Vergiftetes Geschenk

MÜNCHEN - Pünktlich zur Wahl bekommen West-Rentner 2,41 Prozent mehr Geld, Ost-Rentner gar 3,38 Prozent. Nach der Wahl drohen jedoch dürre Zeiten. Renten-Forscher finden das Wahlkampf-Geschenk gar nicht gut.
Die Kanzlerin freute sich schon mit den 20 Millionen Rentnern, da war ihr Geschenk noch gar nicht ausgepackt: Sie freue sich, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel, weil jetzt die Nachfrage angekurbelt werde. Eine halbe Stunde später verkündete Arbeitsminister Olaf Scholz: West-Rentner bekommen ab Juli 2,41 Prozent mehr Rente, Ost-Rentner sogar 3,38 Prozent. So stark sind die West-Renten seit 1994 nicht gestiegen. Die AZ klärt wichtige Fragen.
Warum steigen die Renten mitten in der Wirtschaftskrise?
Die Renten sind an die Löhne des Vorjahres gekoppelt. Weil die Deutschen 2008 mehr verdient haben als in den Vorjahren, profitieren davon jetzt die Rentner. Laut Statistischem Bundesamt sind die West-Löhne 2008 um 2,1 Prozent gestiegen, die Ost-Löhne um 3,1 Prozent. Hinzu kommt, dass die Regierung den Riesterfaktor für 2008 und 2009 ausgesetzt hat. Der Faktor berücksichtigt, dass Arbeitnehmer heute zusätzlich privat vorsorgen müssen, um später den Lebensstandard der aktuellen Rentner-Generation zu erreichen. Deshalb wurden vor der Aussetzung des Faktors immer 0,6 Prozent von den Renten-Anpassungen abgezogen. Ebenfalls positiv wirkte sich aus, dass es 2008 weniger Arbeitslose, also mehr Beitragszahler gab.
Werden Rentner auch durch das Konjunkturpaket entlastet?
Ja, weil der Kranken-Beitragssatz Mitte 2009 sinkt, haben Rentner 0,3 Prozent mehr Geld. Deshalb beträgt die Gesamt-Erhöhung für West-Rentner 2,71 Prozent.
Warum kommt die Erhöhung gerade jetzt?
Weil es die große Koalition verstanden hat, den Riesterfaktor rechtzeitig vor der Wahl auszusetzen. Merkel weiß: 20 Millionen Rentner sind 20 Millionen wichtige und aktive Wähler.
Wie bewerten Renten-Experten den Trick mit dem Faktor?
„Das ist Populismus für den Wahlkampf“, sagt Bernd Raffelhüschen von der Uni Freiburg zur AZ. „Es wäre vernünftiger gewesen, wenn die Regierung am Riester-Faktor festgehalten hätte.“ Raffelhüschen zufolge müssen Arbeitnehmer 0,5 Prozent ihres Einkommens zusätzlich zahlen, um später per privater Vorsorge auf das Niveau zu kommen, das Rentner heute haben.
Was kostet die Erhöhung?
Laut Arbeitsministerium muss der Staat 2009 zusätzlich drei Milliarden Euro aufbringen.
Warum bekommen Ost-Rentner ein größeres Plus als West-Rentner?
Weil die Löhne in den neuen Bundesländern 2008 stärker gestiegen sind als im Westen.
Was ist die Erhöhung wirklich wert?
Wenn man eine Inflationsrate von 0,8 Prozent abzieht, bleiben vom 2,7-prozentigen Plus 1,9 Prozent übrig. Laut VdK haben die deutschen Rentner durch Inflation in den vergangenen fünf Jahren 8,5 Prozent Kaufkraft verloren.
Wie bewerten Sozialverbände die Erhöhung?
Vdk-Präsidentin Ulrike Mascher bezeichnet das Renten-Plus als „vernünftige Erhöhung“. „Nach unserer Auffassung darf dies aber keine Ausnahme-Maßnahme bleiben“, fordert sie. Der VdK will, dass der Riester-Faktor komplett abgeschafft wird.
Werden die Renten auch in den nächsten Jahren steigen?
Nein. Zum einen wird der Riester-Faktor ab 2010 aktiviert. Hinzu kommt die Wirtschaftskrise, die sich auf die Löhne auswirkt. VdK-Chefin Mascher rechnet mit Nullrunden.
Ist die gesetzliche Rente sicher?
Ja, so Experte Raffelhüschen. Mit dem Riester-Faktor und der Rente mit 67 haben wir alles auf Platz gesetzt. Wenn die Politik die Finger davon ließe, wäre es auch nachhaltig.“
Volker ter Haseborg