Wahl in Großbritannien: Politologe: "Falsch eingeschätzt"

Im Interview spricht der Politologe Josef Janning über mögliche Regierungen und die Folgen der May-Pleite für den Brexit.
München - Der Politologe Josef Janning ist Leiter der deutschen Stelle des European Council on Foreign Relations und Experte für EU- und Auslandspolitik. Er hat mit der AZ gesprochen.
AZ: Herr Janning, wie konnte sich Theresa May – ebenso wie James Cameron beim Brexit – bei der Wahl so verschätzen?
JOSEF JANNING: Das hat damit zu tun, dass sich die beiden Politiker in ihrer Rolle und ihren Möglichkeiten falsch eingeschätzt haben. May hat geglaubt, die Situation ist günstig, sie kann die Schwäche von Labour ausnutzen und damit gleichzeitig ihre eigene Schwäche beseitigen, nämlich dass sie abhängig davon ist, was die Hardliner in ihrer eigenen Fraktion wollen. Das war eine falsche Vorstellung.
Halten Sie die Forderung Jeremy Corbyns nach Mays Rücktritt für gerechtfertigt?
Nein, halte ich nicht. Im politischen Ringen muss derjenige, der für seine Verhältnisse einen großen Erfolg erzielt hat, das zum Ausdruck bringen, indem er selbst einen Anspruch stellt. Nach den Regeln des parlamentarischen Prozesses ist er nicht am Zug, sondern zunächst erst einmal die stärkste Partei. Und wenn es ihr nicht gelingen sollte, eine Mehrheit zustande zu bringen, dann könnte er es versuchen. Corbyn hat ja rechnerisch noch weniger Möglichkeiten als May.
Wie erklären Sie sich den großen Erfolg von Corbyn?
Das hat damit zu tun, dass Labour den richtigen Riecher hatte, nämlich nicht alle Energie auf die Brexit-Frage zu fokussieren, in der die Labour-Partei eine etwas weiche Position hat. Labour hat gesagt: Wir fokussieren die soziale Frage, die Einschnitte, die es gegeben hat. Die Torys haben gesagt: Die soziale Frage lösen wir über wirtschaftlichen Erfolg. Der ist da, aber die soziale Frage bleibt. Das hat Labour ausgenutzt.
Koalieren will Corbyn mit den Torys nicht. Was ist die Alternative?
Corbyn hat praktisch keine Alternative. Er kann nur darauf setzen, dass es May misslingt, eine Regierung zu bilden. Und damit hätte er einen politischen Erfolg errungen, obwohl er die Wahl ja nicht gewonnen hat. Nur haben die Konservativen sie so gewonnen, dass der Sieg fast zu nichts gut ist. Mit der DUP haben sie eine mickrige Mehrheit.
Halten Sie eine Regierung Mays mit der nordirischen DUP für wahrscheinlich?
Die Alternative dazu wäre eine Neuwahl. Und wenn man nicht schon in den letzten Jahren neu gewählt hätte, dann wäre das ja eine Möglichkeit. Aber nach vier Wahlen eine fünfte Wahl hinzuzufügen, bedeutet, den Wählern allerhand zuzumuten.
Was bedeutet Mays Rückschlag nun für den Brexit?
Ich glaube, dass die Position der britischen Regierung erheblich schwächer wird. May wollte eine Stärkung ihrer Position auch, um sich ein Stück unabhängig zu machen von den Brexiteers, also dem Hardcore-Lager ihrer eigenen Partei. Nun ist sie stärker als zuvor in den Händen dieses Lagers.
Ist ein zweites Brexit-Referendum denkbar?
Es wird auf jeden Fall irgendeine Volksabstimmung geben müssen. Diese Regierung wird am Ende der Verhandlungen ein Ergebnis präsentieren, mit dem sie sich selbst nicht vollends identifizieren kann, weil die Positionsunterschiede innerhalb der Konservativen zu groß sind. Und bei dieser Entscheidung könnte herauskommen, dass es keine Mehrheit unter den Wählern für dieses Ergebnis gibt.
Diese Entscheidung würde aber nicht bedeuten, dass die Mehrheit in der EU bleiben will.
Das steht nicht zur Diskussion, sondern: Das ist das Verhandlungsergebnis, ja oder nein? Und dann könnten die Briten sagen: Wir wollen raus aus der EU, aber das wollen wir auch nicht. Das wäre der typische Ausdruck der Zerrissenheit des Landes in Bezug auf Europa.
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