Was macht eigentlich Kamala Harris?

We did it! Joe, we did it!" Viele Menschen erinnern sich an das Handyvideo von Kamala Harris, das sie zeigt, als sie zum ersten Mal mit Joe Biden über ihren Wahlerfolg bei den US-Präsidentschaftswahlen spricht.
Geschichte hatte die heute 58-Jährige geschrieben, als sie 2020 die erste Frau im Amt des Vize-Präsidenten der Vereinigten Staaten wurde. Der mediale Hype um ihre Bewerbung war enorm und nicht nur Feministinnen jubilierten über ihren Wahlsieg.
"Die Erwartungen waren hoch. Sie war die große Zukunftshoffnung", sagt Werner Weidenfeld, Direktor des Centrums für Angewandte Politikwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München, der AZ. Seitdem ist es sehr ruhig geworden um die gebürtige Kalifornierin. Zumindest in den deutschen Medien ist sie kaum präsent, während der republikanische Agitator Donald Trump auch ohne Amt regelmäßig in den Schlagzeilen steht.
Camala Harris: Fehlbesetzung ohne eigenes Profil?
Macht Harris also den gleichen Fehler, wie er vielen anderen Frauen ebenfalls unterstellt wird: Einen guten Job zu machen, sich aber viel zu schlecht zu verkaufen? Oder ist sie schlicht eine Fehlbesetzung und hat kein eigenes Profil entwickelt? Eher Letzteres, findet Weidenfeld. Auch er hätte mehr von ihr erwartet. Harris habe als mögliche Nachfolgerin von Biden im Oval Office gegolten. "Davon ist jetzt keine Rede mehr."
Es hapere schon an Präsenz: "Im Moment ist sie wie verschwunden." Joe Biden hingegen sei deutlich mehr in Erscheinung getreten, als er noch Vizepräsident gewesen sei.
Für die "New York Times" leidet Harris einerseits an Bidens geringer Popularität. Andererseits sei völlig unklar, für welche Themen die Vize-Präsidentin stehe, findet der Politik-Experte Weidenfeld. Und das, obwohl die Debatte um Abtreibung in nahezu jedem Bundesstaat tobt. Zwar ist die Juristin quer durch die USA gereist, um für "pro choice" zu kämpfen. "Das Gesicht der Debatte ist sie jedoch nicht", sagt Weidenfeld. Obwohl das Thema ein relevantes sei und bei den Midterms eine große Rolle gespielt habe.
Neben den Frauenrechten hat ihr Joe Biden viele Themen übertragen, mit denen man zugegebenermaßen nicht so einfach glänzen kann: Migration, Wahlrechtsreform, Arbeitsbedingungen. Doch auch wenn diese Felder kontrovers sind - Harris liefert schlicht zu wenig. Weidenfeld findet, dass sich Harris auch bei anderen Themen stärker einbringen könnte, wenn sie schon mit den undankbaren Aufgaben nicht punktet: "Es hindert sie ja niemand daran, dass sie sich zu einem Thema äußert."
Zwar liegt es in der Natur der Sache, dass der Posten des Vize-Präsidenten sehr enge Grenzen hat: Man darf dem aktuellen Präsidenten nicht die Show stehlen, zugleich muss einem das Volk im Fall des Falles das Präsidentenamt zutrauen. Doch auch hier fällt Harris durch: Als Biden wegen seiner Covid-19-Erkrankung ausfiel und Kamala Harris einspringen musste, nahm man sie kaum wahr.
Zugleich ist Harris trotz ihrer Unscheinbarkeit Umfragen zufolge alles andere als populär. Sie ist demnach so unbeliebt im Amt wie kein Vizepräsident zuvor.
Zu stark auf Berater verlassen?
Ein Grund könnte sein, dass Harris im Amt ihre Unbeschwertheit und Menschennähe verloren hat. Mit Anlauf: In den amerikanischen Medien gibt es Stimmen, die Kamala Harris als "übercoacht" bezeichnen. Ein Urteil, das viele Experten auch über die österreichische SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner oder den früheren SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz im Wahlkampf fällten.
Vor lauter Sorge, bei einem Auftritt Fehler zu machen, höre man nicht mehr auf den eigenen Instinkt und verlasse sich zu stark auf Berater.
Zumal es auch anders geht, auch wenn man das nicht gut finden mag: Donald Trump hat trotz oder wegen seiner impulsiven Grenzüberschreitungen immerhin schon einmal die Präsidentschaftswahl gewonnen. Authentisch und "down-to-earth", also unprätentiös zu sein, ist in den USA entscheidend.
Dafür hat Harris mit Trump etwas anderes gemein. Nämlich die Tatsache, dass enorm viele Mitarbeiter ihr Team verlassen. Als unberechenbar wird sie als Chefin beschrieben, und mit einem Hang, Menschen verbal zu verletzen.
Über Joe Biden hört man so etwas nicht. Dafür sorgt sein Alter immer wieder für Debatten. Etwa, als er im vergangenen Sommer mit dem Fahrrad umfiel. "Auch Konrad Adenauer war relativ alt", sagt Weidenfeld schlicht dazu. Der Politik-Experte rechnet mit Bidens Kandidatur und auch damit, dass Harris wieder als Vize-Präsidentin aufgestellt wird. "Alles andere wäre ein Rieseneklat und das kann Biden sich nicht erlauben."
Sollte er in der kommenden Wahlperiode noch einmal antreten und gewählt werden, wäre er schon 82 Jahre alt. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, dass er frühzeitig abtritt und das Amt an Harris übergibt. Im Moment sieht es allerdings gar nicht danach aus.