"Volk wird Straßen niederrennen": Extremisten und Querdenker rufen Bauernproteste zu "Krieg" aus

Berlin/München - Lange Staus auf Bayerns Autobahnen, Versorgungsengpässe in Supermärkten und große Demonstrationen in zahlreichen Städten: Ab kommenden Montag könnten mehrere Berufsbranchen Deutschland stilllegen. Nicht nur die Bauern streiken, sondern neben der Deutschen Bahn auch zahlreiche Spediteure, die sich zusammen mit dem Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) der Protestwoche der Bauern anschließen.
Der Hintergrund: Der Bauernverband pocht weiterhin auf Steuervergünstigungen beim Agrardiesel und der KFZ-Steuer. Die Dehoga will den mittlerweile zurückgenommenen siebenprozentigen Mehrwertsteuersatz in der Gastronomie wiederhaben.
Vor den Bauerprotesten in Deutschland: Radikale Videos verbreiten sich in Windeseile
"Es wird niemals einen größeren Protest geben als an diesem Tag", heißt es in einem Video, das auf Instagram viral ging. Kurz vor dem Start der Streikwoche wimmelt es dort von Beiträgen, in denen Bauern ihrer Wut über die Bundesregierung freien Lauf lassen. Doch einige Videos, Bilder und Texte stammen offenbar gar nicht von ihnen, sondern von Rechtsextremisten, "Querdenkern" und Verschwörungsideologen, die die Gruppen im Internet unterwandern.
Manche bezeichnen die Protestwoche als "Krieg", andere teilen Bilder, die an den Sturm auf das Kapitol in Washington vor drei Jahren erinnern. Sie wurden offensichtlich von einer Künstlichen Intelligenz (KI) erstellt und zeigen eine große Menschenmasse vor dem Deutschen Bundestag.
"Spinner": Deutscher Bauernverband distanziert sich deutlich
Der Deutsche Bauernverband hatte sich bereits vor einigen Tagen von extremen Randgruppen und "Spinnern mit Umsturzfantasien", wie es in einer schriftlichen Erklärung der Interessenvertretung heißt, deutlich distanziert. Dennoch entsteht im Internet zurzeit ein Sammelbecken verschiedener Extremisten – ähnlich wie bei der Demonstration von Monika Gruber vergangenes Jahr in Erding. Damals mischten sich unter die Demonstranten unter anderem Verschwörungsideologen und Corona-Leugner.
Die Bilder und Videos, die zurzeit auf Telegram, Facebook und Instagram in Organisationsgruppen von Bauern und von einzelnen Benutzern veröffentlicht werden, haben eine theatralische Aufmachung. Schnell geschnitten, unterlegt mit Pop-, Hip-Hop, Techno und Rocksongs sollen sie möglichst viele Menschen ansprechen.
"Das Volk wird die Straßen niederrennen"
Als "500. Jahrestag" des Bauernkriegs wird die Protestwoche in der Gruppe "BY-Bauern & Verbraucher" bezeichnet. Ziel sei diesmal allerdings nicht der Kampf gegen Adel und Klerus, sondern die "Ampelabschaltung." In einem Video, das als Reel von verschiedenen Nutzern auf Instagram hochgeladen wurde, ist die Rede vom "Volk", das am 8. Januar die Straßen "niederrennen" werde. "Uns nehmt ihr alles, damit ihr ein schönes Leben habt, welches ihr nicht verdient habt, weil ihr es auf unserem Schweiß und Blut aufgebaut habt – auf Kosten der Bürger", so der Wortlaut in einem der Videos.
Martialische Bilder von Traktorfahrern, die vor der Polizei flüchten, ihren Müll auf der Straße abladen oder Autobahnen blockieren. Mittendrin tauchen immer wieder Transparente auf, die an den Fahrzeugen befestigt sind: "Wer macht Deutschland satt, wenn wir es satthaben?", steht auf einem. Ein weiteres Banner zeigt, gegen wen sich die Kritik hauptsächlich richtet: "So viel Scheiße wie in Berlin produziert wird, können wir allein nicht wegfahren."
Extremistische Symbole und Kriegsfantasien
Auch Symbole wie die Landvolksflagge tauchten vor wenigen Wochen bei einer Demo in Stuttgart auf. Die dahinterstehende Landvolkbewegung galt als Wegbereiter für die NSDAP während der Agrarkrise in den 1920er-Jahre. Neben den Fotos aus Stuttgart, machen auch Audioschnipsel aus der patriotischen Rede eines Lehrers, ursprünglich aus dem mit vier Oscar prämierten Spielfilmdrama "Im Westen nichts Neues", auf der populistischen Instagram-Seite "Haboub News" die Runde. Darin legt der Professor Kantorek die geistige Saat, um seine Schützlinge für die Armee zu mobilisieren. "Deutschland liegt in den Händen unserer größten Generation. Meine Freunde, das sind Sie!", heißt es darin. Und weiter: "Auf in den Kampf für Kaiser, Gott und Vaterland".
Im Video erscheinen blinkende Traktoren, gleichzeitig läuft der Neue-Deutsche-Härte-Hit "Sonne" von Rammstein im Hintergrund. "Guten Morgen Patrioten, bald ist es so weit und Deutschland wird in den Generalstreik treten", so die Reaktion eines Nutzers dazu.
Politikwissenschaftler Leggewie: "Damals endete alles im Faschismus"
Für den Politikwissenschaftler Claus Leggewie von der Justus-Liebig Universität Gießen sind diese Töne nichts Neues. "Teile der Agrarwirtschaft waren in Krisenzeiten höchst anfällig für Rechtsradikale", sagt der Forscher zur AZ. Auch wenn Europa den größten Teil der Nahrungsmittel, wie Leggewie betont, aus der Weltwirtschaft importiere, herrsche weiter die Vorstellung vor, dass Landwirtschaft ein Land autark machen würde. Auch der Gedanke, dass die Gewinne aus der Landwirtschaft dem Gemeinwohl dienen würden, sei weit verbreitet.

"Das sind Vorstellungen aus der Ständegesellschaft, die sich schon die Nazis mit dem 'Reichsnährstand' zunutze gemacht haben", erklärt Leggewie. Er sieht eine Gefahr in dieser Entwicklung: "Da wachsen verschiedene Protestmotive zusammen, werden Existenzängste aller Art geschürt. Und damals endete das im Faschismus. Hans Fallada hat das in seinem Roman 'Bauern, Bonzen, Bomben' beschrieben."
AfD mobilisiert Menschen für Bauernproteste
Eine maßgebliche Rolle spielen auch Mitglieder der Gruppierung "Landwirtschaft verbindet Deutschland" (LSV) , die mit zahlreichen Reels auf Instagram die Gemüter mit einschlägigen Videos aufheizen. Außerdem mobilisiert die AfD seit einigen Wochen Menschen für die Bauernproteste. "Halten wir zusammen und beenden diese wahnsinnige Politik", so die Botschaft in einem AfD-Werbevideo. Das findet Leggewie paradox: "Die AfD, die 'eigentlich' gegen Subventionen ist und neoliberal tickt, setzt sich auf jeden Protestzug drauf und missbraucht berechtigten Protest."
Grundsätzlich hat Politikwissenschaftler Leggewie Verständnis für die Wut der Bauern. "Viele Klagen, ich kenne das aus eigener familiärer Anschauung, haben einen guten Grund: Hofsterben, Preisverfall, teure Maschinen, schwer zu erfüllende Auflagen im Tier- und Landschaftsschutz." Als Selbstständige könnten Bauern nicht streiken wie Gewerkschaften oder Druck machen wie Fluglotsen. "Da bleiben außer Lobbyarbeit in Brüssel und Berlin nur Straßenblockaden."
Neonazistische Gruppierung bei Demonstration in Bad Königshofen
Ersten Protest gibt es bereits in vereinzelten Ortschaften, wie am Donnerstag in Erding. 300 Traktoren und 500 Landwirte erwarten die Organisatoren dort. In anderen Teilen von Bayern haben verärgerte Bauern Ortsschilder umgedreht. Manche gingen noch einen Schritt weiter: Bilder, aufgenommen in der Nähe von Traunstein, zeigen an Galgen aufgeknüpfte Verkehrsampel-Attrappen, umso wohl symbolisch den "Tod der Ampelkoalition" darzustellen.
Richtig losgehen, soll es ab dem 8. Januar. Zuerst in München, dann am 10. Januar in Augsburg und zwei Tage später ebenso in Nürnberg. Am 15. Januar sollen sich dann Demonstranten aus ganz Deutschland bei einer Großveranstaltung in Berlin treffen. Dabei könne die Teilnahme von Extremisten nicht ausgeschlossen werden, sagt ein Sprecher aus dem bayerischen Innenministerium zur AZ. Aktivisten der neonazistischen Gruppierung "Kollektiv Zukunft schaffen – Heimat schützen" (KZSHS) hätten eigenen Angaben zufolge schon bei einer Landwirte-Kundgebung am 29. Dezember in Bad Königshofen teilgenommen.
Neben Gastronomen und Spediteuren könnte sich auch der Bayerische Industrieverband Baustoffe, Steine, Erden (BIV) anschließen, der den Protestaufruf zusammen mit der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), dem Verband der Bayerischen Entsorgungsunternehmen (VBS) und dem Bayerischen Ziegelindustrie-Verband (BZV) unterstützt, wie aus einem Schreiben des Landesverbands Bayerischer Transport- und Logistikunternehmen (LBT) hervorgeht.
Während der Protestwoche müssen der Deutsche Bauernverband und die Landesverbände konsequent gegen NS-Symbole, Volksverhetzungen und Morddrohungen vorgehen, denkt Leggewie. Sonst könnte die Interessenvereinigung an Mitgliedern und damit an Einfluss verlieren.
Auch linke Szene aktiv: "Streikbrechen – gegen die rechte Revolte"
Abzuwarten bleibt, ob es auch zu körperlichen Auseinandersetzungen kommt. Einzelne antifaschistische Gruppierungen machen im Internet bereits Stimmung. Dabei verbreitet sich ein Bild, auf dem ein dunkel gekleideter Mann vor einem in Flammen stehenden Traktor wartet. "Streikbrechen – gegen die rechte Revolte", steht im Text darunter.
Der Deutsche Bauernverband will eine derartige Eskalation vermeiden. "Wir sind ein Verband, der zur demokratischen Grundordnung steht", sagt Präsident Joachim Rukwied zur AZ. Die Organisatoren aus den Landesverbänden sollen deshalb genau festlegen, wer bei den Kundgebungen sprechen darf. Auf einzelne Gruppierungen sei der Verband bereits durch Beiträge im Internet aufmerksam geworden. Diesen werde man bei der Protestwoche auf keinen Fall eine Bühne bieten.