US-Experte Josef Braml über Pelosis Taiwan-Besuch: "Die Eskalation eines schwelenden Konflikts"
AZ: Herr Braml, wie gefährlich ist Nancy Pelosis Taiwan-Besuch hinsichtlich einer Eskalation zwischen China und den USA?
JOSEF BRAML: Nicht ohne Grund hat US-Präsident Joe Biden versucht, seine Parteifreundin Pelosi von diesem symbolischen, gleichwohl außenpolitisch brandgefährlichen Besuch in Taiwan abzuhalten. Die Insel, auf die sich die chinesischen Nationalisten 1949 nach ihrer Niederlage im Bürgerkrieg gegen die Kommunisten um Mao Zedong zurückzogen, wird von Pekings kommunistischer Führung als Teil der Volksrepublik und nicht als eigenständiger Staat gesehen. Wenn es um ihre Kerninteressen der Souveränität und territorialen Integrität geht, werden die Chinesen einmal mehr ihre kompromisslose Haltung verdeutlichen.

Möglicherweise Pelosis letzter großer außenpolitischer Auftritt
Warum reiste sie gerade jetzt?
Es war wohl Pelosis letzte Chance, außenpolitisch nochmal ins Rampenlicht zu kommen, bevor sie dann in der nächsten Legislaturperiode ihre schon seit längerem angefochtene Machtposition im Abgeordnetenhaus an eine jüngere Nachfolgerin oder einen Nachfolger aus der eigenen Partei abgeben muss. Im Falle einer Wahlniederlage im November würden die Republikaner die Führungsrolle übernehmen.
Was wollte sie mit ihrer Visite erreichen?
"Angesichts der sich beschleunigenden Aggression der Kommunistischen Partei Chinas", argumentierte Pelosi in einem Beitrag in der Washington Post, sollte der Besuch ihrer Kongressdelegation als "unmissverständliche Erklärung" gesehen werden, dass Amerika in der globalen Auseinandersetzung zwischen Demokratien und Autokratien fest an der Seite seines "demokratischen Partners" stehe. Dagegen haben jedoch die Herausgeber derselben Zeitung Pelosis Taiwan-Besuch als unüberlegte Diplomatie scharf gerügt.
"Ihr Besuch trägt zur Eskalation eines Konflikts bei"
Erfolgte diese Reise womöglich auch aus innenpolitischen Beweggründen?
Auch aus innenpolitischer Sicht war Pelosis Initiative kurzsichtig. Sie hat nicht nur ihren Präsidenten Joe Biden in eine schwierige innen- und außenpolitische Lage gebracht, sondern auch sich selbst geschadet. Niemand hätte ihr einen ernsthaften Vorwurf machen können, wenn sie während ihrer Asien-Reise keinen Taiwan-Besuch erwogen hätte. Da sie dies jedoch öffentlichkeitswirksam in Erwägung gezogen und Peking erwartungsgemäß scharf darauf reagiert hat, hätte sie innenpolitisch ihr Gesicht verloren und das außenpolitische Standing ihres Landes geschwächt, wenn sie wegen Chinas Druck dann doch auf einen Zwischenstopp in Taipeh verzichtet hätte. Mit dem Festhalten an ihren Reiseplänen hat sie jedoch zur Eskalation eines schwelenden Konfliktes beigetragen.
US-Präsident Joe Biden tut so, als hätte er zunächst nichts von Pelosis Reiseplänen gewusst und sei nun maximal mäßig begeistert. Was steckt dahinter?
Offen zuzugeben, dass sich die Parteifreundin Pelosi über den Rat Bidens hinwegsetzte, hätte der Autorität des ohnehin als führungsschwach kritisierten Präsidenten noch mehr geschadet. Bidens Kritik an Pelosi wäre auch deshalb wohlfeil gewesen, weil er davor selbst zur Verschärfung der sino-amerikanischen Beziehungen beigetragen hatte.
"Es bleibt zu hoffen, dass es bei chinesischen Übungsmanövern bleibt"
Inwiefern?
Peking wirkt heute umso provozierter, wurde es doch bereits im Mai dieses Jahres durch Bidens unbedachte Äußerung in Japan irritiert, dass die USA Taiwan im Falle eines chinesischen Angriffs verteidigen würden. Unmittelbar danach wurde Bidens Aussage von seiner Entourage revidiert - aus guten Gründen: Damit hätte der US-Präsident die bisherige Politik der "Ambiguität" preisgegeben und Pekings "Ein-China-Politik" infrage gestellt. Mit Washingtons Ambiguität oder strategischer Mehrdeutigkeit soll auch weiterhin verhindert werden, dass die Führung in Taipeh ihre Unabhängigkeit erklärt und damit Washington in eine militärische Auseinandersetzung mit China hineinzieht.
China hat rund um Taiwan Militärmanöver gestartet. Welche Risiken bergen diese Übungen?
Peking drohte sogar offen damit, eine militärische Antwort zu erwägen. Es bleibt zu hoffen, dass es bei den Übungsmanövern bleibt und Peking nicht dauerhaft eine militärisch bedrohlichere Stellung gegenüber der Insel bezieht.
"Peking könnte Taiwan vor allem wirtschaftlich schaden"
Ist denn mit weiteren Reaktionen Pekings zu rechnen?
Die Auswirkungen von Pelosis unbedachter Reise könnten sich längerfristig erstrecken. Dabei wird nicht Amerika, sondern Taiwan die Hauptlast von Pekings Vergeltung tragen müssen. Pekings Reaktionen könnten sukzessive erfolgen und Taiwan vor allem auch in ökonomischer Hinsicht schaden. Pekings Einsatz von wirtschaftlichen Waffen könnte wiederum dazu führen, dass auch andere Länder ihre wirtschaftlichen Beziehungen von Chinas Volkswirtschaft entkoppeln. Pekings zu erwartende Reaktion würde also Washingtons Forderungen nach "Friend Shoring" verstärken.
"Auch Europa würde unter Konsequenzen leiden"
Wären wir davon auch betroffen?
Selbst wenn es "nur" bei einem "kalten" sino-amerikanischen Wirtschaftskrieg bliebe, würden auch die Europäer Leidtragende sein. Wir erfahren gerade, was es bedeutet, wenn wir uns von Volkswirtschaften entkoppeln müssen, von denen wir etwa durch Rohstoffe abhängig sind. Das ist mit Russland schon schwer genug für unsere Wirtschaft, aber mit China wäre es noch viel heftiger. Anders als die USA, die weitaus weniger internationale Handelsbeziehungen pflegen als die Staaten Europas, können wir uns dieses von Washington forcierte Entkoppeln oder "Friend Shoring" nicht leisten. Bereits heute bedrohen die De-Globalisierung und die damit verursachten Kosten, nicht zuletzt auch in Form von Inflation, den gesellschaftlichen Wohlstand und Zusammenhalt Europas.