Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz: Ein Jahr nach dem Attentat

Am Dienstag jährt sich der Terroranschlag an der Berliner Gedächtniskirche zum ersten Mal. Je nach Perspektive fällt der Rückblick anders aus. Doch alle, Hinterbliebene der Toten, Notfallhelfer und ein Anwalt, spüren die Erschütterung fast wie damals.
von  Ulrike von Leszczynski und Natalie Kettinger
Es ist der bislang schlimmste islamistische Anschlag auf deutschem Boden: Am 19. Dezember 2016 rast der IS-Attentäter Anis Amri (†25) mit einem gekaperten 40-Tonner über den Weihachtsmarkt vor der Berliner Gedächtniskirche. Zwölf Menschen sterben.
Es ist der bislang schlimmste islamistische Anschlag auf deutschem Boden: Am 19. Dezember 2016 rast der IS-Attentäter Anis Amri (†25) mit einem gekaperten 40-Tonner über den Weihachtsmarkt vor der Berliner Gedächtniskirche. Zwölf Menschen sterben. © dpa

Berlin - Die Sticknadel steckt noch immer in der filigranen Handarbeit, die Petr Cizmar im Auto seiner Frau gefunden hat. Ein Tulpenmuster ist zu sehen, senfgelber Seidenfaden, an einem Blatt bricht es ab. Für Petr Cizmar ist der hölzerne Stickrahmen ein Symbol für all das, was seine Frau Nada nicht mehr vollenden kann. Sie gehört zu den zwölf Menschen, die am Abend des 19. Dezember 2016 beim Terroranschlag auf dem Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche gestorben sind. 34 Jahre alt ist Nada Cizmar geworden. Das Letzte, was sie gesehen haben mag, war ein Lastwagen, der zwischen geschmückten Tannenbäumen auf sie zuraste.

Wenn Petr Cizmar daran denkt, was seine Frau, die nach der Trennung vor mehr als zwei Jahren eine gute Freundin blieb, alles nicht mehr vollenden kann? Er denkt zuerst an David, seinen Sohn, an dessen Erziehung. "Vielleicht war das ihre wichtigste Aufgabe", sagt er. David ist jetzt sechs Jahre alt. Es wird sein zweites Weihnachten ohne Mama. "Es soll so normal werden wie möglich. Das wird nicht leicht", ergänzt der Vater. Es sei kein Krebs gewesen und kein Unfall. Das mache einen Unterschied.

Petr Cizmar: Plötzlich alleinerziehender Vater

Im August ist Petr Cizmar (39), promovierter Physiker, von Braunschweig nach Dresden gezogen. Neue Stadt, neues Leben. Ein Grund war die Arbeit. Er hat jetzt einen festen Job in der Halbleiterindustrie. Es ist keine Leiharbeit mehr, er braucht Sicherheit. David ist im Sommer in Dresden in die Schule gekommen.

Er hat seinem Vater von einem Traum erzählt. Im Kindergarten, da hätten Kugeln gesessen. Und dann sei die Welt kaputtgegangen. "Es kommt in Wellen", sagt Petr Cizmar. "Mein Gefühl ist, dass David es teilweise verstanden hat. Aber später wird er es besser verstehen und verarbeiten müssen." Für eine Traumatherapie fehle bisher die Zeit. Zeit, das wäre das größte Geschenk für einen alleinerziehenden Vater mit Vollzeitjob in der Probezeit.

Fast ein Jahr lang hat Nada Cizmars Foto am improvisierten Erinnerungsort an der Gedächtniskirche gehangen. Es zeigt eine Frau mit kastanienbraunen Haaren. Zwölf Tote haben hier einen Namen bekommen, acht von ihnen auch ein Gesicht. "Ich habe zugestimmt, dass Nadas Name öffentlich wird", sagt Petr Cizmar. "Da ist keine unbekannte Tschechin umgekommen, sondern ein echter Mensch."

Dann sagt Petr Cizmar noch etwas. "Das war ein völliges Versagen des Staates, dass er diesen Anschlag nicht verhindert hat." Im Laufe des Jahres ist für ihn noch etwas dazugekommen. Er nennt es die Ignoranz der Politik.

Offizielles und Privates

Am 19. Dezember wird es in der Gedächtniskirche ein Gedenken geben. Zum Jahrestag soll vor der Tür ein Ort der Erinnerung das Provisorium ablösen. Ein Riss aus Metall wird sich die Stufen zur Kirche hochziehen, die Namen der Toten sollen auf den Stufen zu lesen sein. Damit geht ein Jahr zu Ende, in dem Untersuchungsausschüsse den Polizeibehörden Fehler nachwiesen. Nicht allein bei der Einschätzung des Attentäters Anis Amri. Es geht auch um die Frage des Vertuschens.

Es ist ein Jahr, an dessen Ende die Familien der Toten einen offenen Brief schreiben und der Opferbeauftragte Kurt Beck ihrem Unmut über Bürokratie, fehlende Empathie und Herzlosigkeit nicht widerspricht.

Es ist das Ende eines Jahres, in dem Verletzte in Reha-Einrichtungen weiter um ihre Rückkehr ins Leben kämpfen, ohne Arme oder Beine. Es sind Tage, in denen bei den Traumatherapeuten der Opferhilfe Berlin das Telefon klingelt. Weil Menschen den Anblick des Weihnachtsmarkts an der Kirche nicht ertragen.

Je nach Schicksal fällt der Rückblick anders aus. In Berlin vertritt Rechtsanwalt Steffen Tzschoppe die Studentin Valeriya Bagratuni, die vor einem Jahr beide Eltern verlor. Anna und Georgiy Bagratuni schickten ihrer Tochter ein heiteres Handy-Foto vom Glühweintrinken auf dem Weihnachtsmarkt aufs Handy. Minuten später waren sie tot. Ein Paar aus der Ukraine, Mitte 40, das sich in Berlin eine Existenz aufgebaut hatte. Die Tochter stand mit 22 vor dem Nichts.

Steffen Tzschoppe: Der Anwalt

Tzschoppe ist Mitte 50, ein Strafverteidiger, dem in diesem Job wenig Menschliches fremd ist. Er war in den 1990er Jahren Johannes Weinrichs Anwalt, der als rechte Hand des Terroristen "Carlos" galt. Im Moment ist es ein Rocker-Prozess.

Macht es einen Unterschied, ob er Täter vertritt oder Opfer? Tzschoppe überlegt. "Nein, eigentlich nicht", sagt er. "Der Täter soll ein faires Verfahren kriegen. Und Opfern soll, so gut es geht, Gerechtigkeit widerfahren. Vor allem sollen sie alle Informationen bekommen."

Die Informationen über den Anschlag stehen in den Akten der Ermittler. Um Einsicht zu erhalten, brauchen Betroffene einen Anwalt. "Ich mach' das seit 20 Jahren, ich hab' ein dickes Fell", sagt Tzschoppe. Doch die Fotos aus der Akte Bagratuni seien selbst ihm nahegegangen. Die gesplitterte Scheibe des LKW. Der tote Fahrer. Erschossen. Bilder aus dem Computertomografen, die zerschmetterte Körper zeigen.

Valeriya Bagratuni studiert Zahnmedizin. Sie kann diese Bilder lesen. Tzschoppe hat ihr die Akte nicht gegeben, obwohl sie danach gefragt hatte. "Das ist zu gruselig. Sie soll ihre Eltern lebendig in Erinnerung behalten."

Tzschoppe hat dem Bundeskriminalamt gesagt, dass er keine blutige Kleidung zurückhaben will. Er hat seiner Mandantin geraten, nicht mehr mit Medien zu sprechen und eine Traumatherapie zu beginnen.

Sie studiert weiter. Wie geht es ihr? Tzschoppe weiß das für den Moment nicht. Das Studium finanziert jetzt ein Ehepaar, private Spender.

Steffen Tzschoppe hat kein Geld für seine Arbeit genommen, eine Ausnahme. Er findet, dass sich ihm gegenüber alle tadellos verhalten haben – Bundeskriminalamt, Landeskriminalamt, die Senatsverwaltung, Versicherungen, Banken. "Ich kann nur für Valeriya sprechen. Sie hat viel Hilfe bekommen, auch altruistische, großzügig, kulant."

Er glaubt nicht, dass es zu einem Strafprozess kommt. "Amri ist tot, und möglichen Unterstützern wird man nicht ausreichend etwas nachweisen können", mutmaßt er. Staatshaftung? Dafür müsste man den Behörden Vorsatz nachweisen, heißt es hinter vorgehaltener Hand aus dem Bundesjustizministerium. So gut wie aussichtslos.

"Das Blöde an unserem föderal strukturierten System sind die Zuständigkeitsrangeleien", sagt Tzschoppe. Natürlich ärgere das, was jetzt alles an Pannen herausgekommen sei. Aber Menschen machten Fehler, auch die Polizei. "Man hat doch mit allem gerechnet, aber nicht mit einem LKW, der in einen Weihnachtsmarkt rast", ergänzt er.

Der letzte große Terroranschlag in Berlin, das sei das Attentat auf die Diskothek La Belle in den 80er Jahren gewesen. "Das hat doch niemand mehr auf dem Schirm, das ist eine Generation her."

Es gibt Menschen, die am Abend des 19. Dezember dabei waren, und die anders denken. So wie Matthias Motter, Notfallseelsorger und Pfarrer an der Berliner Zionskirche. "Ich hab sofort gedacht, das wird jetzt unser Berliner Nizza", sagt er.

Die Notfallhelfer

Daniela Birk weiß, wie sich Nizza anfühlt. Sie hat die Berliner Schulklassen betreut, die die Strandpromenade entlang spazierten, als ein Lastwagen im Sommer 2016 in voller Absicht in die Menge gesteuert wurde. Unter den 86 Toten waren zwei Berliner Schülerinnen und eine Lehrerin.

Daniela Birk ist 52, Kommunikationsdesignerin und seit neun Jahren ausgebildete Notfallseelsorgerin. Ein Ehrenamt. "Eine solche Schocksituation bei Menschen habe ich noch nie erlebt", sagt sie. "Terror ist etwas Anderes, das fühlt sich anders an als ein Unfall."

Die Traumatisierungen, die Zahl der Betroffenen, die etwas Unfassbares zu begreifen versuchten: eine tödliche Bedrohung aus dem Nichts. Manche verstummten, andere könnten nicht aufhören zu reden. "Und an der Gedächtniskirche hat sich das für mich wieder so angefühlt", ergänzt sie.

Für Matthias Motter gehört der Tod zum Leben, schon von Berufs wegen. Auch der unzeitige, wie er ihn nennt. Er hat in der Nacht nach dem Berliner Anschlag in einem Feuerwehrbus mit Leichtverletzten gesprochen. Es waren die mit den grünen Bändchen am Arm. Die mit den schwarzen waren tot, die mit den roten ein Fall für den Notarzt.

Matthias Motter hat Menschen erlebt, die in dem Hilfs-Bus ihr Leben neu sortierten. Denen klar wurde, dass sie ein schwarzes Bändchen am Arm trügen, hätten sie nur fünf Meter weiter rechts gestanden.

Er hat Angehörige erlebt, die Stunden, manchmal Tage, die Ungewissheit quälte, wer lebt und wer tot ist. "Es gibt keinen vollständigen Schutz vor solchen Katastrophen", sagt er. Aber es gibt für ihn eine bessere Vorbereitung darauf.

Die neue Anlaufstelle für Terroropfer, die sie in Berlin fast ein Jahr nach dem Anschlag schaffen wollen, zählt er dazu.

Erinnerungen an die tote Frau

Nada und Autos – das kommt Petr Cizmar in den Sinn, wenn er sich an seine Frau erinnert. Wie sie in den USA souverän mit riesigen Ami-Schlitten durch die Gegend kurvte und für ihren Au-pair-Job Kinder zum Spielplatz chauffierte. "Das hat mir gefallen", sagt er. "Und wie sie mit den Kindern gespielt hat."

Mehr als zehn Jahre ist das her. Nada habe im Internet nach Landsleuten gesucht, weil sie in den USA ihre Muttersprache sprechen wollte. Petr Cizmar, der nach dem Studium in Tschechien in Washington arbeitete, antwortete ihr. Sechs Jahre hat er in den Staaten gelebt, dort haben sie geheiratet.

David ist in den USA zur Welt gekommen. Dann ging es nach Deutschland.

Nada Cizmar war Logistikerin. Für eine tschechische Firma in Berlin berechnete sie LKW-Ladungen. Im Oktober 2016 hatte sie eine Wohnung gefunden, nach langer Suche. Nun sollte es einfacher werden, auch mit David. Um ihn sollte sich der Vater in Braunschweig kümmern, bis sich die Mutter in Berlin eingerichtet hat. Das war der Plan.

Am Abend des 19. Dezember wollten Nadas Kollegen auf den Weihnachtsmarkt. Sie hatte wenig Lust. Sie wollte lieber Plätzchen backen, aber auch keine Spaßbremse sein. Sie telefonierte mit ihrem Mann und fragte, ob es David gut gehe.

Petr Cizmar war am Tag nach dem Anschlag auf der Suche nach seiner Frau. Niemand konnte ihm etwas sagen, ihr Handy war nicht mehr zu erreichen. "Ich bin kein Mensch, der herumsitzt und wartet", sagt er.

Er wurde von einer Pförtnerin aus einer Klinik geworfen, in der Verletzte lagen. Er erlebte, wie Ermittler in die Wohnung seiner Frau kamen, Fingerabdrücke nahmen und DNA-Proben, ohne Worte.

Petr Cizmar spricht drei Sprachen fließend. Er ist ein Mann, der in Wahrscheinlichkeiten denkt, Sätze abwägt und sachlich bleibt. Als zwei Polizisten am 23. Dezember in Braunschweig an der Tür klingeln, nach vier Tagen Ungewissheit, weiß er, was kommt.

Er sagt seinem Sohn, dass Mama Weihnachten nicht nach Hause kommen kann. Und dass Totsein bedeutet, dass sie nie mehr kommen kann.

Das Schweigen der Kanzlerin

Petr Cizmar erinnert sich an den tschechischen Botschafter, der noch am selben Abend von Berlin nach Braunschweig fuhr. Er denkt an den Anruf des tschechischen Außenministers. "Das hat mir gezeigt, dass der Staat das ernst nimmt", sagt er. Es hat ihm geholfen.

Von den deutschen Behörden habe er damals nichts gehört. "Anfang Januar hatte ich das Gefühl, dass die deutsche Politik das vergessen will."

Später seien Briefe vom Bundesjustizminister gekommen, vom Außenminister und eine Einladung des damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck.

Doch in all den Monaten seit dem Anschlag hat Petr Cizmar eines vermisst: eine Reaktion von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ein Statement der Kanzlerin. Kein Kondolenzschreiben.

Was hätte er sich gewünscht? "Einen Satz wie: 'Ich tue mein Menschenmögliches, dass so etwas nicht wieder passiert.'"

Wenn es am 18. Dezember zum Treffen zwischen Bundeskanzlerin und Hinterbliebenen kommt, einem Treffen, das aus Petr Cizmars Sicht viel zu spät stattfindet und nur auf großen Druck hin, dann möchte er ihr das persönlich sagen.

Er würde fragen, warum nach all den Fehlern und Versäumnissen niemand zurückgetreten ist. "Wenn ich in meinem Bereich so arbeiten würde, dann wüsste ich nicht, ob ich einfach so weitermachen könnte", sagt der Physiker.

Petr Cizmar hat seine Frau in Veseli nad Luznici begraben, rund 100 Kilometer von Prag. Er hat sich gefreut, dass ihm fremde Menschen Karten schickten, manche sogar Spenden.

Die private Anteilnahme tat ihm gut. Später hat er ratlos über Formularen der deutschen Behörden gesessen. Dort habe gestanden: "Beschreiben Sie Ihr Verhältnis zum Täter."

Petr Cizmar wirkt nicht verbittert. Er rechnet es dem Opferbeauftragten und SPD-Politiker Kurt Beck hoch an, dass dieser ihn besuchte und half.

Jüngst ging es darum, die Stadt Dresden zu überzeugen, dass David neben Schule und Hort eine Tagesmutter braucht. Die Finanzierung ist nun geregelt. Das Problem ist nur, dass Petr Cizmar noch nicht weiß, wie er eine Tagesmutter finden soll. Einfach eine Anzeige schalten?

Er will jetzt die Akten lesen, alle Details. Dann möchte er eine Vater-Kind-Kur machen, die schon lange bewilligt ist. Nach Ostern, vielleicht. Petr Cizmar mag in der Probezeit nicht länger freinehmen. Selbst wenn er denkt, dass sie seine Lage in der Firma verstehen würden. Doch er kennt die Wahrscheinlichkeit nicht genau.

Am 19. Dezember wird er zum Gedenken nach Berlin kommen. Es ist ihm wichtig. Den kleinen David will er mitnehmen. "Sie war seine Mutter", sagt er. Und vielleicht werde es die letzte offizielle Erinnerung an sie sein.


Der falsche Verdächtige: "Ich kann doch gar nicht Auto fahren"

Naveed B. ist am Abend des 19. Dezember 2016 unterwegs vom Berliner Tiergarten zum U-Bahnhof Hansaplatz. Er hat Hunger, will sich etwas zu essen kaufen – und rennt über eine mehrspurige Straße. Einer Streifenwagenbesatzung kommt das verdächtig vor, außerdem passt die vage Täterbeschreibung vom Breitscheidplatz auf den 23-Jährigen aus Pakistan.

Naveed B. wird festgenommen. Wenige Stunden nach dem Anschlag, mit dem er nichts zu tun hat.

Weil er sich auf der Wache nicht nackt fotografieren lassen will, "fixieren" ihn die Beamten. Der britischen Zeitung The Guardian erzählt er später, er sei misshandelt worden. "Er erinnert sich daran, dass zwei Polizisten die Hacken ihrer Schuhe in seine Füße gruben, und dass einer mit einer Hand großen Druck auf seinen Nacken ausgeübt hat", heißt es in dem Artikel. Später sei er auch geschlagen worden. "Ich habe ihnen gesagt, dass ich nicht Auto fahren kann. Ich kann nicht einmal starten", sagt er. Trotzdem wird er für den Attentäter vom Weihnachtsmarkt gehalten. Zunächst.

Naveed B. stammt aus der Provinz Beluchistan. Dort sind viele Extremistengruppen aktiv, unter anderem Separatisten, die für mehr Unabhängigkeit kämpfen. Menschenrechtsaktivisten sagen, der Staat lasse regelmäßig Menschen verschwinden.

Laut Guardian war B. in einer der Gruppen für Beluchistans Unabhängigkeit politisch aktiv. Er sei mit dem Tod bedroht worden und deshalb geflohen.

Am Abend des 20. Dezember wird Naveed B. freigelassen – und muss zeitweise untertauchen. Sein Foto war in vielen Medien zu sehen, nicht jeder weiß, dass er mittlerweile als unschuldig gilt. Außerdem fürchtet er Pakistaner, die Belutschen als Staatsverräter sehen. Deshalb wechselt er auf Anraten der Polizei mehrmals die Flüchtlingsunterkunft. Eine Therapeutin beurteilt ihn als "mehrfach traumatisiert".

Laut SZ-Magazin lebt Naveed B. immer noch in Berlin und wartet auf die Entscheidung in seinem Asylverfahren. Er würde gerne in Deutschland bleiben – und Altenpfleger werden.


Täter, Spitzel – und Verfassungsschutz: "Ich habe mich stets als anschlagsbereit dargestellt"

Anis Amri, der Mann, der erst den Fahrer des schwarzen LKW umbrachte und das Fahrzeug dann zur Mordwaffe machte, kann nicht mehr vernommen werden. Der 25-jährige Tunesier wurde vier Tage nach dem Attentat von italienischen Polizisten auf der Flucht erschossen.

Den deutschen Sicherheitskräften war der abgelehnte Asylbewerber da schon seit Monaten bekannt. Eine beispiellose Pannenserie und grobe Schlamperei verhinderten, dass er abgeschoben beziehungsweise inhaftiert wurde, etwa wegen Drogendelikten. Unklar ist bis heute, wie eng Amris Kontakte zur Islamisten-Szene in Deutschland waren. Nach Recherchen der ARD soll ihn das Netzwerk des Irakers Abu Walaa angeworben haben. Der Hassprediger, dem derzeit vor dem Oberlandesgericht Celle der Prozess gemacht wird, soll Amris Attentat sogar in einer "Privataudienz" abgesegnet haben.

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Rolle eines V-Manns, den der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz in die Gruppe eingeschleust hatte. Der etwa 40-jährige Deutschtürke, genannt "Murat", steht im Verdacht den Jüngeren angestachelt zu haben. Er kannte Amri gut und soll offensiv jemanden gesucht haben, der für "Aktionen" bereit sei. Außerdem soll er angeboten haben, Waffen im Wert von 15.000 Euro zu beschaffen.

Ist der Spitzel außer Kontrolle geraten? Vom LKA befragt, gab "Murat" zu Protokoll: "Ich habe mich absprachegemäß immer als anschlagsbereit dargestellt."

Im Bundestag wird es bald einen Untersuchungsausschuss zum "Fall Amri" geben – den dritten, nachdem bislang weder das Düsseldorfer Landesparlament noch der Berliner Senat wirklich Licht ins Dunkel bringen konnten.

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