Urlaub in Afghanistan: "Debatte ist problematisch und populistisch"
Kabul - Drei Jahre sind seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan vergangen. Seitdem erleben die Menschen dort massive Einschränkungen ihrer Menschen- und Grundrechte, besonders Frauen. Ihnen wird der Zugang zu Bildung verwehrt, Presse- und Meinungsfreiheit sind kaum noch existent.
Gibt es trotzdem Geflüchtete, die es zurück in ihre Heimat zieht, um dort Urlaub zu machen? Dies zumindest legt eine Recherche von RTL Extra nahe, wonach Agenturen in Hamburg angeblich für Menschen aus Afghanistan Urlaubsreisen an den Hindukusch organisieren, ohne dass die Behörden etwas mitbekämen.
Die nötigen Visa finden sich dem RTL-Bericht zufolge auf einem einzelnen, losen Blatt Papier im Pass. Dieses werde dann nach der Rückkehr nach Deutschland einfach entfernt.
Seitdem ist eine Diskussion entbrannt um den Missbrauch des Schutzstatus'. Der Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Joachim Stamp (FDP), warnte Flüchtlinge kürzlich etwa, zu Freizeit- oder Urlaubszwecken in ihre Heimatländer zu reisen.
Der "Bild" sagte er: "Deutschland muss weltoffen bleiben, aber nicht blöd. Die Behörden müssen sicherstellen, dass Menschen, die bei uns Schutz beantragt haben, aber im Heimatland Urlaub machen, unmittelbar ihren Schutzstatus verlieren und nicht mehr in Deutschland bleiben können. Punkt."
Urlaub in Afghanistan: "Geflüchtete haben wichtige Gründe für die Heimreise"
Stephan Dünnwald, Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrates, findet die Debatte "problematisch und sehr populistisch", wie er der AZ sagt. Heimatbesuche von Schutzsuchenden dürfe man nicht leichtsinnig betrachten.
"Die Menschen haben in den allermeisten Fällen wichtige Gründe, um nach Afghanistan zu fahren ‒ das ist überhaupt nicht kritikwürdig." Es werde derzeit "mit Schaum vor dem Mund" debattiert und zu Unrecht verurteilt, ohne die genauen Hintergründe für die Heimatbesuche zu kennen.
"Die Geflüchteten fahren wohl kaum nach Afghanistan, um mit den Taliban auf dem Pick-up zu fahren, einen Kaffee mit ihnen zu trinken oder die schöne Gegend zu bewundern", sagt Dünnwald.
Die Menschen hätten einfach Sehnsucht nach der Familie, nach zu Hause. Vielleicht würden sie Verwandte besuchen, die krank sind. Oder es habe einen Todesfall in der Familie gegeben. Sie würden oft keine Alternative sehen, als dort hinzureisen. "Oder sie fahren einfach hin, um ihre Eltern endlich wiederzusehen." Das sei auch völlig legitim, solange der Schutzstatus nicht gefährdet sei.
Eine Reise trotz Schutzstatus "ist hoch riskant"
Man müsse unterscheiden: zwischen Geflüchteten, die keinen anderen Aufenthaltstitel in Deutschland bekommen haben und für die der Schutzstatus durch die Reise gefährdet sei. Menschen wiederum, die bereits einen anderen Aufenthaltstitel besitzen, "sind auch dazu berechtigt, dorthin zu reisen, wohin sie möchten", so Dünnwald.
Für Geflüchtete mit Schutzstatus verbiete sich eine Reise nach Afghanistan ‒ dem Land, aus dem sie geflohen sind, natürlich, so Dünnwald. "Das ist hoch riskant." Besser sei es dann, sich im Ausland zu treffen, was in der Regel auch gemacht werde. Für die Ausreise aus Afghanistan werde ein Visum benötigt.
Dünnwald nennt den Fall eines Mannes, der seine schwer kranke Mutter finanziell unterstützen möchte. Sie wohnt in Kunduz, im Norden von Afghanistan. Weil die Reise dorthin sehr schwer ist, treffen die beiden sich in Tadschikistan, erzählt Dünnwald. Dem Flüchtlingsrat seien einige solcher Treffen bekannt, im Iran, in Pakistan oder eben in Tadschikistan.
Viele dieser Menschen würden diese Reise antreten, in dem Bewusstsein, wie gefährlich dies für sie sein könnte. Etwa, weil sie durch die Taliban verfolgt werden. Sicher gebe es auch Einzelfälle, die nur noch Afghanistan reisen, um dort Urlaub zu machen. "Ausschließen kann ich das nicht", sagt Dünnwald. Diese seien aber höchst selten.
Reisen in das Herkunftsland sind in Einzelfällen erlaubt
Reisen in das Herkunftsland können im Einzelfall durchaus zulässig sein ‒ zum Beispiel wegen einer schweren Erkrankung oder des Todes von engen Familienangehörigen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in Nürnberg prüft nach bekanntgewordenen Heimatreisen in jedem Einzelfall, ob der gewährte Schutz zu widerrufen sei.
Genaue Zahlen darüber gibt es nicht. Den Vorwurf, dass Schutzsuchende lediglich nach Afghanistan reisen würden, um dort Urlaub zu machen, kritisiert Dünnwald scharf. "Dass geflüchtete Afghanen mit dem Wohnmobil über die Autobahn nach Kabul reisen, wird kaum passieren. Das ist eine Vorstellung, die eigentlich auch RTL nicht ernsthaft verfolgen kann", sagt er.