Union und FDP: Die Wildsau-Koalition
Erst waren nur Stimmung und Handwerk schlecht. Jetzt beschimpfen sich Liberale und Union auf offener Bühne. Ist das noch der Tonfall unter Partnern?
BERLIN Die Bundesregierung ist waidwund geschossen. Da werden die Reaktionen unberechenbar. Die FDP beschimpft die CSU als „Wildsau“ mit „Trauma“. Die giftet zurück: „Gurkentruppe“. Die Liberalen schreien nach Mutti: „Die Kanzlerin muss zeigen, wohin sie will.“ Die Koalition kämpft ums Überleben: Jeder gegen Jeden.
Während die Koalition noch ums Sparpaket ringt (Details Seite 4), giftet FDP-Staatssekretär Daniel Bahr nach dem Nein von CSU-Chef Horst Seehofer zur Kopfpauschale: „Die CSU ist als Wildsau aufgetreten, sie hat sich nur destruktiv gezeigt.“ FDP-General Christian Lindner legt nach: „Seehofer hat ein persönliches Trauma. Jetzt müssen 70 Millionen gesetzlich Versicherte seine Traumatherapie machen.“ CSU-General Alexander Dobrindt kontert: „Bei der FDP sind zwei Sicherungen durchgeknallt. Die entwickeln sich zur gesundheitspolitischen Gurkentruppe: Erst schlecht spielen, dann auch noch rummaulen.“
Gesundheit
Konsequent bis zum Untergang
Bei der Kopfpauschale bleibt Seehofer hart. Das hat er schon mal bewiesen
Er wusste von Anfang an, dass er Nein sagen wird zur Kopfpauschale. Denn in der Gesundheitspolitik ist Wackel-Seehofer gradlinig – und konsequent bis zum Untergang. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel im Dezember 2003 beschloss, das Gesundheitswesen über eine Kopfpauschale jedes Versicherten zu finanzieren, legte sich Seehofer quer („unsozial, unausgegoren!“) und lenkte nicht mehr ein. Auch nicht, als ihn Merkel ein Jahr später in die Knie und zum Rücktritt als Vize der Unions-Fraktion zwang.
Damals war es ein Machtkampf zwischen ihr und Edmund Stoiber, der sich an der CDU-Chefin rächen wollte, weil die den Bundespräsidenten alleine mit Guido Westerwelle ausgekartelt hatte. Stoiber aber biss sich die Zähne aus, musste einlenken und Seehofer sogar die Zuständigkeit für die Gesundheit nehmen. Das hat Seehofer den beiden nie vergessen.
Merkel wurde 2005 Kanzlerin. Und der politisch tot geglaubte Seehofer feierte sein Comeback. Aber erst jetzt kann er richtig auftrumpfen und „Mutti“ gefährlich werden. Denn die CDU schwächelt. Hessens Roland Koch ist quasi weg, NRW-König Jürgen Rüttgers vom Thron gestoßen und Niedersachsens Christian Wulff auf dem Weg ins Schloss Bellevue.
Einen Kompromiss zur Kopfpauschale hatte Seehofer schon 2004 als „Totgeburt“ bezeichnet. Und dabei bleibt er.
Wehrpflicht
Querschüsse in der CSU
Bei dem Thema war man sich immer einig in der Union. Doch jetzt streiten sie sogar in der CSU über die Wehrpflicht. Ausgerechnet Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg redet der Aussetzung der Wehrpflicht das Wort, und sein Parteichef Horst Seehofer hält dagegen. Schützenhilfe erhält der Minister von CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich: „Ich tendiere zu Guttenbergs Meinung.“ Es sei fraglich, ob Deutschland es sich heute leisten könne, „junge Männer einfach mal so sechs Monate an der Waffe auszubilden“.
Seehofer hatte gesagt, die CSU stehe zur verkürzten Wehrpflicht: „Wir können nicht alle paar Monate unsere Politik ändern.“
Gauck
FDP sieht Wulffs Wahl in Gefahr
Immer mehr Zustimmung aus dem Regierungslager für Joachim Gauck Trenner
Die Wahl des Bundespräsidenten wird immer mehr zur Zeitbombe für Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Stimmen aus der FDP für den Gegenkandidaten Joachim Gauck (70) reißen nicht ab. Liberale Spitzenfunktionäre loben den ehemaligen Bürgerrechtler und sperren sich gegen den Regierungskandidaten Christian Wulff (50).
Bremens FDP-Landeschef Oliver Möllenstedt kennt nach eigenen Worten „niemanden in FDP und CDU, die Joachim Gauck absprechen, ein guter Kandidat zu sein“. Der baden-württembergische FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke sieht Wulffs Wahl in Gefahr. Es gebe große Unzufriedenheit mit dem Verfahren. „Am Donnerstag nicken wir den Kandidaten der Union ab und am Freitag wird unsere Gesundheitsreform abgeblockt.“ Das ist offene Kritik an der FDP-Spitze, die sich ohne Widerstand mit Wulff abgefunden hat und die eigene Politik nicht mehr durchbringt.
Bei der – geheimen – Wahl in der Bundesversammlung am 30. Juni hat Schwarz-Gelb eine 20-Stimmen-Mehrheit. Um diese Mehrheit nicht zu gefährden, schickt die CSU nur Mandatsträger, die SPD reagiert empört. Und Gauck freut sich derweil über die Zustimmung für seine Kandidatur: „Man freut sich darüber natürlich.“ Er wolle Mut machen: „Wenn ich rede, kann ich nicht reden wie ein Pessimist. Ich kann nur reden wie einer, der dem Leben und den Menschen und unserem guten politischen System etwas zutraut“, sagt Gauck.
]Von A. Böhm und M. Maus