Verehrt und belächelt – Köhler zum Zweiten
Seit Wochen wurde Katz und Maus gespielt: Aus der Politik hieß es, Köhler solle sich entscheiden, ob er noch mal will. Das Staatsoberhaupt will wieder antreten – und die Politik lässt ihn, der Einfachkeit halber.
BERLIN Die Bürger verehren ihn so sehr wie kein Staatsoberhaupt vor ihm, die politische Klasse hält ihn für einen ungelenken Sparkassendirektor, der sich zu sehr einmischt – jetzt scheint die Entscheidung gefallen zu sein, dass Horst Köhler (65) weitere fünf Jahre im Amt bleiben wird. Auch wenn er aus Berliner Sicht eher ein Verlegenheitskandidat ist.
Seit Wochen wurde Katz und Maus gespielt: Aus der Politik hieß es, Köhler solle sich entscheiden, ob er noch mal will, dann würden sich die Parteien überlegen, ob sie ihn unterstützen. Köhler sah’s genau anders: Erst sollten die Parteien ihm sagen, wie breit der Rückhalt für ihn ist, dann könne er entscheiden.
Hinter den Kulissen lief es nun so, dass Köhler in Einzelgesprächen relativ viel Rückhalt erfahren hat und auch Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel vor Ostern grünes Licht gegeben haben soll. FDP-Chef Guido Westerwelle schwor öffentlich seine Treue, und auch CSU-Chef Erwin Huber erklärte: „Er hat die volle Unterstützung von der CSU und auch von mir persönlich.“ Dann wurde über die Springer-Presse seine neuerliche Kandidatur lanciert, um die Reaktionen zu testen. Pflichtgemäß wird aus dem Bundespräsidialamt noch dementiert („Herr Köhler wird sich zu gegebener Zeit äußern“), doch gleichzeitig gibt es Berichte, dass Merkel die Landesgruppenchefs vergangene Woche bereits in Kenntnis gesetzt hat.
Richtig begeistert ist in der Berufspolitik niemand. Zwei Gesetzen hat das Staatsoberhaupt seine Unterschrift verweigert und sie zur Überarbeitung zurückgeschickt. Er rüffelte die Stakkato-Vorschläge von Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) ebenso wie den Populismus von NRW-Regent Jürgen Rüttgers. Sein Verhältnis zu Merkel gilt als abgekühlt. Seine begeisterungsfähige, aber mitunter ungelenke Art gilt im Hauptstadtbetrieb als uncool. Die Wohlwollenderen halten ihn für nett, aber naiv, die anderen für einen Besserwisser und hölzernen Sparkassendirektor.
Das Staatsoberhaupt selbst stört sich nicht an diesem Ruf. Im Gegenteil, die Distanz zum glatten Polit-Betrieb und die unprätentiöse Unverstelltheit ist durchaus Absicht: „Offen will ich sein und notfalls unbequem“ ist sein Motto. Exemplarisch eine Szene, als Köhler mit Rüttgers in der Menge badet: „Grässliche Politik wird in Deutschland gemacht, ganz furchtbar“, ruft ein Mann dem Präsidenten zu. „Tschuldigung, wenn ich Ihnen das jetzt so sage“, setzt er hinterher. „Schon in Ordnung, seh ich genauso“, sagt Köhler. Er wird mit „Hurra, hurra, der Präsident ist da!“-Rufen begrüßt. Als Rüttgers kommt, erstirbt der Jubel sofort. Köhler: „Die Leute glauben mir, dass ich sie ernst nehme. Sie sagen über mich: Er ist nicht entrückt. Das ist vielleicht in Berlin keine ganz wichtige Kategorie, aber für mich.“
Die in Berlin wollen ihn jedenfalls nun noch mal wählen – der Einfachheit halber. Schwarz-Gelb hat zwar derzeit eine hauchdünne Mehrheit in der zuständigen Bundesversammlung. Das könnte sich nach der Bayern-Wahl aber ändern, weil die 60,7 Prozent vom letzten Mal wohl kaum zu schaffen sind. Und es ist der Union zu riskant, nun Unruhe reinzubringen, wenn ein neuer Kandidat gesucht wird, der dann ohne die SPD vermutlich ohnehin keine Mehrheit hat. Die SPD wiederum kann mit Köhler leben – und sie weiß nur zu gut, dass sie einen eigenen Kandidaten nur mit den Linken durchsetzen könnte.
Aufgewachsen ist Horst Köhler in einem Flüchtlingslager in Ludwigshafen, ein Zimmer für vier bis sechs Familien. Nun bleibt er noch fünf Jahre im Schloss Bellevue. tan