Verschwörungen und blinde Wut: Letzte Hoffnung NetzDG?

Der Journalist Richard Gutjahr, Opfer von Hass im Netz, fühlt sich von den Sozialen Medien im Stich gelassen und erfährt unverhofft Besserung durch das umstrittene Gesetz.
von  Christoph Elzer
BR-"Rundschau"-Moderator Richard Gutjahr.
BR-"Rundschau"-Moderator Richard Gutjahr. © BR

Der Journalisten Richard Gutjahr, Opfer von Hass im Netz, fühlt sich von den Sozialen Medien im Stich gelassen und erfährt unverhofft Besserung durch das umstrittene Gesetz.

Das von Justizminister Heiko Maas vorangetriebene Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) steht derzeit massiv unter Beschuss. Konzerne wie Google/YouTube, Facebook und Twitter würden aus Angst vor juristischen Konsequenzen proaktiv Inhalte löschen und sich damit selbst zum Richter über die Grenzen der freien Meinungsäußerung aufschwingen, monieren Kritiker.

Einen anderen Blick auf das Gesetz gewährt nun der Münchner Journalisten Richard Gutjahr in seinem Blog. Seit er 2016 sowohl beim Lkw-Anschlag in Nizza als auch beim OEZ-Amoklauf in München Augenzeuge wurde, steht er im Kreuzfeuer von Verschwörungstheoretikern und Antisemiten. Sie unterstellen, dass Gutjahr, der mit einer Jüdin verheiratet ist, Teil einer globalen Verschwörung sei und die Bluttaten nur inszeniert wurden, also nie stattgefunden haben.

YouTube antwortete auf die Beschwerde - in thailändischer Schrift

Videos, die diese "Theorien" erläutern und belegen sollen, werden bei YouTube und Facebook hochgeladen, mehr als 800 sind es mittlerweile. Dazu kommen zig Tausende Kommentare, die teils voller antisemitischer Beleidigungen oder unverhohlenen Morddrohungen stecken. "Unser Kampf gegen diesen Psycho-Terror geht nun bald ins dritte Jahr. In den zurückliegenden Monaten habe ich viel gelernt über US-Konzerne wie Facebook oder Google, über unser Rechtssystem und über die tatsächliche Strafverfolgung von Hatespeech. Vor allem aber habe ich viel über unsere Gesellschaft gelernt. Vieles davon hätte ich vor nur zwei Jahren nicht für möglich gehalten", schreibt Gutjahr.

"Unsere Gerichts- und Anwaltskosten sind gewaltig. Hinzu kommen die schlaflosen Nächte, die Tränen und die zwischenmenschlichen Konflikte, die nicht nur unser Privatleben, sondern auch das Verhältnis zu meinem Arbeitgeber auf die Probe gestellt haben." Beim Kampf gegen diesen scheinbar grenzenlosen Hass fühlt Richard Gutjahr sich von den Betreibern der sozialen Netzwerke im Stich gelassen. Google beispielsweise beruft sich darauf, in Deutschland keine Dependance seiner Video-Plattform YouTube zu unterhalten und daher hierzulande auch nicht auf das Thema ansprechbar zu sein. Man möge sich doch bitte an die Zentrale im kalifornischen San Bruno wenden.

Es kam aber noch schlimmer: "Nach einigen Tagen kamen die ersten E-Mail-Reaktionen von YouTube, teils in thailändischer oder kyrillischer Schrift. (...) Als ich schließlich einen dritten Anlauf unternahm, die Videos aufgrund von Copyright-Verstößen entfernen zu lassen, geschah das Unfassbare: Google sperrte einige Videos für ein paar Tage, schickte meinen Peinigern gleichzeitig meine E-Mail- und Wohnadresse - wir sollten uns doch bitte untereinander einigen", schreibt Gutjahr.

Das neue Gesetz bewegt plötzlich etwas

Auch die deutschen Strafverfolgungsbehörden tun sich mit der Thematik schwer: Kommentarschreiber oder Video-Urheber ausfindig zu machen ist schwer, der Prozess meist monate- oder gar jahrelang und teuer. Große Hindernisse für die Opfer, die zunächst einmal sämtliche Kosten auslegen müssen und erst im Falle einer Verurteilung die Beträge in Höhe von vielen Hundert bis Tausend Euro zurückfordern können. Sollte der Verurteilte mittellos sein, bleibt das Opfer auf seinen Kosten sitzen.

In dieser Situation sieht Gutjahr die Vorteile des NetzDG: Seit es Anwendung findet, löschen YouTube, Twitter & Co. die Hassbeiträge plötzlich auf seine Beschwerden hin. Doch er erkennt auch die Gefahren: "Ansonsten schießt das NetzDG weit übers Ziel hinaus", so Gutjahr. Es könnte die Täter im Extremfall "sogar schützen, denn ein vorschnell gelöschter Beitrag kann nur noch schwer zur Anzeige gebracht werden". Diese Löschung kann übrigens jeder beantragen - nicht nur der Betroffene selbst. Dem Missbrauch sind so Tür und Tor geöffnet.

Und noch viel wichtiger: Es nimmt den Strafverfolgungsbehörden endgültig die Verantwortung über Unrecht im Netz und verlagert sie in die Hände der Privatwirtschaft. Das ist, trotz Gutjahrs positiven Erfahrungen mit dem Gesetz, das vermutlich größte Problem. Oder um es mit den Worten von Gutjahrs Anwalt Markus Kompa zu sagen: "Das drakonische Maas-Gesetz allerdings ist ein Holzhammer, der das verfassungsrechtliche Konzept der nachträglich sanktionierbaren Meinungsfreiheit umkehrt und faktisch Zensur induziert."

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.