Verraten und verkauft: Ärger um CSU-Meldegesetz

Darf der Staat die Daten seiner Bürger verkaufen? Ja klar, sagt die Bundesregierung – und verabschiedet still ein neues Meldegesetz. Datenschützer sind entsetzt.
MÜNCHEN Kreditangebote, Reisekataloge oder Lottoabos: In vielen Haushalten ist täglich der Briefkasten verstopft, immer wieder läutet das Telefon. Der Grund: Firmen wollen den Bürgern etwas verkaufen. Der Bürger fragt sich: „Woher haben die meine Adresse?“
Die Antwort könnte künftig lauten: vom Staat. Denn Städte dürfen bald die Daten ihrer Einwohner verkaufen. Am 28. Juni hat der Bundestag eine Änderung des Meldegesetzes beschlossen – mit weitreichenden Konsequenzen für die Bürger. An diesem Abend war Deutschland bei der EM gegen Italien angetreten. Gerade hatte Pirlo den Schuss von Hummels von der Linie gekratzt, als im Bundestag einige wenige Abgeordnete die Hand hoben. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit ist jetzt ein Gesetz auf dem Weg, das Datenschützer erzürnt – die AZ erklärt den Inhalt und den Streit ums neue Meldegesetz.
"Legen Sie Widerspruch beim Amt ein": Lesen Sie in der gedruckten Montagsausgabe der AZ ein Interview zum Meldegesetz mit AZ-Kolumnist Richard Gutjahr.
AZ-Meinung: In Erklärungsnot. AZ-Vize Georg Thanscheidt über das Meldegesetz
Was steht in dem neuen Gesetz?
Familienname, Vorname, Doktorgrad, Anschrift – das sind die Daten, die Meldeämter künftig verkaufen dürfen. Zum Beispiel an Adresshändler, Inkassounternehmen oder Werbefirmen. Datenschützer sind empört. Geht das Gesetz durch den Bundesrat, wird der Bürger noch ein Stück gläserner.
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hat das Gesetz im Bundestag auf den Weg gebracht, ohne Aussprache und vor weitgehend leeren Rängen. Im Nachhinein ist die Empörung der Opposition groß. Was sie ärgert, ist vor allem eine entscheidende Änderung zu dem Gesetzesentwurf vom letzten Jahr. Anders als ursprünglich geplant, müssen Bürger nun nicht einwilligen, dass die Ämter ihre Daten verkaufen dürfen. Es geht stattdessen um Widerspruch. Das heißt: Künftig dürfen Daten aus den Melderegistern nur dann nicht an Kaufwillige weitergegeben werden, wenn der einzelne Bürger schriftlich erklärt hat, dass er das nicht will. Zusätzlicher Knackpunkt: Widerspruch beim Amt ist zwecklos, wenn es um Daten geht, die eine Firma ohnehin schon besitzt – was häufig der Fall sein dürfte. Wenn sich Adresshändler also Daten nur bestätigen oder aktualisieren lassen wollen, sind die Bürger zunächst einmal machtlos. Sie müssen nun direkt beim Unternehmen widersprechen – und dafür wiederum erst einmal erfahren, wer ihre Daten überhaupt kaufen will.
Wie kam das Gesetz zustande?
Eigentlich war geplant, dass die Bürger „Ja“ sagen dürfen, anstatt „Nein“ sagen zu müssen. Der ursprüngliche Entwurf zum Meldegesetz vom vergangenen November sah zwar auch vor, dass die Daten der Bürger zu Werbezwecken verkauft werden dürfen. Der entscheidende Unterschied zum neuen Meldegesetz war aber: Jeder Einzelne hätte dafür klar sein Einverständnis geben müssen. Wer nun nicht will, dass der Staat ein Geschäft mit dem gläsernen Bürger macht, muss das schriftlich beim Amt erklären.
Bislang haben die Bundesländer eigene Meldegesetze. Mit dem Gesetz, das nun verabschiedet wurde, setzt die Bundesregierung eine Vorgabe der Föderalismusreform von 2006 um. Demnach geht das Melderecht von den Ländern auf den Bund über.
Damit das Gesetz 2014 in Kraft treten kann, muss es noch durch den Bundesrat. Die Opposition will es dort kippen. Mehrere Länder haben schon ihr „Nein“ angekündigt.
Das sagt der Befürworter
Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit haben Union und FDP in letzter Minute Änderungen in das neue Meldegesetz eingebracht. Die Daten der Bürger könnten zu Werbezwecken weiterverkauft werden – wenn diese nicht widersprechen. Ein „großer Fortschritt“, findet der FDP-Politiker Manuel Höferlin. Denn: „Das Gesetz bietet zum ersten Mal die Möglichkeit, dass Bürgerinnen und Bürger beim Meldegesetz der Weitergabe ihrer Adressdaten zu Werbezwecken widersprechen können.“ Das habe es in allen Ländergesetzen bisher nicht gegeben. „Das ist ein Mehr an Datenschutz, das wir eingeführt haben“. Hamburgs Datenschutzbeauftragter Johannes Caspar vermutet, dass eine einflussreiche Lobby erfolgreich Druck auf die Regierung ausgeübt hat.
Das sagen die Gegner
Datenschützer laufen Sturm gegen das neue Gesetz. Kritik kommt nicht nur von der Opposition, sondern auch von den Jungliberalen.
Die SPD will die Reform im Bundesrat stoppen. SPD-Chef Sigmar Gabriel schrieb auf seiner Facebook-Seite: „Ich will nicht, dass meine Heimatstadt meine Adresse an Werbefirmen oder professionelle Datensammler verkaufen kann.“ Das Melderegister sei „kein Vorratsdatenspeicher für Zwecke der Wirtschaft“. Das sei „gefährlicher Unsinn“, kritisierte er.
Der Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen, Lasse Becker, ist ähnlicher Meinung: „Die Daten der Einwohnermeldeämter sind dafür da, dass öffentliche Verwaltungen einen gesicherten Datenbestand haben und nicht damit irgendwelche Versandhändler meine Adressdaten überprüfen können."
Deutliche Worte fand auch der bayerische Datenschutzbeauftragte Thomas Petri. Er nannte den vorgesehenen Zugriff der Privatwirtschaft auf staatliche Daten „unsäglich“ und forderte die Landesregierung in München dazu auf, die neue Vorschrift im Bundesrat zu stoppen.
Auch auf den Seiten des Internetdienstes Twitter machen Nutzer ihrem Ärger Luft. Sie fordern andere Nutzer zum Protest auf, kritisieren die schwarz-gelbe Regierung, aber auch die Opposition. Immer wieder tauchen die Worte „57 Sekunden“ auf: Solange hat die Abstimmung im Bundestag gedauert. Anwesend waren dabei wenige Dutzend Parlamentarier.
Was machen Firmen mit meinen Angaben?
Persönliche Daten sind der Rohstoff für eine ganze Reihe von Firmen: Versandhäuser, Inkassounternehmen, Direkt-Marketingfirmen und viele andere. Sie versuchen anhand der gesammelten Daten, Zielgruppen für bestimmte Produkte zu ermitteln – Neudeutsch heißt das „Targeting“. Dabei kombinieren sie alle Angaben, die sie aus verschiedenen Quellen ermitteln: Adressen aus Preisausschreiben, Bestelldaten aus dem Internet, Angaben aus Bonus-Programmen und eben auch Adressdaten. Bisher konnte man nach dem bayerischen Meldegesetz der Übermittlung an Religionsgemeinschaften, Parteien, Adressbuchverlage oder Direktmarketing-Firmen widersprechen – dafür hat das Bürgerbüro des KVR ein entsprechendes Formular. Ebenfalls ausschließen kann man die Übermittlung von runden Geburtstagen und Jubiläen an Volksvertreter oder Presse.
Auch Rundfunkanstalten bedienen sich der Melderegister, um Gebührenpflichtige zu ermitteln, viele Verlage sind Kunden der Adressenhändler. Versandhäuser dürfen zum Beispiel ohne Zustimmung ihres Kunden die persönlichen Angaben zusammen mit einem weiteren Merkmal (z.B. Einkommensklasse) an Adresshändler weitergeben. Die sammeln diese in großen Datenbanken. Dies ist legal – allerdings müssen die Firmen einmal pro Jahr den Bürgern auf Nachfrage mitteilen, woher sie die Daten haben und wen sie sie weitergegeben haben.