Von wegen Anstand
Ihm war sehr wohl bewusst, wie heikel die Sache ist. AZ-Redakteurin Anja Timmermann über die neuesten Wendungen in der Affäre um Bundespräsident Wulff.
Es wird in diesen Tagen gerne versucht, die Debatte um Christian Wulff mit dem Hinweis abzuwürgen, sie schade dem Amt des Bundespräsidenten. Das stimmt nicht: Nicht die Debatte schadet dem Amt, sondern das Verhalten von Christian Wulff. Und deswegen muss sie geführt werden – zu welchem Schluss auch immer man selbst kommt.
Aber die Fragwürdigkeiten sind mittlerweile zu zahlreich und zu ernst, um sie einfach zu ignorieren. Die kleinen Tricksereien rund um den Kredit, von denen immer neue bekannt werden, fallen schon kaum noch auf: etwa, dass er am 15. Dezember erklärt hat, er hätte den (supersuperbilligen) BW-Kredit in einen (billigen) reguläreren umgewandelt. Der Vertrag wurde aber erst am 21. Dezember, einen Tag vor seiner Entschuldigung, unterzeichnet.
Jetzt kommt noch eine ganz neue Komponente hinzu: ein Staatsoberhaupt, das persönlich bei Chefredakteuren anruft, um Recherchen oder Veröffentlichungen zu verhindern. Die Erklärung des Bundespräsidialamtes, man sage dazu nichts, legt die Vermutung nahe, dass es genauso war.
Das zeigt mehrere Dinge. Erstens: Mit Pressefreiheit hat Wulff es wohl nicht so. Zweitens: Er nützt seine Stellung gerne mal für persönliche Vorteile aus. Drittens: Ihm war sehr wohl und schon da bewusst, wie problematisch die Kredit-Geschichte ist – sonst hätte er sie nicht so drastisch verhindern wollen.
Die ganze Geschichte ist eine Frage des Anstands. Den lässt er vermissen – immer mehr.
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