Vom Kasperl zum Kanzlermacher: Westerwelle ist plötzlich trendy

Der gelbe Clown Guido Westerwelle gibt plötzlich den Gereiften. Er ahnt: Klappt’s dieses Mal nicht mit Schwarz-Gelb im Bund, wird er wohl der „ewige Guido“ bleiben. Seine Vergangenheit als peinlicher Sprücheklopfer will er am liebsten vergessen.
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Ist auf einmal ganz diplomatisch: FDP-Chef Guido Westerwelle
dpa Ist auf einmal ganz diplomatisch: FDP-Chef Guido Westerwelle

MÜNCHEN - Der gelbe Clown Guido Westerwelle gibt plötzlich den Gereiften. Er ahnt: Klappt’s dieses Mal nicht mit Schwarz-Gelb im Bund, wird er wohl der „ewige Guido“ bleiben. Seine Vergangenheit als peinlicher Sprücheklopfer will er am liebsten vergessen.

Guido Westerwelle ist sehr, sehr nahe am Ziel seiner Träume: Schafft Schwarz-Gelb bei der Bundestagswahl den von Demoskopen prophezeiten Durchmarsch, kann der 47-jährige FDP-Chef bald den Titel „Vizekanzler und Außenminister der Bundesrepublik Deutschland“ auf seine Visitenkarten drucken lassen. Seit elf Jahren darbt die Partei schon in der Opposition, acht Jahre davon unter Westerwelles Führung.

Lange wurde der Rheinländer als „ewiger Guido“ verspottet. Als berufsjugendlicher Clown, der sich das Wahlziel „18 Prozent“ auf Schuhsohlen drucken lässt und Sprüche rausdonnert, die einer Einladung zum Fremdschämen gleichkommen: „Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, gibt’s einen, der alles regelt – und das bin ich.“

Plötzlich sind 18 Prozent in Reichweite gerückt

Jetzt sind die lange Zeit lächerlich wirkenden 18 Prozent plötzlich in Reichweite gerückt, die FDP scheint trendy zu sein – und Westerwelle wird als Koalitionspartner umworben: Die Meinungsforschungsinstitute sehen die Liberalen konstant zwischen 12 und 16 Prozent, die Stimmung an der Parteibasis ist gehoben.

Bundesweit freut sich die Partei – entgegen dem Trend der austrocknenden Volksparteien – über steigende Mitgliederzahlen, soeben übersprang sie die Hürde von 70000. Die Bayern-FDP hatte im vergangenen Jahr sogar 18 Prozent Mitgliederzuwachs. Selbst die Medien berichten verdächtig freundlich über die Liberalen. „Jetzt lacht die FDP“, titelte soeben die „Zeit“, und die „Neue Zürcher Zeitung“ kommentierte: „Der gereifte Westerwelle entwickelt sich zum entscheidenden Faktor im Kampf um die Kanzlerschaft.“

Zwar gibt es in weiten Teilen des rot-grünen Milieus noch immer eine herzliche Abneigung gegen den liberalen Vorturner. Aber seit die FDP daran werkelt, ihr Image der neoliberalen Steuersenkungspartei wieder um Politikfelder wie Bildung und Bürgerrechte zu erweitern – auch wenn Parteifreunde Westerwelle dabei zum Jagen tragen mussten – kommen die Liberalen bei jungen Wählern wieder besser an – und auch bei manchen enttäuschten Sozialdemokraten .

Gegen die Ampel sträubt er sich - zumindest jetzt

Johannes Vogel, Chef der Jungen Liberalen, bestätigt das der AZ: „Immer häufiger kommen an den Infoständen Menschen auf uns zu, die früher Gerhard Schröders Kurs der Neuen Mitte unterstützt haben.“ Während die SPD unter einem „zentralen Glaubwürdigkeitsproblem“ leide, liefen auch wirtschaftsfreundliche Unionsanhänger zu den Liberalen über: „Das Feigenblatt Guttenberg überzeuge längst nicht alle.“ Die Stärke der FDP liege aber nicht nur in der Schwäche der anderen Parteien, sondern habe auch mit Wertewandel und Milieuauflösung in der Gesellschaft zu tun, analysiert Vogel: „Es gibt derzeit eine grundsätzliche Stärkung des liberalen Denkens in Deutschland.“

Westerwelle bastelt derweil am Rollenwechsel vom schrillen Kasperl zum Diplomaten – und zum Kanzlermacher. In der Tat ist die FDP wohl der Dreh- und Angelpunkt, wenn nach dem 27.September um Bündnisse gefeilscht wird. Eine Woche vor der Wahl will der FDP-Chef eine Koalitionsaussage zugunsten der Union machen, gegen eine Ampel sträubt er sich – noch: „Eine Koalition mit SPD und Grünen passt aus inhaltlichen Gründen nicht. Einige werden erst zufrieden sein, wenn ich das mit Blut an frisch gestrichene Wände schreibe.“

Doch was, wenn es nicht reicht für Schwarz-Gelb? Sozis und Grüne flüstern: „Dann macht Westerwelle die Ampel. Wird er jetzt nicht Minister, ist er Ende des Jahres als Parteichef weg.“ FDP-Insider halten das für Quatsch. Die Ampel sei der Basis schwer vermittelbar, sagt ein Kenner der Bayern-FDP: „Opposition ist für das durchschnittliche FDP-Mitglied überhaupt nicht Mist. Wir müssen nicht um jeden Preis regieren.“

Markus Jox

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