Von der Leyen empfindet Vorgehen in Butscha als Kriegsverbrechen

Kiew - EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich nach ihrem Besuch in dem Kiewer Vorort Butscha erschüttert über das Vorgehen der russischen Armee dort gezeigt.
"Mein Instinkt sagt: Wenn das kein Kriegsverbrechen ist, was ist dann ein Kriegsverbrechen? Aber ich bin eine gelernte Ärztin und das müssen nun Juristen sorgfältig ermitteln", sagte sie am Samstagmorgen auf der Rückreise von Kiew nach Polen vor Journalisten.
Von der Leyen kehrte nach ihrem eintägigen Besuch im ukrainischen Kriegsgebiet am Samstag sicher nach Polen zurück. Am Nachmittag wollte sie in Warschau an einer Geberkonferenz für die Ukraine teilnehmen.
Von der Leyen: "Menschen wurden im Vorbeigehen getötet"
Die EU-Kommissionspräsidentin hatte in Kiew den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj getroffen und sich ein Bild von der Lage in Butscha gemacht, wo derzeit Untersuchungen zu Kriegsverbrechen der russischen Armee laufen. Am vergangenen Wochenende waren dort zahlreiche Leichen ermordeter Zivilisten gefunden worden, teils gefesselt am Straßenrand.
Von der Leyen machte sich in Butscha ein Bild von der Exhumierung von 20 Leichen aus einem Massengrab. Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal, der sie nach Butscha begleitet hat, habe ihr Fotos von den Gräueln gezeigt, sagte von der Leyen. "Menschen wurden im Vorbeigehen getötet", sagte sie dazu. "Wir konnten auch mit unseren eigenen Augen sehen, dass die Zerstörung in der Stadt in das zivile Leben zielte. Wohnhäuser sind keine militärischen Ziele."
Von der Leyen sagte, dass die EU sich nun an den Ermittlungen der Ukrainer in einem gemeinsamen Team beteilige. "Denn es ist extrem wichtig, dass alles gut dokumentiert ist, um Niederlagen vor Gericht zu verhindern, weil die Beweise nicht gut genug sind." Ukrainer und Experten aus den Mitgliedstaaten würden hier zusammenarbeiten, in Verbindung mit dem internationalen Strafgerichtshof.
Ukraine fordert vollständiges Energieembargo
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erwartet nach einem Angriff auf den Bahnhof in Kramatorsk mit mehr als 50 Toten eine entschiedene Antwort der internationalen Gemeinschaft.

Er forderte ein vollständiges Embargo auf russisches Öl und Erdgas. Nach Ansicht des US-Verteidigungsministeriums versuchen die russischen Streitkräfte ihre Einheiten nach Verlusten im Norden der Ukraine wieder aufzubauen.
Zehntausende Reservisten könnten für den Einsatz im Osten des Landes mobilisiert werden. Selenskyj sagte in einer Videobotschaft am späten Freitagabend, es seien die Energieexporte, die den Löwenanteil der Profite Russlands ausmachten. Sie ließen die russische Führung glauben, dass die Welt die "Kriegsverbrechen" der russischen Armee ignorieren werde. Auch die russischen Banken müssten vollständig vom globalen Finanzsystem abgekoppelt werden.
Nach Ansicht des US-Verteidigungsministeriums sind die russischen Streitkräfte für den tödlichen Raketenangriff auf den Bahnhof in Kramatorsk verantwortlich. Bei diesem kamen ukrainischen Angaben zufolge 52 Menschen ums Leben, 109 wurden verletzt. Russlands offizielle Dementis in dieser Sache seien "nicht überzeugend", sagte der Sprecher des Pentagons, John Kirby.
Washington: Russisches Militär füllt geschwächte Einheiten wieder auf
Die russischen Streitkräfte bemühen sich nach Ansicht des US-Verteidigungsministeriums, ihre Einheiten nach Verlusten im Norden der Ukraine mit neuem Material und Soldaten wieder aufzubauen.
Es gebe auch Berichte, wonach die Einheiten, die nun im Osten der Ukraine eingesetzt werden sollten, durch das Mobilisieren "Zehntausender Reservisten" verstärkt werden sollten, sagte Pentagon-Sprecher Kirby. Er warnte, die Russen hätten trotz ihrer Verluste immer noch den Großteil ihrer in der Region gebündelten Schlagkraft für den Krieg zur Verfügung. Zudem werde sich das russische Militär nun wohl auf den geografisch deutlich kleineren Bereich des östlichen Donbass konzentrieren.
Washington sieht Bündelung russischer Einheiten nahe Charkiw
Nach Angaben eines führenden Vertreters des Pentagon hat Russland bereits Tausende zusätzliche Soldaten nahe der Grenze zur ukrainischen Stadt Charkiw zusammengezogen. Die Zahl der taktischen Bataillone in der Nähe der russischen Stadt Belgorod sei von 30 auf inzwischen 40 angestiegen. Solche Bataillone bestehen typischerweise aus etwa 600 bis 1.000 Soldaten.
Der leitende Beamte des Ministeriums sagte, es gebe Hinweise, dass die Russen hofften, "mehr als 60.000 Soldaten" zu mobilisieren. Im Donbass sei mit sehr intensiven Kämpfen zu rechnen. "Das könnte sehr blutig und sehr hässlich werden", sagte er.
Ukrainische Ombudsfrau berichtet von Vergewaltigungen Minderjähriger
Die Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments, Ljudmyla Denissowa, hat russischen Soldaten Vergewaltigungen Minderjähriger vorgeworfen. Ein 14 Jahre altes Mädchen aus dem Kiewer Vorort Butscha sei von fünf verschiedenen Männern missbraucht worden und jetzt schwanger, schrieb Denissowa auf Facebook.
Auch ein ebenfalls aus Butscha stammender elfjähriger Junge sei vergewaltigt worden. Die Angaben konnten zunächst nicht überprüft werden. Denissowa appellierte an die Vereinten Nationen, diese und andere Kriegsverbrechen zu untersuchen.
Selenskyj will rasch Fragebogen zu EU-Beitritt beantworten
Die Ukraine will binnen einer Woche einen Fragebogen der Europäischen Union beantworten, der als Grundlage für Beitrittsgespräche dient. Diesen hatte EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen am Freitag bei ihrem Besuch in Kiew Selenskyj überreicht. "Unsere Regierung wird die Antworten qualitativ und sehr schnell vorbereiten. Ich denke, binnen einer Woche»" sagte Selenskyj in seiner täglichen Videoansprache.
USA machen Weg frei für höhere Zölle auf russische Waren
Die US-Regierung kann künftig höhere Zölle auf importierte Waren aus Russland und Belarus erheben. US-Präsident Joe Biden setzte mit seiner Unterschrift ein vom Kongress beschlossenes Gesetz in Kraft, mit dem die normalen Handelsbeziehungen zu den beiden Ländern ausgesetzt werden. Zudem unterzeichnete Biden auch ein Gesetz, das den Import von russischem Öl verbietet.
Russland verbietet Arbeit parteinaher deutscher Stiftungen
Russland hat die Arbeit mehrerer parteinaher deutscher Stiftungen und internationaler Menschenrechtsorganisationen verboten. Die Registrierung entzogen worden sei etwa der Heinrich-Böll-Stiftung, der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Friedrich-Naumann-Stiftung, teilte das Justizministerium in Moskau mit.
Auch die Menschenrechtsorganisationen Amnesty International und Human Rights Watch sowie neun weitere Nichtregierungsorganisationen sind wegen angeblicher "Verstöße gegen die geltende Gesetzgebung der Russischen Föderation" betroffen.
UN-Organisationen fordern Hilfe für in Ukraine gestrandete Seeleute
Zwei Organisationen der Vereinten Nationen haben Hilfe für rund 1.000 in ukrainischen Gewässern auf Handelsschiffen festsitzende Seeleute gefordert. Die Weltschifffahrtsorganisation IMO und die UN-Arbeitsorganisation ILO baten das Internationale Komitee des Roten Kreuzes, Ärzte ohne Grenzen und das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR, die 86 dort gemeldeten Schiffe mit lebensnotwendigen Gütern für ihre Seeleute zu versorgen, wie es in einer gemeinsamen Mitteilung hieß.
Das wird am Samstag wichtig
In Polen findet am Samstag eine internationale Geberkonferenz statt, um Geld für Flüchtlinge aus der Ukraine und Vertriebene innerhalb des Landes zu sammeln. Einberufen wurde die Veranstaltung von der Nichtregierungsorganisation Global Citizen, der EU-Kommission und der kanadischen Regierung.
Die Gelder sollen unter anderem an Programme der Vereinten Nationen und örtliche Hilfsinitiativen gehen. Der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer wird in Kiew zu einem Solidaritätsbesuch erwartet. Er soll Präsident Selenskyj, Premierminister Denys Schmyhal und Bürgermeister Vitali Klitschko treffen.