen schwierig. Auch, weil uns lange vorgeworfen worden ist, wir seien nicht links und nicht regierungskritisch genug und dürften kein Geld von Firmen annehmen. All das hält Frau Wagenknecht jetzt für selbstverständlich - und kündigt schon Regierungen mit der CDU an.

Koalition mit Sahra Wagenknecht? Das sagt der Ministerpräsident von Thüringen

Würden Sie denn Ihrerseits mit dem BSW koalieren, um einen Ministerpräsidenten Höcke zu verhindern?
Ich werde alles tun, dass bei der Landtagswahl in Thüringen die Demokratie gewinnt und dass die AfD nicht in die Schlüsselposition gelangt, die verfassungsmäßigen Rechte des Parlaments einzuschränken und damit die parlamentarische Demokratie zu kannibalisieren. Deshalb warte ich in Sachen BSW erst einmal geduldig ab. Ich kann ihre Programmatik in Thüringen noch nicht erkennen. Wird man sich weiter in einer Form eines israelfeindlichen Antisemitismus bewegen? Solche Töne waren ja auf dem Bundesparteitag zu hören, was in Thüringen dazu führt, dass die jüdische Landesgemeinde nicht sehr erfreut ist. Zumal die mögliche Spitzenkandidatin Katja Wolf eigentlich immer im Verbund mit der jüdischen Landesgemeinde und uns unterwegs war. Insoweit beißt sich da auch was – und ich bin gespannt, wie sich das demokratisch-kulturell entwickelt.

In einem Interview haben Sie sich unlängst auch offen für eine Koalition mit der CDU gezeigt.
Wie gesagt: Ich zeige mich offen für die Stärkung der Demokratie. Wir dürfen nie vergessen, dass vor genau 100 Jahren in Thüringen die Tür zur Machtübernahme der Nationalsozialisten geöffnet wurde, dass man zum ersten Mal Jüdinnen und Juden aus dem Öffentlichen Dienst entfernt hat. Selbst der Vater der Thüringer Verfassung, Eduard Rosenthal, ist vom sogenannten Ordnungsbund diskreditiert worden, weil er Jude war. Diese Verfassung macht uns bis heute stolz. Deswegen dürfen wir nicht nur auf Björn Höcke starren. Die Gefahr ist, dass die parlamentarische Demokratie am Ende so erodiert, dass wir zur Handlungsunfähigkeit mutieren. Dazu gehört auch die Frage, warum man in Bayern zwei AfD-Vertreter ans Verfassungsgericht wählt.

Eine Frage, die durchaus auch in Bayern diskutiert wird.
Ja, aber mit solchen Fragen muss ich mich Tag für Tag herumschlagen. In Thüringen hat die AfD angekündigt, dass sie mindestens ein Drittel der parlamentarischen Stimmen haben will, damit nie wieder eine Wahl zum Verfassungsgericht ohne oder gegen sie stattfinden kann. Das heißt: Als parlamentarische Minderheit aber mit dem qualitativen Element, die Zwei-Drittel-Mehrheit zu verhindern, wollen sie uns zwingen, ihre Position aufzunehmen. Genau davor warne ich. Das ist das eigentlich Zerstörerische, das im Moment droht. Die AfD hat sich sprachlich nie davon distanziert, dass sie die "Altparteien vor sich herjagen" wollen. Schon 2020 bei der Wahl von Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten hat Stefan Möller von der AfD gesagt, es sei legitim, dass sie Herrn Kemmerich "auf die Bühne gelockt" und dann auf der "Leimrute festgeklebt" hätten. Das sind doch alles Hinweise darauf, dass ihnen die Regeln unserer Gesellschaft völlig egal sind. Hauptsache, sie erschüttern unser parlamentarisch-demokratisches System und unseren rechtsstaatlichen Rahmen.

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