Wechsel im Schloss Bellevue: Der Mutmacher der Nation geht
Sie könnten seine Enkelkinder sein. 18 Studenten der niederländischen Universität Maastricht warten auf den deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck, der mit ihnen über Europa diskutieren will. Groß ist die Nervosität. Und plötzlich ist er da, lächelt die jungen Menschen an, geht auf sie zu, schüttelt jedem die Hand und wechselt ein paar Worte mit ihnen. Und schon ist das Eis gebrochen, mit wenigen Gesten schafft er es, die Spannung aufzulösen.
Der Präsident in seinem Element. Gerade im Gespräch mit den Menschen zeigte Joachim Gauck, dessen fünfjährige Amtszeit an diesem Samstag um Mitternacht endet, die Fähigkeit, auf seine Mitmenschen einzugehen, ihnen zuzuhören. Damit wirkte er stets wie ein Gegenentwurf zur kühlen Kanzlerin. Der erste Mann im Staate verstand sich als Mutmacher der Nation, der den Menschen die Angst vor der Zukunft nehmen wollte.
Auch im höchsten Amt blieb der 77-Jährige das, was er immer war: Seelsorger und Pastor, der an das Gute im Menschen glaubte und von der Stärke der Zivilgesellschaft überzeugt war. Und vor allem war er ein begnadeter Redner, der schon mit seinen Predigten die Menschen zu begeistern gelernt hatte.
Auch Gauck brauchte zwei Anläufe
Wie Richard von Weizsäcker und Johannes Rau brauchte auch Gauck zwei Anläufe, um ins höchste Staatsamt zu gelangen. Nach dem überraschenden Rücktritt von Horst Köhler 2010 nominierten ihn SPD und Grüne, doch Union und FDP gaben dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff den Vorzug. Nach dessen Rücktritt im Februar 2012 schließlich war der Weg für den unabhängigen Kandidaten frei, Union, SPD, FDP und Grüne unterstützten ihn.
In schwierigen Zeiten zog Gauck ins Schloss Bellevue. Das Amt war nach den beiden Rücktritten beschädigt. Doch mit der ihm eigenen Mischung aus einem gesunden Selbstbewusstsein, einem souveränen Auftreten und einem Blick für das Wesentliche gab der gebürtige Rostocker dem Amt seine Bedeutung zurück.
Wie kaum ein Präsident vor ihm mischte sich Joachim Gauck in die aktuelle Politik ein, stieß Debatten an und gab von Schloss Bellevue aus Kurs und Richtung vor, nicht immer zur Freude der Kanzlerin und des Außenministers, seines bereits gewählten Nachfolgers Frank-Walter Steinmeier.
Früh schon nannte er das Vorgehen der Osmanen gegen die Armenier im Ersten Weltkrieg "Völkermord", lautstark kritisierte er die autokratischen Züge von Russlands Präsident Wladimir Putin, den er während seiner gesamten Amtszeit demonstrativ mied, sowie des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Ausdrücklich forderte er auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 ein stärkeres internationales Engagement der Bundesrepublik.
Der entschiedene Vorgang gegen Rechts war ihm ein Anliegen
Die vom Staatsoberhaupt geforderte Überparteilichkeit hinderte ihn nicht, immer wieder entschieden gegen Rechtsradikale vorzugehen. 2015 sagte er beim Besuch eines Flüchtlingsheimes mit Blick auf Anschläge: "Es gibt ein helles Deutschland, das sich hier leuchtend darstellt gegenüber dem Dunkeldeutschland, das wir empfinden, wenn wir von Attacken auf Asylbewerberunterkünfte oder gar fremdenfeindlichen Aktionen gegen Menschen hören."
Allerdings schlug er in der Debatte um die Flüchtlingspolitik auch einen Ton an, der die Ängste der Bürger aufgriff: "Wir wollen helfen. Unser Herz ist weit. Doch unsere Möglichkeiten sind endlich."
Die dramatischen Veränderungen der Politik mit ihren tiefgreifenden Verwerfungen wie dem Erstarken der Rechtspopulisten auch in Deutschland prägten seine Amtszeit. Und doch unterstrich er stets, dass ihm um Deutschlands Zukunft nicht bang sei.
"Das Wichtigste, das wir unseren Kindern und Kindeskindern mit auf den Weg geben, ist für mich vor allem eine Haltung: Es ist das Vertrauen zu uns selbst, das Vertrauen in die eigenen Kräfte. Wir bleiben gelassenen Mutes", sagte er in seiner letzten großen Rede im Januar.
Und auf dem Rückflug von Maastricht bekannte er: "Ich setze auf die Jugend. Ich bin Optimist."
Die Musikwünsche der Bundespräsidenten: Zum Abschied Karat
Mit einem Großen Zapfenstreich werden Bundespräsidenten offiziell aus dem Amt verabschiedet. Meist darf der Geehrte für das militärische Zeremoniell bis zu vier Werke aussuchen.
Für Roman Herzog wurden 1999 der "Coburger Marsch", der Reitermarsch des Großen Kurfürsten und das "Bayerische Militärgebet" gespielt. Johannes Rau hörte 2004 den Marsch "Pomp and Circumstance", Bachs "Jesus bleibet meine Freude" sowie das "Abendlied und Deutscher Zapfenstreich" von Gerhard Scholz. Horst Köhler wählte 2010 zwei Märsche und den "St. Louis Blues". Christian Wulff wurde 2012 mit Beethovens "Ode an die Freude" und dem Judy-Garland-Hit "Over the Rainbow" verabschiedet. Joachim Gauck hat sich "Über sieben Brücken musst du gehen" von Karat ausgesucht, das Volkslied "Freiheit, die ich meine" und das Kirchenlied "Eine feste Burg ist unser Gott".
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