Wahltag in den USA: "Hauptsache, der Alptraum ist vorbei"

Endlich wird gewählt. Der 8. November, Schlusspunkt eines beispiellosen Wahlkampfs in den USA. Clinton oder Trump - eine Entscheidung von historischer Tragweite. Es geht um sehr viel, nicht nur für die im Inneren zerrissene Weltmacht.
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Einer von beiden wird im kommenden Januar ins Weiße Haus einziehen - Donald Trump (l.) oder Hillary Clinton.
dpa Einer von beiden wird im kommenden Januar ins Weiße Haus einziehen - Donald Trump (l.) oder Hillary Clinton.

Washington - Es ist eine der wichtigsten Wahlen der jüngeren Geschichte. Wenn an diesem Dienstag über den nächsten Präsidenten der USA abgestimmt wird, ist das nicht nur eine Richtungswahl für die letzte Supermacht. Hillary Clinton oder Donald Trump: Auch international wird die Entscheidung am Mittwoch (MEZ) mit größter Anspannung verfolgt werden. Von Verbündeten Amerikas, seinen Gegnern - und auch von populistischen Bewegungen vieler anderer Länder.

"Meine lieben Landsleute, unser langer, nationaler Alptraum ist vorüber." Was Gerald Ford nach dem Rücktritt Richard Nixons sagte, empfinden viele Wähler 2016 ähnlich. Viele Gesprächspartner im Land gehen mit einem Gefühl von "Hauptsache vorbei" in den Wahltag. Eine erschöpfte Demokratie am Rande ihrer Möglichkeiten. Nach hysterischen Monaten voller Anwürfe und Beleidigungen, in denen Fakten kaum eine Rolle gespielt haben, steht am Ende eine Art Trümmerbruch der Demokratie.

Hillary Clinton gegen Donald Trump: "Was für eine Trash-Wahl!"

Alle großen US-Medien beschreiben kurz vor der Wahl die Spaltung des Landes, und wie sehr die hässliche Auseinandersetzung dieses Jahres bestehende Risse vertieft habe. Schmutzig war der Wahlkampf, extrem intensiv, für viele abstoßend. "Was für eine Trash-Wahl", sagte ein republikanischer Abgeordneter aus Wisconsin.

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Der Weg ins Weiße Haus ist lang und steinig. Wer die Ochsentour durch die innerparteilichen Vorwahlen überstanden hat, ist offiziell Kandidat. Am Wahltag selbst wählt das Volk nicht direkt den künftigen Präsiidenten, sondern Wahlmänner für das sogenannte electoral college. Am 20. Januar 2017 legt der neue Präsident oder die neue Präsidentin den Amtseid ab.

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Die letzten Umfragen sehen Clinton vor Trump, aber sicher ist nichts. Es ist nicht wahrscheinlich, aber es kann sein, dass der 45. Präsident der USA ein New Yorker Milliardär ist, bar jeder politischen Erfahrung.

Bis zum Schluss kämpfen sie um jede Stimme

Wie zwei Derwische fegen die beiden in den letzten Tagen vor der Wahl durch das Land. Umkämpfte Staaten, Tausende Meilen im Flugzeug, Reden bis zur Heiserkeit, Kämpfen um jede Stimme. Das eine Lager, Trumps, sieht die Lage vorrevolutionär. Will das System Washington umstürzen, von dem es sich seit Jahrzehnten betrogen und verlassen sieht. Das andere Lager, Clintons, verstärkt seine Warnungen vor der Faschismusnähe Trumps, seiner Demagogie, seiner Hetze.

Am Morgen nach der Wahl werden beide Lager im gleichen Land aufwachen, und doch auf verschiedenen Planeten. Und ein Lager, Menschen im Bereich hoher zweistelliger Millionen, wird verloren haben. Was dann passiert und ob etwas passiert, weiß niemand so richtig. Und wenn Trump seine Niederlage nicht anerkennt? Es gibt dieser Tage tiefbesorgte Berichte über die große Zahl der Waffen im Land, über entschlossene Anti-Clinton-Milizen, über aggressive Bewegungen a la "Das ist nicht mein Präsident" beider Seiten. Aber es gibt auch viel Beschwichtigung, Mahnungen zur Sachlichkeit, man solle bitte nicht übertreiben. "Dieses Land hat eine Menge überlebt, und es wird weiter aufrecht stehen, egal, was am Dienstag passiert", schreibt der angesehene Publizist Charlie Cook. "Schaut nicht so viel fern, geht mal ins Kino, spielt eine Runde Golf, tut irgendwas, um Euch abzuregen."

"Game over", wenn Trump Florida nicht holt

öTrumps Team verbreitet derweil das Bild ungebrochener Siegesgewissheit. Welche tiefen Kratzer dieses Bild hat, dass es sehr wohl nagende Zweifel gibt, hat zuletzt die "New York Times" eindrucksvoll beschrieben. Für Trump muss am Wahltag für einen Sieg alles, wirklich alles in seine Richtung gehen. Sein Weg zum Weißen Haus ist noch da, aber er bleibt extrem schmal. Clinton schöpft dagegen neue Zuversicht. Ihr Team gründet den Optimismus aus sehr guten Zahlen beim sogenannten Early Voting, der vorzeitigen Stimmabgabe. Demnach kann Trump zum Beispiel Nevada schon mal vergessen. Einige "Swing States", also Staaten in denen Mehrheiten immer wieder zwischen Republikanern und Demokraten wechseln, braucht er unbedingt, Pennsylvania oder North Carolina. Und wenn er Florida nicht holt: Game over.

Clinton ist schwer beschädigt von der Berichterstattung über ihre E-Mail-Affäre, hohe Redehonorare und Praktiken ihrer Stiftung. Am Sonntag dann eine riesige Erleichterung, nur zwei Tage vor der Wahl entschärfte das FBI den selbst gelegten Sprengsatz: Es wird keine neue Untersuchung ihrer E-Mails geben, die auf einem anderen Rechner gefunden wurden. Kein neuer Verdacht kriminellen Verhaltens. Und noch eine Erleichterung: Clinton erfährt in den letzten Tagen wohl eine ungeahnte Welle der Zustimmung von wählenden Latinos. 1984 waren 86 Prozent aller Wähler weiß. 2016 könnten es unter 70 Prozent sein. Vielleicht bauen am Ende ausgerechnet hispanische Wähler ein ganz anderes Bauwerk als das, wovon Trump seit 2015 redet. Eine schützende Brandmauer für Clinton statt eines Grenzwalls zu Mexiko.

Viel hängt auch von den Kongresswahlen ab

Nach diesem zermürbenden Jahr hat niemand mehr das heilende Gefühl, dass es einen echten Sieger geben wird. Um Inhalte geht es seit Monaten nicht mehr. Was wird aus den echten Nöten und verzweifelten Anliegen der weißen Arbeiterschicht, die George Packer und J.D. Vance so packend beschrieben haben? Hat die weitgehend implodierte republikanische Partei eine Zukunft - als Arbeiterpartei? Würde ein Verlierer Trump eine Bewegung an sich binden? Wäre Clinton nur eine Präsidentin des Übergangs? Machen die Republikaner ihre düsteren Drohungen war und überziehen sie sofort mit einem Amtsenthebungsverfahren? Bewertung und Möglichkeiten nach diesem historischen Dienstag hängen auch davon ab, ob die Demokraten den Senat für sich holen können, und ob das Abgeordnetenhaus in der Hand der Republikaner bleibt. Als tonnenschweres Gegengewicht zu einem Weißen Haus, in dem zum ersten Mal in der Geschichte eine Frau regiert. Oder als Politikmaschine für einen Politnovizen, dessen Eignung für das mächtigste Amt der Welt so viele aus so vielen Gründen in Frage stellen. "Es ist ein schreckliches Schauspiel, wenn die Irrationalität populär wird", hieß es im Magazin "The Atlantic". Der Autor war Thomas Mann. Das Jahr 1944.

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