Union und SPD: Das Programm für die große Koalition

Merkels Werk und Seehofers Beitrag: Welche Konfliktfelder auf die Union-Spitze in den Verhandlungen mit der SPD lauern - und wie realistisch die Maut ist
von  Georg Thanscheidt
Sondierungsgespräche in Berlin: Angela Merkel und Horst Seehofer im Gespräch mit Sigmar Gabriel und Frank Walter Steinmeier.
Sondierungsgespräche in Berlin: Angela Merkel und Horst Seehofer im Gespräch mit Sigmar Gabriel und Frank Walter Steinmeier. © dpa

Berlin - Die SPD hat Ja gesagt – am Mittwoch beginnen die Koalitionsgespräche zwischen Union und SPD. Darin müssen sich die Parteien immer noch in zentralen Punkten zusammenraufen. Die AZ dokumentiert die Konfliktfelder – und mögliche oder schon reale Lösungen:

ARBEITSMARKT:

Beim gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro, wie ihn die SPD fordert, schienen die Gräben unüberwindbar. Die Union will nicht, dass eine flächendeckend einheitliche Lohnuntergrenze politisch festgesetzt wird, sondern dies den Tarifparteien überlassen. Hier zeichnet sich eine Annäherung ab – es könnte auf das Thüringer Modell herauslaufen: Dort regiert bereits eine große Koalition unter CDU-Führung, die bereits vor einem Jahr einen Vorschlag zum Thema unterbreitet hat: Eine Komission aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern schlägt dem Arbeitsminister jedes Jahr einen Mindestlohn vor, den dieser dann zum Gesetz macht.

STEUERN:

Dissens gibt es bei den von der SPD geforderten höheren Steuern für Spitzenverdiener – der Satz sollte nach ihren Vorstellungen von 42 auf 49 Prozent steigen. Die Union hat Steuererhöhungen wiederholt ausgeschlossen – und konnte sich damit offensichtlich in den Sondierungsgesprächen durchsetzen. In dem Papier, das der SPD-Konvent verabschiedet hat, fehlt eine Forderung nach Steuererhöhungen. Dafür könnte es nun eine neue Abgabe geben (siehe Pkw-Maut). CDU und CSU wollen zudem den heimlichen Steueranstieg etwa bei Lohnerhöhungen („kalte Progression“) beenden. Eine Wiedereinführung der Vermögensteuer gilt als unwahrscheinlich, ebenso ein Aus für das Ehegattensplitting.

PKW-MAUT:

Seehofers Traum von der Pkw-Maut nur für Ausländer könnte nun doch Realität werden: Laut „Spiegel“ hat der CSU-Chef in den Sondierungsgesprächen einen Plan vorgelegt, nachdem alle Autofahrer eine sogenannte „Infrastrukturabgabe“ zahlen sollen. Das geht aus einem Papier hervor, das Verkehrsminister Peter Ramsauer für die Sondierungs-Gespräche vorbereitet hatte. Demnach könnte eine solche Abgabe für alle in- und ausländische Pkw, Lkw ab 3,5 Tonnen und die derzeit boomenden Fernbusse gelten. Deutsche Autofahrer könnten diese Abgabe mit ihrer Kfz-Steuer verrechnen – das wäre eine Pkw-Maut durch die Hintertür. Im CSU-geführten Verkehrsministerium ist man überzeugt, dass das europarechtlich machbar wäre. Rechtliche Bedenken waren bisher das größte Hindernis vor der ‚Einführung einer solchen Maut – EU-Vorschriften verbieten eine Diskriminierung, also eine Schlechterstellung, von ausländischen Autofahrern. Das war bisher der Haupt-Grund, warum auch Bundeskanzlerin Angela Merkel die Pkw-Maut strikt ablehnte. Im TV-Duell hatte sie angekündigt: „Mit mir wird es eine Pkw-Maut nicht geben“. Seehofer hatte sich trotzdem optimistisch gezeigt, dass die Maut kommen wird – wenn das Pickerl jetzt Abgabe heißt, könnten beide ihr Gesicht wahren. Nach Kalkulationen der Bundesländer aus dem vergangenen September könnte eine solche Infrastrukturabgabe bis zu sechs Milliarden Euro jährlich in die Kassen spülen. Geld, dass der Verkehrsminister gut gebrauchen könnte – oder etwa nicht? Peter Ramsauer hatte in den Sondierungsgesprächen zwar wegen maroder Brücken und Straßen Bedarf angemeldet, dann aber hinzugefügt, dass etwaige neue Milliarden „wegen zäher Planungsverfahren und ausgebuchter Baufirmen gar nicht verbaut werden können“, wie der „Spiegel“ schreibt. Da habe ihm Seehofer am Verhandlungstisch sofort Contra gegeben – und zwar sehr laut.

RENTE:

Bessere Renten: „Er ist nicht nur ein Frauenversteher, sondern einer der größten Frauenförderer."

EUROPA:

Hier plant Merkel den großen Wurf – eventuell auch mit personellen Konsequenzen: Die Kanzlerin will die Euro-Mitgliedsstaaten an die Kandare nehmen und dafür sogar der ungeliebten EU-Kommission mehr Macht geben. „Es geht leider nicht anders“, schreibt der „Spiegel“ in seiner heute erscheinenden Ausgabe unter Berufung auf Regierungskreise. Die Kommission soll viel stärker als bisher mit den einzelnen Euro-Staaten Budgetziele vereinbaren können und diese bei Nichteinhaltung auch bestrafen. Eine wichtige Rolle soll hierbei der Chef der Eurogruppe spielen – lange war das Jean-Claude Juncker, aktuell ist es der niederländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem. Dessen Posten könnte künftig den Rang eines Euro-Finanzministers haben. Das hat Wolfgang Schäuble lange gefordert – und der deutsche Finanzminister hätte auch sicherlich das Format, dieses neue Amt auszufüllen. Da trifft es sich, dass die SPD sowieso Ansprüche auf das Berliner Ministerium angemeldet hat – Steinmeier oder Oppermann gelten als Kandidaten.

BETREUUNGSGELD:

Da hakt es. Das von der CSU – gegen teilweisen Widerstand der CDU – mühsam durchgesetzte Betreuungsgeld ist für die Christsozialen nicht verhandelbar. Die SPD will die Mittel lieber in den Ausbau der Kinderbetreuung stecken. Denkbar wäre ein Kompromiss, wonach die Länder mit Hilfe einer Öffnungsklausel selbst entscheiden können, ob sie die Leistung auszahlen wollen oder nicht. Aufs Äußerste will es die SPD offenbar nicht ankommen lassen - im Konvent-Papier finden sich hierzu nur noch warme Worte, aber keine Forderungen.

GESUNDHEITSPOLITIK:

CDU und CSU wollen am bestehenden System festhalten, das bei steigenden Kosten die Arbeitgeber schützt und Beschäftigte belastet. Die SPD will dies ändern: durch eine Bürgerversicherung, in die alle einzahlen. Bei den aktuellen Forderungen an die Union spielt dieses Thema keine Rolle – wohl aber die Verbesserung der Lage von Pflegebedürftigen.

INNERES:

Beim Thema Doppel-Pass liegen Union und SPD eigentlich weit auseinander. Die Sozialdemokraten wollen doppelte Staatsbürgerschaften grundsätzlich zulassen. Die Union lehnt das bislang vehement ab, signalisierte aber zuletzt vorsichtig Kompromissbereitschaft. Allen voran: Horst Seehofer, der sogar CSU-Innenminister Friedrich zurückpfiff. Ein anderer Konfliktpunkt ist die Flüchtlingspolitik. Die SPD will Lockerungen im Asylrecht durchsetzen, die Union nicht.

RECHT:

Differenzen gibt es bei der völligen Gleichstellung von Homo-Ehen mit traditionellen Ehen. So fordert die SPD, dass auch schwule und lesbische Paare in Lebenspartnerschaften Kinder adoptieren können. Die Union lehnt das ab. Die SPD-Spitze zeigte zuletzt aber Verständnis für die Vorbehalte von CDU und CSU. Und der Konvent wollte dieses Thema nicht zur Vorbedingung für Verhandlungen mit der Union machen. Allerdings könnte eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die künftige Regierung ohnehin bald in Zugzwang bringen.

ENERGIE:

Die SPD dringt auf eine Senkung der Stromsteuer um 0,5 Cent je Kilowattstunde. Die CDU/CSU lehnt dies ab, da mit den Einnahmen bislang die Rentenbeiträge stabilisiert werden.

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