Volksabstimmung über die Euro-Rettung
BERLIN Die Schuldenkrise ist die bisher tiefste Krise in der Geschichte der Europäischen Einigung. Schwere Krisen erfordern offenbar besondere Maßnahmen. Dieser Ansicht sind immer mehr Politiker: Sie sprechen sich in immer größerer Zahl für eine Volksabstimmung zur Zukunft der Europäischen Union aus. Angesichts zunehmend ohnmächtiger Bürger und Parlamente soll der Souverän, das Volk, wieder eine Stimme erhalten.
Die Befürworter für ein EU-Referendum finden sich in allen Fraktionen. Den Anfang gemacht hatte vor einigen Wochen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). „Wenn immer mehr Souveränität nach Brüssel übertragen wird, sind irgendwann die Grenzen des Grundgesetzes erreicht“, sagte Schäuble. In weniger als fünf Jahren werde man über ein neues Grundgesetz abstimmen müssen.
Jetzt schließen sich immer mehr Politiker Schäuble an: „Wir werden bald an diesen Punkt kommen“, sagte FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger forderte einen „europäischen Verfassungsvertrag“. Grünen-Chefin Claudia Roth hält eine Volksabstimmung über eine neue Europäische Union ebenfalls für notwendig. Und auch SPD-Chef Sigmar Gabriel ist dafür: „Wenn wir wirklich nationale Souveränitätsrechte übertragen wollen, reicht eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag für eine Grundgesetzänderung nicht aus. Dafür muss man das Volk befragen.“
Auf eine Grundgesetzänderung, die für eine Volksabstimmung auf Bundesebene nötig wäre, möchte CSU-Chef Horst Seehofer nicht warten: Er hat jetzt die Bundestagswahl 2013 zu einer Euro-Volksabstimmung ausgerufen. „Es geht um eine Richtungswahl“, sagte Seehofer. „Die SPD will, dass Deutschland die Schulden anderer übernimmt. CDU und CSU wollen eine Stabilitätsunion. Die Politik von Union und FDP ist goldrichtig.“
Die bisher einzige wahrnehmbare Gegenstimme kommt von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU): „Wir sollten unsere weise und kostbare Verfassung nicht mal so eben in Frage stellen.“ Auch für mehr europäische Integration lasse das Grundgesetz genügend Spielraum: „Da ist noch Musik drin.“
Ohne Risiko sind diese Referenden nicht, und sie sind langwierig: Im Jahr 2005 hatten die Niederlande und Frankreich per Volksabstimmung eine stabilere europäische Verfassung gekippt. Daraufhin wurde der EU-Reformvertrag überarbeitet, 2008 erneut zur Abstimmung gestellt – und dann von den Iren gekippt. Erst ein Jahr später, nach nochmaliger Überarbeitung, sagten die Iren Yes.